Zur Einführung der Vollkostenrechnung an deutschen Hochschulen


Entschließung der 2. HRK-Mitgliederversammlung am 27.11.2007



1. Ausgangsposition


Das Potenzial der Hochschulen kann sich nur in optimaler Weise entfalten, wenn sie den Charakter nachgeordneter Einrichtungen der Bundesländer überwinden und im Wettbewerb untereinander und mit anderen Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen Bildung und Forschung weitestgehend autonom managen. Eine staatliche Detailsteuerung, die auf möglichst einheitliche Vorgaben für alle Hochschulen und auf die Unterdrückung von Wettbewerbselementen abzielt, führt zu einer profillosen Hochschullandschaft, die den Anschluss an internationale Spitzeneinrichtungen verliert.


Diese sich seit Beginn der neunziger Jahre durchsetzende Erkenntnis führte zu einem Paradigmenwechsel im Hochschulbereich. Vergrößerte Entscheidungsspielräume für die Hochschulen und mehr Finanzautonomie auf der einen Seite verbunden mit verbesserter Rechenschaftslegung gegenüber der staatlichen Seite setzten sich mehr und mehr durch.


Das Haushaltswesen der Hochschulen hat sich in diesem Zeitraum beträchtlich gewandelt. Die Flexibilität der Hochschulhaushalte wurde erhöht. Der Detaillierungsgrad der Vorgaben wurde reduziert, die weitgehende gegenseitige Deckungsfähigkeit von Personal- und Sachmitteln realisiert, ebenso die Übertragung von Haushaltsresten in das folgende Haushaltsjahr sowie das Wirtschaften mit eigenen Einnahmen. Diese Deregulierung war, auch wenn sie oft mit Einsparauflagen verbunden war, ein Gewinn für die Hochschulen. Die neuen Regelungen erlauben den Hochschulen, ihre finanziellen Mittel zielgenauer einzusetzen als dies im System der starren Zuordnung bestimmter Mittel zu bestimmten Gruppen möglich gewesen wäre. Um die Möglichkeit aber ausreizen zu können, müssen die Hochschulen ihr betriebswirtschaftliches Instrumentarium weiterentwickeln.


2. Anforderungen an das Rechnungswesen der Hochschulen

a. Betriebswirtschaftliches Entscheidungsinstrumentarium für die Hochschule

Während im Rahmen kameralistischer Vorgaben genau festgelegt ist, welche Beträge für welche Zwecke in welchem Zeitrahmen auszugeben sind, haben die Hochschulen in einem auf Wettbewerb und Finanzautonomie basierenden System Entscheidungsalternativen. Um rationale Entscheidungen treffen zu können, benötigen sie eine genaue Übersicht über die Kosten (z.B. Kosten eines Studiengangs oder eines bestimmten Verwaltungsvorgangs). Dies ist zum Beispiel wichtig im Rahmen der Profilierungsentscheidungen der Hochschule.Auch bei der Akquisition von Drittmitteln muss die Hochschule in der Lage sein, Projektkosten angemessen zu kalkulieren und kostendeckende Preise zu vereinbaren. Eine permanente Bezuschussung entsprechender Projekte kann sich bei der heute gegebenen Unterfinanzierung keine Hochschule leisten. Darüber hinaus benötigt die Hochschule geeignete Unterlagen, um die Kosten und Preise von Weiterbildungsangeboten zu kalkulieren oder um entscheiden zu können, ob sie bestimmte Dinge selbst machen oder Firmen damit beauftragen soll (Outsourcing-Entscheidungen). Auf entsprechende Zahlen und Fakten drängt auch der Hochschulrat, der die Hochschule in Fragen der strategischen Planung und der Beurteilung und Analyse wirtschaftlicher Zusammenhänge unterstützt.

b. Kaufmännisches Rechnungswesen und Kosten-Leistungs-Rechnung für die externe Rechenschaftslegung

Dem Land als Hauptgeldgeber muss die Hochschule die Wirtschaftlichkeit ihres Handelns nachweisen, es interessiert sich vor allem für die Kosten einzelner Studiengänge. Die Finanzverwaltung verlangt für die Steuerberechnung einen Nachweis über Einnahmen und Ausgaben auf der Basis des kaufmännischen Rechnungswesens. Im Zuge der Einführung von Studiengebühren werden auch Studierende wissen wollen, ob die Gebühren tatsächlich für die Lehre eingesetzt werden oder ob sie vornehmlich für andere Zwecke verausgabt werden. Bemüht die Hochschule sich um Mittelzuwendungen von Privaten oder Unternehmen (Fundraising), so ist es für die Geldgeber von Bedeutung, wie wirtschaftlich die Hochschule mit ihren Mitteln umgeht.

