Leitlinien und Standards in der internationalen Hochschulkooperation


Beschluss des HRK-Präsidiums vom 6.4.2020

Präambel

Die Hochschule der Zukunft ist eine transnationale Hochschule. Nur eine Hochschule, die sich als gestaltender Teil der Welthochschulgemeinschaft begreift und entsprechend agiert, wird langfristig zukunftsfähig sein. Diesen Leitgedanken formuliert die HRK in ihrer internationalen Strategie. Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Globalisierung aller Lebensbereiche und deren Folgen kommt den Hochschulen mit ihrem Auftrag in Bildung, Forschung und Transfer eine zentrale Rolle als Agenten des Wandels zu. Angesichts tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen in Zeiten von zunehmendem Nationalismus gewinnt die Verankerung ihres naturgemäß grenzüberschreitenden Agierens in festen und zugleich reflektierten Wertesystemen erheblich an Bedeutung.

In ihrem Handeln agieren die deutschen Hochschulen auf dem Boden des deutschen Grundgesetzes, der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie der Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen. Wie in der Magna Charta Universitatum niedergelegt, ist die Freiheit von Forschung und Lehre unabdingbare Grundvoraussetzung für das universitäre Leben und das erfolgreiche Agieren von Hochschulen. Dazu gehören die Prinzipien der Wahrheitssuche und Faktenorientierung sowie die Abwesenheit von ideologischer, religiöser und jeglicher Form inhaltlicher Einflussnahme durch außerhochschulische Akteure.

Diese Parameter bezeichnen auch für das internationale Handeln der deutschen Hochschulen und ihre internationalen Kooperationen unabdingbare und nicht verhandelbare Grundprinzipien. Die internationale Zusammenarbeit ist für die deutschen Hochschulen von hohem Wert und zur umfassenden Erfüllung ihres Auftrags unverzichtbar. Auf institutioneller Ebene bietet sie umfangreiche Impulse für Innovation in Lehre, Lernen und Forschen; auf individueller Ebene stellt sie eine fachliche und persönliche Bereicherung für alle Beteiligten dar. Neben den hierin liegenden Chancen und Möglichkeiten sehen die deutschen Hochschulen gleichwohl auch die Herausforderungen und Risiken internationaler Kooperation für die Integrität nationaler Strukturen mit klarem Blick. In diesem Spannungsfeld von Chancen und Risiken gilt es aus Sicht der HRK, proaktiv Möglichkeitsräume aufzuzeigen, ohne dabei die eigenen Werte und Standards aufs Spiel zu setzen.

Aufgrund tiefgreifender Veränderungen im globalen Umfeld besteht innerhalb des Hochschulsystems aktuell ein erhöhter Bedarf an Einordnung und Orientierung. Die HRK adressiert diesen Bedarf und formuliert im Folgenden Leitlinien und Standards für die internationalen Kooperationen der deutschen Hochschulen. Diese Leitlinien und Standards wurden entlang der übergeordneten Dimensionen „Strategie und Governance“, „Gemeinsam Lehren und Lernen“, „Gemeinsam Forschen“ sowie „Hochschulen als transnationale Räume“ ausgerichtet. Sie sollen den Akteuren vor Ort – sowohl den Hochschulen als Institutionen als auch den einzelnen Hochschulangehörigen – Hilfestellung und Orientierung beim Aufsetzen und Aufrechterhalten tragfähiger Hochschulkooperationen bieten. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Gegebenheiten der Hochschulsysteme weltweit einem fortlaufenden Veränderungsprozess unterworfen sind und die Realität internationaler Kooperation komplex und vielschichtig ist, wird die HRK die vorgelegten Leitlinien und Standards in regelmäßigen Abständen prüfen.


