"Es gibt keine Exzellenz ohne Diversität"

Bettina Jorzik,
Bild: Damian Gorczany, Stifterverband
Prof. Dr. Yasemin Karakasoglu,
Bild: Universität Bremen

Auftakt der HRK-Initiative „Vielfalt an deutschen Hochschulen“: Ein Gespräch mit der Bremer Professorin Yasemin Karakasoglu und der Stifterverbands-Expertin Bettina Jorzik über die Bedeutung von Vielfalt an Hochschulen – und darüber, was das mit herausragender Forschung zu tun hat. (Erster Teil)

Frau Karakasoglu, stimmt eigentlich die Anekdote, dass Sie alle Professorinnen und Professoren mit Migrationshintergrund in ganz Deutschland beim Namen kannten, als Sie Ihre Universitätskarriere gestartet haben?

Karakasoglu: (lacht) Ja, die Geschichte stimmt tatsächlich. All diese Professor:innen in den Geistes-, Sozial- und Kultur­wissenschaften konnte man damals wirklich an einer Hand abzählen. Die gute Nachricht ist: Seitdem hat sich einiges getan.

Jorzik: Diesen Trend sehe ich auch. Wir beim Stifterverband haben ja 2013 unser erstes Diversity Audit durchgeführt, bei dem wir Hochschulen auf dem Weg zu einer größeren Vielfalt beraten und begleiten. Inzwischen haben 52 Hochschulen dieses Programm durchlaufen und weitere 33 Hochschulen befinden sich derzeit im Prozess – damit sind wir bei einem Drittel der staatlichen Universitäten und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften. Und die Tendenz ist steigend.

Die „Charta der Vielfalt“ legt sieben Vielfaltsdimensionen fest – von der ethnischen Herkunft über die geschlechtliche Identität bis zu Religion und Weltanschauung. Beziehen sich die Hochschulen auf all diese Dimensionen?

Karakasoglu: Ja, zu adressieren ist die ganze Bandbreite der Diversität, und natürlich sind diese Aspekte oft auch untereinander verknüpft und erweitert: wenn jemand der erste Akademiker in seiner Familie ist, wenn sich jemand um pflegebedürftige Angehörige kümmert und so weiter. Diese Bandbreite in den Blick zu nehmen, für Akzeptanz zu sorgen, strukturelle Problematiken abzubauen und Beratung anzubieten – das gehört zu den Aufgaben der Hochschulen im Bereich der Vielfalt.

Jorzik: Und da tut sich auch inhaltlich etwas. Als wir 2010 unser erstes Programm in diese Richtung aufgelegt hatten – „Verschiedenheit als Chance“ hieß es -, hatten viele der interessierten Hochschulen vor allem zwei Diversitätsdimensionen im Blick – die Dimension Gender einerseits und das Thema Internationalisierung andererseits. Streng genommen ging es den Hochschulen seinerzeit aber weniger um Vielfalt als vielmehr um das Thema Leistungsheterogenität – wie lassen sich also unterschiedliche Leistungsvoraussetzungen bei den Studierenden kompensieren?

Was sollte bei den Hochschulen stattdessen im Vordergrund stehen, wenn es um die Vielfalt geht?

Karakasoglu: Die Hochschulen haben einen staatlichen Bildungsauftrag, aber an den Universitäten finden wir immer noch überproportional viele Kinder aus Akademikerhaushalten. Da müssen die Hochschulen ansetzen, und das Thema Vielfalt sollte dabei als Werkzeug zur Organisationsentwicklung verstanden werden. Sie sollten niederschwellig aufgestellt sein bis hin zu der Art, wie die Mitarbeitenden mit Studierenden, aber auch mit anderen Mitarbeitenden umgehen. Und sie sollten sich die Frage stellen, ob alle Menschen, die an diese Institution kommen, tatsächlich umfassend zu ihrem Recht kommen.

Jorzik: Es gibt ja auch die Hypothese, dass Hochschulen in Lehre und Forschung besser werden, wenn sie diverser aufgestellt sind – dass sie durch eine Vielzahl von eingebrachten Perspektiven kreativer werden. Dieses Potenzial, das jeder Einzelne aufgrund seiner Individualität einbringt, kann eine Organisation aber nur nutzen, wenn sich alle auch wirklich zugehörig fühlen. Mittlerweile sagen viele Hochschulen ganz ausdrücklich: Es gibt keine Exzellenz ohne Diversität.

Was waren die Meilensteine in der Vielfalts-Debatte an den Hochschulen – und wie ist der Status quo?

Jorzik: Einen wichtigen Einschnitt markiert das Jahr 2008. Damals trat an der Universität Duisburg-Essen die erste Hochschul-Prorektorin ihr Amt an, die ausdrücklich für Vielfalt zuständig war. Woran erinnern Sie sich besonders, Frau Karakasoglu?

Karakasoglu: Ich selbst trat hier in Bremen 2011 eine ähnliche Aufgabe an, und für mich war es ein elektrisierender Moment, als ich kurz darauf alle diejenigen zusammenbringen konnte, die an deutschen Hochschulen für dieses Thema auf Leitungsebene zuständig waren. Dieses Netzwerktreffen der Vizepräsident:innen für Diversität war ungeheuer inspirierend. Es herrschte eine richtige Aufbruchstimmung.

Jorzik: Es ist kennzeichnend, dass die Anfänge ausgerechnet im Ruhrgebiet und in Bremen gemacht wurden. In diesen Regionen gibt es vergleichsweise wenige akademische Familien und das Thema des sozialen Aufstiegs spielt eine große Rolle. Und da bin ich bei Ihnen, Frau Karakasoglu: Die Hochschulen sollen in gewisser Weise ein Spiegelbild der Gesellschaft sein. Aber klar ist, dass nicht alle Hochschulen jeder denkbaren Kombination von Vielfaltsmerkmalen gerecht werden können, das wäre auch eine totale Überforderung. Bei uns kommt es immer wieder vor, dass Hochschulen nach einem Leitfaden fragen, wie sie das Thema angehen können. Aber so eine Checkliste kann es gar nicht geben: Die Frage, was Vielfalt für sie bedeutet, muss jede Hochschule für sich selbst klären.

Karakasoglu: Wichtig ist, dass sich die Organisation verändert – und das geht am besten, wenn das aus Überzeugung und innerem Antrieb heraus geschieht. Es sollen keine Schaufenster-Projekte dabei herauskommen, sondern alle Studierenden und Mitarbeitenden sollen sich sicher sein, dass sie geschützt und an der Hochschule auch gewollt sind.

Das Interview führte Kilian Kirchgeßner.

Zu den Personen:

Bettina Jorzik leitet beim Stifterverband für die deutsche Wissenschaft den Programmbereich „Lehre und akademischer Nachwuchs“. Sie verantwortet unter anderem das Diversity Audit, bei dem Hochschulen dabei begleitet werden, eine zu ihrem Profil passende Diversitätsstrategie aufzustellen und umzusetzen.

Prof. Dr. Yasemin Karakasoglu ist Professorin für Bildung in der Migrationsgesellschaft/interkulturelle Bildung an der Universität Bremen. Von 2011 bis 2017 war sie dort Konrektorin für Internationalität und Diversität. Sie forscht und lehrt zu Migration und Transnationalität im Kontext von Schulen und Hochschulen und ist im Vorstand des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). 

Hier geht es zum zweiten Teil des Interviews.

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