c. Vollkostenrechnung als Voraussetzung für die Einwerbung von Forschungsmitteln auf europäischer Ebene

Nicht zuletzt knüpft die Europäische Kommission die Vergabe von Mitteln im Rahmen des 7. Europäischen Forschungsprogramms an den Nachweis der Kosten inklusive einer Aufschlüsselung der indirekten Kosten auf der Basis eines Vollkostenansatzes. Von der Möglichkeit, diese Kosten zu erfassen und nachzuweisen, hängt also zumindest mittelfristig die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Hochschulen ab. Zwar konnte für die Abrechnung im 7. Forschungsrahmenprogramm noch ein vereinfachtes Verfahren auf der Basis der heutigen Rechnungslegung vereinbart werden, langfristig wird die Einwerbung der Kosten von Forschungsprojekten jedoch nur auf der Basis einer Vollkostenkalkulation erfolgen können.


3. Unzulänglichkeiten der Kosten-Leistungsrechnung und der Rechnungslegung der Hochschulen

Den vielfältigen Anforderungen kann nur eine voll entwickelte und zuverlässige Kosten-Leistungs-Rechnung gerecht werden, die eine projektgenaue Zuordnung von Einzelkosten vornimmt. Falls für eine bestimmte Fragestellung weitere Informationen benötigt werden, müssen diese, soweit möglich, ohne Effizienzverluste generierbar sein. Wenn die Hochschule sich auf neue Anforderungen einstellen muss, müssen auch diese durch das Rechnungswesen flexibel unterstützt werden. Dazu ist allein ein integriertes, auf kaufmännischer Buchführung basierendes System der kaufmännisch orientierten Rechnungslegung, natürlich unter Berücksichtigung der besonderen Belange der Hochschulen, in der Lage.


Bis zum jetzigen Zeitpunkt verfügt erst ein kleiner Teil der Hochschulen über das entsprechende Instrumentarium. Zwar ist eine Kosten-Leistungs-Rechnung mittlerweile flächendeckend in allen Bundesländern vorgesehen. In der überwiegenden Zahl der Länder sind die Hochschulen aber weiterhin auf das kameralistische Rechnungswesen festgelegt. Die Entwicklung einer Kosten-Leistungsrechnung auf dieser Basis ist jedoch problematisch, weil im Rahmen der Kameralistik nicht der tatsächlich entstehende Aufwand, sondern nur die Zahlungsvorgänge erfasst werden. Die Darstellung des Vermögenshaushaltes und seiner Entwicklung (Abschreibungen) ist nicht vorgesehen. Diese Betrachtungsweise, die lediglich die auf Zahlungsvorgängen beruhenden Einnahmen und Ausgaben erfasst, erlaubt nur den Vergleich zwischen bewilligten Mitteln und tatsächlichen Ausgaben, sie gibt jedoch keinen Aufschluss darüber, was eine bestimmte Leistung kostet. Insofern sind entweder fortlaufend Ergänzungs- und Überführungsrechnungen erforderlich, die aufwändig und fehleranfällig sind oder die Hochschulen sind gezwungen, Kameralistik und betriebswirtschaftliches Rechnungswesen parallel zu betreiben, was mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden ist. Die Bereitschaft der kameralistisch orientierten Länder, die Hochschulen in die Autonomie zu entlassen und zu selbständig handelnden wirtschaftlichen Einheiten zu machen, ist nicht in letzter Konsequenz vorhanden. Sie bleiben weiterhin Teil der staatlichen Verwaltung. Das Interesse an einer einheitlichen Landesverwaltung, die die Hochschulen umfasst, ist stärker als das Interesse an der Entwicklung eines geeigneten Steuerungsinstrumentariums der Hochschulen.