Strategie und Governance

  • Nachhaltigkeit im Engagement und gleichberechtigte Partnerschaft: In ihrer Zusammenarbeit mit internationalen Partnern verfolgen deutsche Hochschulen einen partnerschaftlichen Ansatz und streben stabile Kooperationen mit langfristiger Perspektive an. Innerhalb einer Partnerschaft definieren sie klar ihre Ziele und Interessen und verfolgen diese im Rahmen einer institutionellen Strategie.
  • Fundierte Kooperationsbasis und gegenseitiger Respekt: Fundierte Kenntnisse über den Partner und dessen Wissenschaftsumfeld sind für das Gelingen einer Partnerschaft wesentlich; auch das gegenseitige Anerkennen unterschiedlicher kultureller Prägungen und Herangehensweisen ist dafür essenziell. Vertiefte Kenntnisse von Sprache und Kultur des Partnerlandes tragen zur Vertrauensbildung bei. Zu gegenseitigem Respekt gehört, unterschiedliche Werte bzw. Wertvorstellungen transparent zu machen und auf dieser Grundlage mögliche Friktionen frühzeitig zu adressieren.
  • Robuste Governance und professionelles Management: Die wachsende Komplexität internationaler Kooperation muss mit einer verstärkten Professionalisierung der an den Hochschulen für die Internationalisierung vorgehaltenen Strukturen und Prozesse einhergehen. Transparente Verantwortlichkeiten und eine klare Zuordnung von Aufgaben sind für erfolgreiche Kooperation unerlässlich und ermöglichen es den Partnern, ihre spezifischen Stärken in der Partnerschaft zum Einsatz zu bringen. Ebenso unverzichtbar ist es, gemeinsam transparente Entscheidungsstrukturen zu definieren, die auch Verfahren für den Fall eines Dissenses sowie auch klar umrissene Ausstiegsstrategien im Sinne eines Risikomanagements umfassen.
  • Ausgewogene Finanzierung: Internationalen Kooperationsprojekten liegt ein Finanzierungsmodell zugrunde, das eine ausgewogene Verteilung der anfallenden Ausgaben sicherstellt. Dies garantiert eine Partnerschaft auf Augenhöhe, in der Abhängigkeiten vermieden werden.[i] 
  • Transparente Kommunikation: In ihrer internen Kommunikation formulieren die deutschen Hochschulen Leitgedanken und Rahmensetzungen ihres internationalen Handelns; dies dient der Orientierung aller Hochschulangehörigen. Im Rahmen ihrer externen Kommunikation bekennen sie sich zu ihrem internationalen Engagement und den diesem zugrundeliegenden Leitlinien und Werten.
  • Anerkennung institutioneller Grundregeln: Internationale Studierende und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind Teil der Hochschulgemeinschaft. Sie haben dieselben Rechte, aber auch dieselben Pflichten wie die heimischen Hochschulangehörigen. Zu den institutionellen Grundregeln, die für alle Hochschulangehörigen gleichermaßen gelten, gehören das geltende Recht zum Schutz geistigen Eigentums ebenso wie die Anerkennung der hochschulischen Grundordnung und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Deutschlands.

