Zur Vorbereitung des 6. Rahmenprogramms für Forschung und technologische Entwicklung der Europäischen Union


Stellungnahme des 89. Senats vom 25. Januar 2000


In einem zusammenwachsenden Europa, das über die Grenzen der derzeitigen Europäischen Union hinausgeht, kommen Ausbildung und Forschung besondere Bedeutung zu. Die ersten Ergebnisse zur Beteiligung der Beitrittskandidaten am 5. Rahmenprogramm für Forschung und technologische Entwicklung zeigen dies bereits deutlich. Der Senat der Hochschulrektorenkonferenz fordert deshalb, die folgenden Punkte bei der Vorbereitung und Ausgestaltung des künftigen 6. Rahmenprogramms für Forschung und technologische Entwicklung der Europäischen Union zu berücksichtigen.


EU-Forschungsprogramme sollten auf eigene spezifische Ziele und Probleme ausgerichtet sein, die die Forschung im Rahmen der Mitgliedsstaaten ergänzen und die aus wissenschaftsimmanenten oder finanziellen Gründen nicht auf der Ebene der Mitgliedsstaaten mit Aussicht auf Erfolg angegangen werden können. Die Förderung sollte sich konzentrieren auf grenzüberschreitende Projekte, die aus ihrer Natur heraus auf internationale Kooperation angewiesen sind, oder auf Vorhaben mit einem Mittelaufwand, der die Leistungsfähigkeit der einzelnen Mitgliedsstaaten übersteigt.


Die EU-Forschungspolitik ist von der Entwicklung der EU her auf eine Förderung orientiert, die im Großen und Ganzen wirtschaftsbezogen ist. Das F&E-Rahmenprogramm sollte jedoch den Schwerpunkt auf eine nachhaltige Entwicklung und Förderung der europäischen Wissensbasis legen, um die EU langfristig im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig zu halten. Dies erfordert künftig eine stärkere Orientierung der Förderung an qualitätsgeleiteter Begutachtung, bei der Kohäsionsaspekte - wenn überhaupt - allenfalls nachrangig eine Rolle spielen dürfen.


Daraus folgt für die Konzeption von Rahmenprogrammen für Forschung und technologische Entwicklung der EU:

  • Konzentration auf Qualität der Projekte (keine Subvention industrieller Entwicklungsvorhaben),
  • Konzentration auf langfristige Sicherung der wissenschaftlichen und daraus folgend der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit der EU und deshalb Vorrang für die Entwicklung und Beherrschung von Technologien statt Produktentwicklung,
  • Konzentration auf Nachwuchsausbildung und Sicherstellung hierfür geeigneter Maßstäbe und Verfahren der Qualitätsbeurteilung.

Eine strukturelle Ausrichtung des 6. Rahmenprogrammes und vor allem seiner Durchführung an diesen Grundsätzen hält die HRK für unerlässlich. Diskussionsfähig sind indes die fachlichen Schwerpunkte der einzelnen Rahmenprogramme. Hier sind jeweils der Stand der Wissenschaft und die wirtschaftliche Lage zu berücksichtigen und miteinander in Bezug zu setzen.Die Hochschulen repräsentieren als Gesamtheit die Breite aller wissenschaftlichen Disziplinen.


Sie allein können auch den wissenschaftlichen Nachwuchs (Doktoranden) für im Hinblick auf die europäische Wettbewerbsfähigkeit zukunftsrelevante Gebiete qualifizieren. Die Hochschulen sind deshalb grundsätzlich in der Lage, an Forschungsförderung zu partizipieren, die auf den obengenannten Grundsätzen basiert. Insbesondere sind sie in der Lage, sich an transdisziplinären Projekten zu beteiligen, die vielfach wissenschaftlich und langfristig auch wirtschaftlich von besonderem Interesse sind.


Die Beteiligung deutscher Forscher am 5. Rahmenprogramm darf aufgrund der ersten einschlägigen Daten der EU-Kommission positiv bewertet werden. Das Positionspapier der Bundesregierung zum 5. Gemeinschaftlichen Rahmenprogramm wird von der HRK, basierend auch auf einer Empfehlung der Confederation of European Union Rectors` Conferences, nach wie vor mitgetragen.In diesem Zusammenhang plädiert die HRK nachdrücklich

  • für eine noch stärkere Mittelkonzentration auf hochaktuelle und zukunftsweisende Forschungsfelder, in denen sich rasch Verwertungsmöglichkeiten abzeichnen (können), die Entwicklungsdauer eines Forschungsergebnisses bis zur Marktreife jeweils kurz ist und global (harter) Wettbewerb besteht,

  • für Beibehaltung und möglichst Ausbau des IHP-Programms, das in besonderem Maße Nachwuchsförderung und auch die Möglichkeit eröffnet, zukunftsträchtige Gebiete relativ zügig aufzugreifen und gegebenenfalls für andere Bereiche des Rahmenprogramms nutzbar zu machen.