In einem Teil der Bundesländer wurde das kaufmännische Rechnungswesen eingeführt, sei es verpflichtend oder optional. Jedoch auch in diesen Ländern verhindern Vorgaben, dass die Vorzüge des betriebswirtschaftlichen Rechnungswesens voll zum Zuge kommen. Das liegt daran, dass bestimmte Vorgänge nicht mit den tatsächlichen Kosten, sondern mit vorgegebenen Kostensätzen erfasst werden müssen. Insofern bleibt eine Kosten-Leistungsrechnung im Rahmen einer normierten Kostenbetrachtung mit jeweils länderspezifisch standardisierten Kostensätzen und Schlüsseln, womit ihr nur eine beschränkte Aussagefähigkeit zukommt. Sie ist deshalb kaum für die Beurteilung interner Prozesse brauchbar und sie eignet sich auch nicht für den Vergleich mit anderen Hochschulen in anderen Bundesländern. Damit wird die Möglichkeit eines Benchmarkings der Hochschulen verhindert, das das interne Steuerungsinstrumentarium der Hochschulen sinnvoll ergänzen würde. Kosten- und Ausstattungsvergleiche wären aber auch für die Hochschulträger und für die Öffentlichkeit von Interesse, um Aufschlüsse über das Verhältnis von Aufwand und Leistungen im Hochschulbereich zu erhalten.


So bewegt sich die Mehrzahl der Hochschulen heute im Spannungsfeld zwischen kameralistischer Verankerung, der Erwartung der Öffentlichkeit, möglichst effizient und wirtschaftlich zu handeln, der Verpflichtung zu einer Kosten-Leistungsrechnung, die unter den gegebenen Bedingungen nur eingeschränkt möglich ist, und der Forderung nach einem Nachweis entstandener Kosten auf der Basis einer Vollkostenrechnung auf europäischer Ebene. Die Hochschulen sollen wirtschaftlich handeln, können aber nicht genau beziffern, wie viel ein neuer Studiengang mit einer bestimmten Anzahl von Studienanfängern kostet, sie wissen nicht, welche durchschnittlichen Kosten ein Studierender in einem bestimmten Studiengang, noch welche Grenzkosten ein zusätzlicher Studierender verursacht, noch können sie auf der Basis einer verlässlichen Grundlage entscheiden, ob bestimmte Dienstleistungen intern erbracht oder extern vergeben, noch wann nach wirtschaftlichen Kriterien ein neues Großgerät angeschafft werden sollte. Mit der fehlenden Kostentransparenz sind die entscheidenden Informationen für einen optimierten Ressourceneinsatz nicht gegeben.


Erst recht ergeben sich Probleme beim Agieren im internationalen Raum. Im Rahmen des 7. EU-Forschungsrahmen-Programms wird ein vollständiger Aufriss der Kosten von Forschungsprojekten erwartet, den die deutschen Hochschulen gegenwärtig nicht leisten können. Ihnen fehlt es aber nicht nur am geeigneten betriebswirtschaftlichen Instrumentarium, als nachteilig wirkt sich vor allen Dingen auch aus, dass bestimmte Kostengrößen gar nicht in die Rechnungslegung der deutschen Hochschulen eingehen. Über Abschreibungen, Gebäudekosten und Versorgungszuschläge hinaus können auch keine kalkulatorischen Zinsen angesetzt werden, die durch eine Kreditfinanzierung entstehen würden. Damit werden die Leistungen deutscher Hochschulen systematisch "billiger" als die in anderen Ländern, obwohl sie es natürlich faktisch nicht sind. Sie können aber nur Mittel in dem Umfang einfordern, der von ihnen nachgewiesen werden kann. Insofern beeinträchtigt der kameralistische Ansatz die Hochschulen nachhaltig in ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit.


4. Forderungen an die künftige Gestaltung des Rechnungswesens der Hochschulen

a. Die Hochschulrektorenkonferenz fordert die Länder auf, die Hochschulen auf Basis verbindlich gesicherter Haushalte in die wirtschaftliche Unabhängigkeit zu entlassen. Es reicht nicht, ihnen größere Haushaltsflexibilität zu geben. Sie müssen auch in die Lage versetzt werden, betriebswirtschaftlich zu handeln. D.h. die Länder müssen die Hochschulen aus der kameralen Finanzverfassung entlassen und in die betriebswirtschaftliche Rechnungslegung überführen. Die Hochschulen müssen in die Lage versetzt werden, alle Kosten, die mit ihrer Leistungserbringung verbunden sind, auch tatsächlich zu beziffern und mit den Ist-Werten in die Berechnung einzubringen. Dazu gehört, dass in die finanzielle Betrachtung die Kosten für die Gebäude und deren Erhalt (die insgesamt bis zu 25 Prozent der Gesamtkosten ausmachen), Abschreibungen, Versorgungszuschläge und ggf. kalkulatorische Zinsen vollständig einbezogen werden. Die Ausgestaltung der betriebswirtschaftlichen Rechnungslegung sollte Sache der Hochschulen selbst sein.