Gemeinsam Lehren und Lernen

  • Freiheit von Studium und Lehre: Auch in gemeinsamer Lehre mit internationalen Partnern gewährleisten die deutschen Hochschulen die Freiheit von Studium und Lehre. Die Freiheit der Lehre umfasst in der Partnerschaft die inhaltliche und methodische Gestaltung von Lehrveranstaltungen und die Freiheit, wissenschaftliche Meinungen zu verbreiten und auszutauschen. Sowohl die Lehrenden wie auch die Studierenden haben das Recht, wissenschaftliche oder künstlerische Meinungen frei zu äußern.
  • Mehrwert gemeinsamen Lehrens und Lernens: Gemeinsam konzipierte und durchgeführte Lehre stellt hohe Ansprüche an die Lehrenden, aber auch an die Studierenden. Gleichzeitig stellen gemeinsam entwickelte Curricula und Studienprogramme eine attraktive Möglichkeit dar, Studierenden auch an der Heimathochschule internationale und interkulturelle Erfahrungen zu ermöglichen, d. h. die Internationalisierung zu Hause wirkungsvoll zu unterstützen, und sie zu kulturell sensiblen und fachlich breit ausgebildeten Weltbürgerinnen und -bürgern heranzubilden.
  • Qualitätsgesicherte Lehrprozesse: Die in internationaler Lehre engagierten deutschen Hochschulen gewährleisten die Qualität der von ihnen angebotenen Studienprogramme im Rahmen ihrer institutionellen Qualitätssicherungsprozesse und eines regelmäßigen Monitorings. Dazu gehören eine qualitätsgesicherte Auswahl der Studierenden, die auf der Basis transparenter und nachvollziehbarer Kriterien erfolgt, eine kontinuierliche Weiterentwicklung der den Programmen zugrundeliegenden Curricula sowie transparente und verlässliche Prüfungsabläufe. Durch den Einsatz von Digitalisierung in der Lehre wird das Potential interaktiver Lehr- und Lernformen für internationale Kooperationen anerkannt und umgesetzt. Bei der Verwendung moderner Lehrtechnologien werden gemeinsame Standards für Zugang und Nutzung digitaler Lehrmodule formuliert. Das an gemeinsamer Lehre beteiligte Lehrpersonal erfüllt in seinen Qualifikationen sowohl die Anforderungen der beteiligten deutschen Hochschulen als auch jene des Partnerstandortes. Die beteiligten Hochschulen tragen gemeinsam für die Weiterbildung des Lehrpersonals Sorge und planen Zeit und Kapazität für fachliche, sprachliche und interkulturelle Fortbildungen der verantwortlichen Hochschullehrenden ein.
  • Förderung von Studierendenmobilität: Als weltoffene Einrichtungen haben die deutschen Hochschulen ein hohes Interesse an der Gewinnung von qualifizierten Studierenden aus dem Ausland, sei es für einen temporären Aufenthalt oder aber auf Dauer. Sie informieren internationale Studienbewerberinnen und -bewerber über ihr Studienangebot, Regelungen für Zugang und Zulassung und anfallende Kosten und bieten auf zentraler und dezentraler Ebene fachliche Orientierung sowie soziale und kulturelle Begleitung. Umgekehrt fördern sie die Mobilität ihrer heimischen Studierenden, sei es für ein Studium oder einen Praxisaufenthalt im Ausland. Durch transparente Regelungen bezüglich Auswahl, Ablauf und späterer Anerkennung des Auslandsaufenthaltes erleichtern sie die Auslandsmobilität. Ebenso unterstützen die Hochschulen ihre Studierenden durch Angebote zur fachlichen und interkulturellen Vor- und Nachbereitung und Begleitung des Auslandsaufenthaltes.

Gemeinsam Forschen

  • Freiheit der Forschung: In gemeinsamer Forschung mit internationalen Partnern gewährleisten die deutschen Hochschulen die Freiheit der Forschung. Die Freiheit der Forschung umfasst die Wahl von Fragestellungen und Forschungsgegenständen, die Methodik sowie Bewertung des Forschungsergebnisses und seine Verbreitung, zum Beispiel im Rahmen von Publikationen.
  • Mehrwert gemeinsamen Forschens: Forschung ist per se international, sie lebt und entwickelt sich über lokalen, nationalen oder globalen Austausch und Wettstreit von Hypothesen und fachlichen Erkenntnissen und Urteilen. Dieses Leitprinzip gilt nicht allein für die großen globalen Herausforderungen, sondern ist allen Forschungsfragen immanent. Internationale Zusammenarbeit in der Forschung bewegt sich dabei stets im Spannungsfeld von Kooperation und Wettbewerb.
  • Achtung wissenschaftlicher, ethischer und rechtlicher Standards: Die Freiheit der Forschung geht mit einer besonderen Verantwortung der einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie auch der Hochschulen insgesamt einher. In internationalen Kooperationsprojekten gewährleisten die Hochschulen die Einhaltung wissenschaftlicher und wissenschaftsethischer Standards und halten sich an die allgemeinen Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis. Dies umfasst auch die Beachtung und Durchsetzung des geltenden Rechts zum Schutz geistigen Eigentums sowie der Regelungen zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung (Risikoanalyse und -minimierung, compliance).
  • Gleichberechtigte Kooperation: Internationalen Projekten im Bereich von Forschung und Innovation liegt ein Governancemodell zugrunde, das einen beidseitigen Nutzen des Projektes und der in seinem Rahmen generierten Ergebnisse garantiert. Dazu gehören nicht nur transparente Regeln bezüglich der gemeinsamen Nutzung von Forschungsinfrastrukturen, sondern auch der ungehinderte Zugang zu gemeinsam generierten Forschungsdaten und die Achtung international anerkannter Publikationspraxis, etwa im Hinblick auf Autorenschaft und Qualitätssicherung durch Reviewverfahren.
  • Förderung der Mobilität von Forschenden: Als weltoffene Einrichtungen haben die deutschen Hochschulen ein hohes Interesse an der Gewinnung von qualifizierten Doktorandinnen und Doktoranden sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem Ausland, sei es für einen temporären Aufenthalt oder auf Dauer. Umgekehrt stellt Mobilität ins Ausland für viele heimische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Karrierestufen einen essenziellen Teil der Forschungstätigkeit an ihrer Heimathochschule dar.

