Zur Situation der Studierenden nach Inkrafttreten der 18. BAföG-Novelle und des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes (WFG)


Stellungnahme des 180. Plenums vom 4. November 1996



I.


Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hat in ihrer Stellungnahme zu den geplanten Änderungen des BAföG vom 13. November 1995 insbesondere vor einer Umstellung des Darlehensanteils auf ein privates Bankdarlehen gewarnt. Zwar sieht die Regelung im 18. Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) vom 17. Juli 1996 vor, Ausbildungsförderung für eine erste Ausbildung innerhalb der Förderungshöchstdauer auch weiterhin je zur Hälfte als Zuschuß und als unverzinsliches Darlehen zu gewähren und erfüllt damit eine wesentliche Forderung der HRK. Allerdings haben viele Studierende bis zu vier Monate lang keine Förderungsbeträge ausgezahlt erhalten. Darin zeigt sich die Fragwürdigkeit einer Neuregelung ohne ausreichende Vorbereitung.


Schwerwiegender als die Übergangsprobleme stellen sich die durch die Neuregelungen insbesondere im Hinblick auf ein Studium im Ausland, die Mitwirkung der Studierenden in Hochschulgremien und die Studienabschlußförderung geschaffenen Unzulänglichkeiten dar. Sie führen zu unvertretbaren Einschränkungen bei der Förderung der Studierenden.


1. Anpassung der Förderungshöchstdauer an die Regelstudienzeit


Die HRK sieht - wie schon in der Stellungnahme vom 13. November 1995 ausgeführt - die Anpassung der Förderungshöchstdauer an die Regelstudienzeit grundsätzlich als notwendig an. Mit der durch das Gesetz vom 17. Juli 1996 erfolgten Anpassung und Geltung der kürzeren Förderungshöchstdauern für alle Studierenden, die zum Wintersemester 1996/97 das 5. Fachsemester noch nicht begonnen haben, werden Studierende für ein Überschreiten der Förderungshöchstdauer mit der Umstellung der Förderung auf Bankdarlehen bestraft, selbst wenn sie die Gründe für die Überschreitung nicht zu verantworten haben. Von der Regelung sind größtenteils Studierende betroffen, die schon mehrere Semester studieren und damit ihre Studienplanung auf die noch bis zum Sommer 1996 bestehenden Förderungshöchstdauern abgestellt hatten. Die Reduzierung der Förderungshöchstdauer in der ihnen verbleibenden Zeit aufzufangen, dürfte den meisten von ihnen unmöglich sein.


Aus Gründen des auf den bisherigen gesetzlichen Regelungen basierenden Vertrauensschutzes sollte deshalb die verkürzte Förderungshöchstdauer nur für diejenigen Studierenden gelten, die zum Wintersemester 1996/97 das 1. Fachsemester beginnen.


2. Förderungshöchstdauer und Auslandsstudium


Mit der 18. BAföG-Novelle entfällt die bisherige Regelung, daß bis zu zwei Semester im Ausland nicht auf die (reduzierte) Förderungshöchstdauer angerechnet werden. Dies bedeutet, daß für eine Überschreitung der Förderungshöchstdauer aufgrund eines Auslandsstudiums entweder keine oder nur Ausbildungsförderung in der Form des verzinslichen Bankdarlehens gewährt wird.


Diese Regelung widerspricht der von Politik und Wirtschaft erhobenen Forderung, deutsche Studierende müßten sich im Hinblick auf einen sich stärker globalisierenden Arbeitsmarkt international ausrichten. Immer mehr deutsche Studierende erkennen die Notwendigkeit und Bereicherung internationaler Mobilität. Es gilt, die daraus resultierende Bereitschaft zum Auslandsstudium auch für BAföG-Empfänger zu fördern. Die Neuregelung wird aber viele BAföG-Empfänger von einem Auslandsstudium abhalten.


Die HRK fordert deshalb, in Fortführung der bisher geltenden Regelung bis zu zwei Auslandssemester nicht auf die Förderungshöchstdauer anzurechnen.


3. Förderungshöchstdauer und Gremientätigkeit


Bisher wurden Studierende, die in den gesetzlich vorgesehenen Hochschulgremien tätig werden, für eine angemessene Zeit wegen des damit verbundenen Zeitaufwandes über die Förderungshöchstdauer hinaus gefördert. Ab August 1996 können sie bei Überschreiten der Förderungshöchstdauer nur noch ein verzinsliches Bankdarlehen erhalten.


Es ist davon auszugehen, daß dadurch die Zahl der Studierenden, die sich hochschulpolitisch engagieren, weiter sinken wird. Die Aufstellung von Kandidaten für die studentische Gremienarbeit wird erschwert und ist nicht mehr unabhängig von den individuellen Einkommens- und Vermögensverhältnissen.


Die HRK fordert deshalb die Wiedereinführung der bis August 1996 geltenden Regelung.