b. Die heute bestehende Hochschulfinanzstatistik muss langfristig den neuen Anforderungen angepasst werden. Sie darf nicht als Argument gegen eine Überführung der Hochschulen in die doppelte Buchführung verwendet werden.

c. Hinsichtlich der Ausgestaltung des Rechnungswesens der Hochschulen muss der Grundsatz gelten, soviel Standardisierung über Hochschul- und Ländergrenzen hinaus wie nötig, soviel Varietät wie mit den Anforderungen, die an sie gestellt werden (vor allem hinsichtlich Benchmarking, Vergleiche etc.) verträglich ist. Grundsätzlich sorgt eine Orientierung am Industriekontenrahmen bereits für eine Standardisierung, die auch für die Rechnungslegung in internationalen Projekten erforderlich ist. Darüber hinaus ergeben sich bestimmte Vorgaben aus dem vorhandenen Softwareangebot.

d. Die Hochschulrektorenkonferenz empfiehlt, langfristig eine Vollkostenrechnung nach dem angelsächsischen Modell, d.h. im Sinne eines Umsatz-Kosten-Verfahrens einzuführen. Als Übergangslösung kann das Gesamtkostenverfahren eine Alternative darstellen.

e. Die Umstellung des Verfahrens wird in der Anfangsphase mit erheblichen Kosten verbunden sein. Dieser Umstellungsprozess wird sich aber langfristig lohnen. Die anfänglichen Investitionen in geeignete EDV-Programme und in die notwendige Schulung von Mitarbeitern werden durch den Zuwachs an Transparenz über die Kostenstrukturen sowie den Zugewinn an ökonomisch basierten Entscheidungsinstrumenten mehr als wettgemacht.

f. Auch für kleinere Hochschulen hat die Umstellung Vorteile, sie müssen ebenfalls in die Lage versetzt werden, die Kosten ihrer Leistungen im Einzelnen genau zu kennen. Um den zu erwartenden technischen Aufwand möglichst gering zu halten, sollten Verbundlösungen mit größeren Hochschulen gefunden werden.

g. Zur Beschleunigung des Verfahrens müssen mittelfristig auch deutsche Vergabeorganisationen auf das Vollkostenverfahren umstellen. Die kameralistisch motivierten Verwendungsnachweise mit der Einteilung in Personalmittel und Reisekosten etc. müssten dementsprechend entfallen.

5. Zum weiteren Vorgehen


Der Kreis der Universitätskanzler hat in seinen Greifswalder Beschlüssen aus dem Jahre 1999 Handreichungen erarbeitet, die auf eine Reform des Rechnungswesens der Universitäten abzielten. So wurden u.a. Grundsätze für die Weiterentwicklung bzw. Ablösung des kameralen Rechnungsrahmens entwickelt, die größere Kostentransparenz und Leistungsvergleiche innerhalb und außerhalb der Universitäten möglich machen sollten. Auf der Basis des Industriekontenrahmens wurde ein Kontenplan für den Hochschulbereich entwickelt. Diese Arbeiten sollten auf der Basis der sich wandelnden staatlichen Vorschriften fortgesetzt werden.


Die Hochschulrektorenkonferenz wird sich im Rahmen von Workshops um einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch und um Hilfestellung für die Hochschulen bemühen. Die Ausgestaltung des betriebswirtschaftlichen Rechnungswesens wird schrittweise zu erfolgen haben. Sie hängt davon ab, wie sich bestimmte Regelungen auswirken und welche neuen Anforderungen an die Hochschulen gestellt werden.


Im Mittelpunkt muss das Ziel stehen, die Hochschulen mit einem betriebswirtschaftlichen Instrumentarium zu versorgen, das ihnen einen effizienten Einsatz ihrer Mittel erlaubt und ihre Wettbewerbsfähigkeit im nationalen und internationalen Rahmen verbessert.





Anlagen


Zur Einführung der Vollkostenrechnung an deutschen Hochschulen [Größe 0.07 MB, Typ de/web/de/download/dateien/Entschliessung_Kostenrechnung_27-11-07]