Hochschulen als transnationale Räume

  • Interkultureller Dialog und transnationaler Campus: Im Rahmen ihrer internationalen Partnerschaften treten die deutschen Hochschulen für den offenen Dialog ein. Grundvoraussetzungen dafür sind sachorientierter Austausch und Toleranz unterschiedlicher Auffassungen. Begegnung und Austausch zwischen internationalen und heimischen Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und künstlerischen Lehrenden sind wesentliche Elemente des hochschulischen Lebens auf dem Heimatcampus. Auf diesem Wege können über kulturelle und sprachliche Barrieren hinweg Korridore für offene Kommunikation eröffnet werden, die Denk- und Veränderungsprozesse bei allen Beteiligten anstoßen. Eine solchermaßen transnational ausgerichtete Hochschule stellt für alle Hochschulangehörigen eine Bereicherung dar. Insbesondere für jene Hochschulangehörigen, die aus verschiedenen Gründen nicht international mobil sein können, bietet sich auf diese Weise die Gelegenheit, interkulturelle und internationale Erfahrungen auf dem Heimatcampus zu sammeln.
  • Gelebte Willkommenskultur: Die an einer Kooperation beteiligten deutschen Hochschulen bieten internationalen Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und künstlerischen Lehrenden vor Aufnahme ihres Studiums oder ihrer Tätigkeit sowie auch im Studien- bzw. Projektverlauf Orientierung und Hilfestellung. Im Rahmen der Planung einer Kooperation wird die soziale Betreuung der Studierenden, Lehrenden und Forschenden von Anfang an mitgedacht.
  • Förderung von Sprachkompetenz und Mehrsprachigkeit: Die deutschen Hochschulen unterstützen ihre internationalen Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und künstlerischen Lehrenden beim Erlernen und Verbessern ihrer Deutschkenntnisse sowie, falls erforderlich, weiterer Lehr- oder Forschungssprachen. Ebenso unterstützen sie ihre heimischen Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, künstlerischen Lehrenden und das sonstige Hochschulpersonal beim Erwerb und Verbessern von Fremdsprachenkenntnissen. Neben der proaktiven Nutzung des Englischen als wissenschaft-licher Lingua franca setzen sich die Hochschulen bewusst für die Förderung der deutschen Sprache und der Mehrsprachigkeit ein, auch in Anerkennung der Tatsache, dass Sprachkompetenz eine wichtige Gelingensbedingung für einen erfolgreichen Aufenthalt in Deutschland bzw. im Partnerland ist und internationalen Absolventinnen und Absolventen die lntegration in den hiesigen Arbeitsmarkt erleichtert.


Schlussbemerkung
Hochschulkooperation über Landesgrenzen hinweg muss durch den staatlich gesetzten Rahmen – sowohl in Deutschland wie auch im jeweiligen Partnerland – durch geeignete rechtliche Rahmensetzungen und eine auskömmliche und planbare finanzielle Ausstattung garantiert bzw. befördert werden. Versuche der Einflussnahme seitens deutscher oder ausländischer staatlicher Organe oder sonstiger inländischer oder ausländischer Akteure auf die deutschen Hochschulen im Allgemeinen oder einzelne internationale Kooperationsprojekte im Besonderen sind nicht hinnehmbar.
Die deutschen Hochschulen unterziehen ihre internationalen Partnerschaften einer regelmäßigen Evaluierung. Sollten die in diesem Dokument formulierten Leitlinien und Standards im Verlauf einer internationalen Kooperation nicht mehr garantiert werden können, so suchen die beteiligten deutschen Hochschulen das Gespräch mit ihren internationalen Partnern, um eine Klärung der Sachlage herbeizuführen. Als Ultima Ratio behalten sie sich vor, die betroffene Partnerschaft nach eingehender Prüfung zu beenden.


-----------------------------------------------------
[i] Ausnahmen von dieser Regel gelten im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit.