Mit viel Partizipation zu mehr Vielfalt

Foto Prof. Dr. Natasha Loges, Staatsrätin Dr. Eva Gümbel, Prof. Dr. Jan Philipp Sprick, Dr. Bilinc Ercan-Catanzaro
Prof. Dr. Natasha Loges, Staatsrätin Dr. Eva Gümbel,
Prof. Dr. Jan Philipp Sprick, Dr. Bilinc Ercan-Catanzaro
Bild: Julia Gieseler

Die Hochschule für Musik und Theater in Hamburg setzt mit künstlerisch-wissenschaftlichen study weeks viele Akzente für die Diversität.

Manchmal staunen Besucher:innen, wenn sie über den Campus gehen und die vielen Sprachen hören, die hier in Hamburg an der Hochschule für Musik und Theater (HfMT) gesprochen werden. „Mensch, ihr seid wirklich sehr divers, das läuft doch super!“ sind dann nicht selten die Reaktionen der Besucher:innen. Vizepräsidentin Dr. Bilinc Ercan-Catanzaro sagt dazu „Das Ziel der Internationalität erfüllen wir sehr gut, bei uns sind 35 Prozent der Studierenden aus dem Ausland. Aber bei den anderen Vielfalts-Dimensionen gibt es noch Verbesserungsbedarf.
„Studierende mit einem klassischen Migrationshintergrund oder Menschen mit Behinderung haben wir eher selten“, sagt Bilinc Ercan-Catanzaro. Die meisten internationalen Studierenden auf dem Campus sind eigens für das Studium nach Hamburg gekommen, ihre Schullaufbahn absolvierten sie in ihrem Heimatland – und es sind zumeist junge Erwachsene aus ökonomisch privilegierten Verhältnissen. 

Bei ihrem Projekt, das sie im Rahmen der HRK-Initiative „Vielfalt an deutschen Hochschulen“ durchführen, möchten sich die Hamburger:innen auf die Suche nach Antworten begeben, mit denen sie auf diese Unterrepräsentation reagieren können. „Und weil wir eine künstlerische Hochschule sind, wollen wir ein Format wählen, in dem wir uns dem Thema sowohl wissenschaftlich als auch künstlerisch nähern“, sagt Bilinc Ercan-Catanzaro. Eine Abfolge von sechs study weeks haben sie dafür konzipiert, die den drängendsten Themenkomplexen gewidmet sind: Inklusion, Klassismus, Nähe & Distanz, Antidiskriminierung und Bildungsteilhabe, Kolonialität sowie Gleichstellung. Im Auftakt ging es um Inklusion und die Organisator:innen sind jetzt noch begeistert von der großen Beteiligung. Eine Mischung aus Gespräch, Paneldiskussion und künstlerischem Vortrag wählten sie als Format, und so luden sie zum Beispiel Künstler:innen mit Behinderung des inklusiven Klabauter-Theaters ein: Eine Pianistin und ein Sänger traten mit einem Improvisations-Bühnenprogramm auf, einem spannenden künstlerischen Beitrag – und gaben dem Thema Inklusion damit ganz neue Akzente. Solche persönlichen Begegnungen stattfinden zu lassen, ist eines der Kernanliegen der study weeks.

Dass sie die darin bearbeiteten Themen immer wieder auf die eigene, spezifische Situation als künstlerische Hochschule beziehen, liegt in der Natur der Sache. Um Ressourcenfragen und Machtstrukturen zum Beispiel geht es: Warum existiert viel Kenntnis über männliche Komponisten, aber so viel weniger über Komponistinnen? Und was ist erst mit queeren Komponist:innen? Im Austausch mit der Bibliothek sollen künftig Theaterstücke, aber auch Noten von einer größeren Bandbreite von Komponist:innen und Autor:innen vertreten sein. Oder, ein ganz anderes Beispiel: Die HfMT steht im Austausch mit einigen Hamburger Schulen, in denen die Schülerschaft besonders divers ist. Mit ihnen entwickelt die Hochschule jetzt neue Projekte zur Musik- und Theatervermittlung Die Idee besteht u.a. darin, dass beispielsweise Lehramtsstudierende in den Schulen hospitieren und Praxiserfahrungen sammeln, Gesprächsforen zwischen studentischen Künstler:innen und den Schüler:innen entstehen, zudem begabte Schüler:innen gefördert werden und somit im besten Fall ihre Chancen bei der Aufnahmeprüfung erhöhen können. „Bei den Instrumentalfächern ist es schwierig, wenn Personen nicht bereits im Kindesalter eine Förderung erhalten haben“, räumt Bilinc Ercan-Catanzaro ein, aber: „Wenn es um Gesang, Schauspiel, möglicherweise auch Komposition oder auch Schulmusik geht, besteht eine realistische Chance, dass Wissenslücken durch gezielte Projekte geschlossen werden können."

Diese Beispiele zeigen: Viele der erhofften Ergebnisse des aktuellen Projekts zeichnen sich schon konkret ab. Ein weiteres Ziel wird über die gesamte Projektlaufzeit verfolgt: Am Ende soll ein Diversity-Management-Konzept stehen. „Wir hatten zwar vorher schon eine Steuerungsgruppe Diversity, aber die Arbeit haben wir mit Herzblut on top geleistet“, sagt Bilinc Ercan-Catanzaro, die als Vizepräsidentin die Themen Diversity, gesellschaftliche Verantwortung sowie Gremien- und Rechtsangelegenheiten verantwortet. Dank der HRK-Initiative haben sie jetzt größeren Freiraum für eine systematische Beschäftigung mit dem Thema. „Und vor allem können wir es so angehen, wie wir es für richtig und wichtig halten – so, dass es aus der Mitte der Hochschule kommt, dass sich alle einbringen und partizipativ mitwirken können, dabei niemandem von oben etwas übergestülpt wird.“

Und wie gut diese Partizipation funktioniert, zeigte sich schon bei der Vorbereitung. Die Hochschule startete einen Aufruf, Ideen für die study weeks beizusteuern – und bekam fast drei Dutzend konkrete Rückmeldungen und Impulse von Lehrenden, Studierenden und aus der Verwaltung. Bilinc Ercan-Catanzaro strahlt: „Genau das macht unser Programm so besonders!“

Text von Kilian Kirchgeßner