Die Durchführung der Programme erscheint am dringlichsten verbesserungsbedürftig im Bereich der Begutachtung. Dies gilt vor allem für die Entwicklung und Anwendung gleichwertiger Kriterien für die Beurteilung verschiedener "centers of excellence".


Eine transparente und an den Kriterien der Wissenschaftlichkeit orientierte Begutachtung wird um so wichtiger, je mehr Mittel für Stipendien (und Grundlagenforschung) an solche Zentren vergeben werden sollen. Das Begutachtungsverfahren muss deshalb auf eine breitere Basis gestellt und transparenter ausgestaltet werden. Hierbei muss künftig die deutsche Wissenschaft selbst auf eine deutlich angemessenere Beteiligung ihrer Spitzenforscher hinwirken.


Derzeit scheint die EU-Kommission nicht bereit zu sein, die für die Förderung dieses Teils eines neuen Rahmenprogramms erforderlichen und ausschließlich qualitätsgeleiteter wissenschaftlicher Begutachtung zu unterwerfenden Finanzmittel einer Selbstverwaltungsorganisation der Wissenschaft nach Art der DFG zur autonomen Verwendung zu übertragen, zumal in vielen Mitgliedstaaten der EU eine Forschungsförderung nach den Grundsätzen der DFG nicht etabliert ist.


Art. 171 des Amsterdamer Vertrags lautet: Die Gemeinschaft kann gemeinsame Unternehmen gründen oder andere Strukturen schaffen, die für die ordnungsgemäße Durchführung der Programme für gemeinschaftliche Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration erforderlich sind.Ein "gemeinsames Unternehmen" nach Art. 171 Amsterdamer Vertrag - z. B. als "European Research Council", wenn nicht eine bereits bestehende Einrichtung wie die ESF, sofern deren Mitglieder sich dazu bereit erklären, deren Funktionen übernehmen kann - könnte jedoch die Möglichkeit bieten, eine wissenschaftsgeleitete Schwerpunktförderung auf europäischer Ebene nach den o. g. Grundsätzen als Teil eines langfristig angelegten Teils eines 6. Rahmenprogramms unter Beteiligung der EU-Kommission und der Mitgliedsstaaten zu realisieren. Dass die EU-Kommission die ursprünglich dem oben geschilderten Zweck gewidmete ESTA nicht wieder belebt hat, macht dieses Anliegen um so dringlicher.


Auf der fachlichen Ebene dürfte eine weitere Konzentration nicht nur auf Fördermaßnahmen ("Leitaktionen"), sondern auch auf die Anzahl der geförderten Institutionen sinnvoll sein. Ziel muss es sein, innerhalb der Europäischen Union besonders herausragende Forschungszentren zeitlich befristet als "centers of excellence" so zu stärken, dass diese den Wettbewerb mit vergleichbaren Einrichtungen (etwa in USA oder Japan) bestehen. Nach Auffassung der HRK dürften auch große Institute oder engagierte Departments ihrer Mitgliedshochschulen auf eigenen Antrag hin grundsätzlich in der Lage sein, als entsprechende centers of excellence zu agieren. Dabei sollte das Zusammenwirken mit benachbarten außeruniversitären Forschungseinrichtungen - wie auch im umgekehrten Fall mit den Hochschulen - selbstverständlich sein.


Besondere Bedeutung kommt aus der Sicht der HRK in einem 6. Rahmenprogramm für Forschung und technologische Entwicklung der Einbeziehung der Kultur- und Sozial­wissenschaften zu. Europa lebt nicht allein als Wirtschaftsgemeinschaft, sondern ist für seine weitere Entwicklung entscheidend auf mehr gemeinsames Wissen um Geschichte und Kultur im weitesten Sinne angewiesen, die die gesellschaftliche, aber auch die wirtschaftliche und soziale Entwicklung entscheidend prägen. Deshalb ist eine Förderung europabezogener grenzüberschreitender wissenschaftlicher Projekte aus den Sozial- und Kultur­wissenschaften, die ihrer Fragestellung nach nicht in den jeweils einzelnen Mitgliedsstaaten der EU bearbeitet werden können, im Rahmenprogramm außerordentlich sinnvoll.