Zur Weiterentwicklung des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR)


Empfehlung des 114. Senat am 23.2.2010


Hintergrund


Bund und Länder haben die Verabschiedung des Europäischen Qualifikationsrahmens für Lebenslanges Lernen (EQF-LLL) im April 2008 zum Anlass genommen, einen bildungsbereichsübergreifenden Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) zu erarbeiten. Hierzu wurde ein Arbeitskreis von Akteuren aus unterschiedlichen Bildungsbereichen gebildet, in dem auch die HRK vertreten ist. Gemäß der Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates wollen Bund und Länder den DQR bis Ende des Jahres 2010 mit dem EQF verknüpfen und bis 2012 alle Qualifikationsnachweise (Zeugnisse, Urkunden usw.) mit einem Verweis auf das jeweilige EQF-Niveau versehen.


Im Februar 2009 wurde ein Entwurf für eine Matrix aus Niveaustufen und Deskriptoren als Referenz für die Einordnung von Qualifikationen vorgelegt. Vier fachliche Arbeitsgruppen (Metall/Elektro, IT, Gesundheit, Handel) haben unter Beteiligung von Hochschulvertretern diese Matrix auf ihre Tauglichkeit für die Zuordnung von Qualifikationen getestet und Folgerungen für ein transparentes und qualitätsgesichertes Zuordnungsverfahren gezogen. Der bevorstehende Abschluss dieser Testphase ist Anlass für den Senat der HRK, den Entwicklungsstand kritisch zu kommentieren und Empfehlungen für den weiteren Prozess zu geben.


Der DQR als Transparenzinstrument


In seiner derzeitigen Fassung wird der DQR aus Sicht der Hochschulbildung dem eigenen Anspruch nicht gerecht, bildungsbereichsübergreifendes Transparenzinstrument zu sein.

  • Die spezifische wissenschaftliche Problemlösungskompetenz ist als Qualifikationsanspruch auf den höheren Niveaus zu undeutlich formuliert. Die Deskriptoren auf den Niveaus 5-8 stellen unterschiedlich formulierte Anforderungen an berufliche und hochschulische Bildungsgänge nebeneinander, deren Verhältnis zueinander völlig unklar ist (z.B. Niveau 6, Wissen: Umfassendes, spezialisiertes und systematisches Wissen auf dem neuesten Erkenntnisstand in einem oder mehreren Spezialgebieten eines wissenschaftlichen Fachs- bzw. "umfassendes berufliches Wissen in einem strategie- und innovationsorientierten beruflichen Tätigkeitsfeld").
  • Die Begriffsdefinitionen und Graduierungsparameter sind zu unklar für trennscharfe und plausible Zuordnungen. Entsprechend orientiert sich die Zuordnung primär nicht sachlogisch an den Deskriptoren, sondern an politischen Zielen, was zu Bandbreiten von bis zu drei Niveaustufen in den Vorschlägen der Experten führt.
  • Ein verlässliches und handhabbares Zuordnungsverfahren für spezifische Einzelqualifikationen ist angesichts ihrer Vielzahl in den Bildungsbereichen und der Heterogenität ihrer Ordnungsmittel nicht absehbar.
  • Die fachlichen Arbeitsfelder (Domänen), auf die die jeweiligen Kompetenzen bezogen werden, sind in den Deskriptoren völlig unbestimmt, sodass sehr breit und sehr eng gefasste Qualifikationen nicht zu unterschieden sind (z.B. Informatikstudium und Weiterbildung in Datenbanken).

Konsequenzen der aktuellen Entwicklung


Wenn der DQR in seiner derzeitigen Form und angesichts der erweiterten Ansprüche, die an ihn herangetragen werden (Gleichwertigkeit von Bildungsbereichen, Referenz für Programmentwicklung und in Zugangsfragen sowie Neubestimmung von Bildungszielen), in Kraft tritt, sind negative Konsequenzen für den Hochschulbereich zu erwarten:

  • Der Stellenwert von forschungs- und entwicklungsbezogenen Kompetenzen, die in einem Studium erworben werden und die weitgehend auf wissenschaftlich generiertem Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten basieren, würde gegenüber den in der Berufsbildung erworbenen Kompetenzen sinken.
  • Das Profil der Hochschulbildung als wissenschaftliche Qualifikation zum Schöpfen neuen Wissens neuer Methoden und neuer Problemlösungen würde geschwächt.
  • Der Druck zur Deregulierung des Zugangs zum Hochschulbereich würde so groß, dass realistische Anforderungen an die Vorqualifikation aus dem Blick geraten und Studierende wie Hochschulen überfordert würden. Notwendige Nachqualifikationen wären nicht leistbar und das Qualitätsniveau von Lehre und Studium müsste sinken.

Profile der Bildungsbereiche zum Ausgangspunkt nehmen


Die unterschiedlichen Profile der Bildungsbereiche müssen als Ausgangspunkt einer bildungsbereichsübergreifenden Verständigung gewählt werden. Für die deutsche Hochschulbildung sollte der DQR den Qualifikationsrahmen für die deutschen Hochschulabschlüsse einbeziehen: Er benennt fachübergreifende Deskriptoren für mehr als 10.000 deutsche Studiengänge sowie für die Promotion, die zudem international mit 46 Bologna-Staaten abgestimmt sind und deren Einhaltung in aufwändigen Akkreditierungsverfahren für einzelne Programme und/oder Lernorte überprüft wird.

  • In der Schulbildung und in der Beruflichen Bildung sollten ebenfalls Rahmenwerke erarbeitet werden, die das Profil des jeweiligen Bildungsbereichs verdeutlichen und für die unterschiedlichen Qualifikationen profilgerechte Deskriptoren sowie eine nachvollziehbare Einordnung bieten. Sie können dann auch Referenz für die Entwicklung von Qualifikationsprogrammen und für Reformdebatten sein.
  • Es sollten Qualitätssicherungssysteme entwickelt, bzw. bestehende Systeme dokumentiert werden, die das Erreichen der in den Deskriptoren beschriebenen Qualifikationsziele in den Bildungsgängen verlässlich und transparent überprüfen.
  • Auf dieser Grundlage können die jeweiligen Teilsysteme ins Verhältnis gesetzt und Zuordnungsverfahren, die auf gegenseitigem Vertrauen basieren, entwickelt werden. Dazu werden die bereichsspezifischen Rahmenwerke und die Qualitätssicherungssysteme von bildungsbereichsübergreifenden Teams begutachtet.
  • Die Hochschulen werden gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz ihren Qualifikationsrahmen in der Perspektive der bildungsbereichsübergreifenden Verständigung weiterentwickeln.

Der Prozess der Erarbeitung des DQR muss so gestaltet werden, dass dieser auch von den Hochschulen akzeptiert werden kann. Dies kann nötigenfalls länger dauern als geplant. Es muss besser gelingen, sich bildungsbereichsübergreifend zu verständigen und die unterschiedlichen Akteure jeweils angemessen zu beteiligen.