4. Förderungshöchstdauer und Studienabschlußförderung


Die zwölfmonatige Studienabschlußförderung soll Studierenden in der Endphase des Studiums die Möglichkeit geben, sich ohne Erwerbstätigkeit auf den Abschluß des Studiums zu konzentrieren. Dieses Ziel wird zwar mit der Gewährung eines verzinslichen Darlehens erreicht. Die Neuregelung stellt aber eine Änderung der bisherigen Regelungen dar, die nur dann sachlich zu rechtfertigen wäre, wenn die Überschreitung der Förderungshöchstdauer vom Studierenden zu verantworten wäre. Hiervon kann jedoch bei den gegebenen Rahmenbedingungen nicht ausgegangen werden.


Die HRK fordert daher angemessene Übergangsregelungen - vgl. Ziffer 1.


II.


Bund und Länder haben sich am 13. Juni 1996 auf eine Zusammenarbeit in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe zu Verwirklichung einer Strukturnovelle der Ausbildungsförderung geeinigt und festgelegt, sie im Zusammenhang mit der Steuerreform bis zum Ende des Jahres 1998 zu verwirklichen.


Die HRK stellt mit Bedauern fest, daß die Konstituierung dieser Bund-Länder-Arbeitsgruppe erst in der 2. Hälfte November erfolgen soll. Die HRK fordert Bund und Länder auf, noch im Jahr 1996 die Sacharbeit aufzunehmen und die HRK und das DSW in der Arbeitsgruppe zu beteiligen.


III.


Art. 1 Nr. 2 des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes (WFG) vom 13.9.1996 hat - im Zusammenhang mit der Verkürzung der Anrechnung von Ausbildungszeiten - die in § 5 Abs. 2 SGB VI festgelegte Befreiung der Studierenden bei einer mehr als geringfügigen Nebenerwerbstätigkeit (mehr als 590,- DM monatlicher Verdienst) von der Rentenversicherungspflicht aufgehoben. Diese Beseitigung der Rentenversicherungsfreiheit wird ca. 300.000 Studierende betreffen. Unter ihnen sind etwa 87.000 studentische Hilfskräfte und eine nicht unerhebliche Zahl ausländischer Studierender, die über das Jahr hinweg auf kontinuierliche Einkünfte zur Mitfinanzierung des Studiums angewiesen sind.


Zwar entstehen durch die von den Studierenden entrichteten Beiträge Rentenanwartschaften. Diese sind indes so niedrig bemessen, daß es nicht gerechtfertigt erscheint, die Einkünfte der Studierenden zu dem Zeitpunkt zu vermindern, in dem sie auf diese Mittel angewiesen sind, um ihr Studium zügig durchzuführen. Die gleichwohl vorgetragene arbeitsmarktpolitische Begründung, Studierende müßten rentenversicherungsrechtlich wie andere Nebenerwerbstätige behandelt werden, um Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der Nichtstudierenden zu vermeiden, setzt eine Konkurrrenzsituation voraus, die ganz überwiegend nicht besteht.


Ein früher Studienabschluß würde durch eine entsprechende frühere qualifizierte Berufstätigkeit zu höheren Beiträgen zur Rentenversicherung führen. Die Hochschulabsolventen könnten auch durch Nachzahlungen oder die zeitweise Erbringung höherer Beiträge ihre Rentenanwartschaften sichern und gleichzeitig mit dazu beitragen, die Finanzen der Rentenversicherung zu konsolidieren.


Der für die studentischen Hilfskräfte in den Ländern der Bundesrepublik aufgrund der Neuregelung durch das Gesetz vom 13 September 1996 von den Hochschulen zu zahlende Arbeitgeberanteil wird mehrere 10 Mio DM pro Jahr betragen. In politischen Kreisen wird erwogen, darüber hinaus auch die Nebenerwerbstätigkeit bis zu 590,- DM/Monat rentenversicherungspflichtig zu gestalten. Ein erheblicher Teil wissenschaftlicher und studentischer Hilfskräfte ist in diesem Rahmen tätig. Die Realisierung solcher Pläne würde wegen des zu zahlenden Arbeitgeberanteils die Hochschuletats noch weit stärker als die Folgen des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes belasten.


Angesichts der gegenwärtigen und absehbaren Situation der Länderhaushalte ist die Bereitstellung zusätzlicher Mittel für den Arbeitgeberanteil nicht zu erwarten. Deshalb würde die Zahl der beschäftigten studentischen und wissenschaftlichen Hilfskräfte nochmals drastisch reduziert werden müssen. Die Folge wäre, daß die von ihnen wahrgenommenen Funktionen - u.a. im Bereich von Tutorien sowie im Bereich der zur Verlängerung der Öffnungszeiten organisierten Bibliotheks- und Seminaraufsicht - nicht in der bisherigen Weise aufrechterhalten werden können. Dies wird zu einer weiteren Verlängerung der Fachstudiendauern an deutschen Hochschulen, insbesondere den Universitäten, führen.


Die HRK warnt daher davor, solche Überlegungen weiter zu verfolgen, da sie zu massiven Einbußen der Möglichkeit einer Beschäftigung studentischer und wissenschaftlicher Hilfskräfte und damit zu weiteren negativen Auswirkungen für Studium und Lehre führen müssen.