Offener Brief an die Vorsitzenden der Bundesstaatskommission


Gemeinsames Schreiben der Präsidenten und Vorsitzenden


vom 9.12.2004


Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Stoiber,
Sehr geehrter Herr Parteivorsitzender Müntefering,


die in der Allianz zusammengeschlossenen Wissenschafts­organisationen begrüßen den sich abzeichnenden Konsens über die gemeinsame Verantwortung von Bund und Ländern für die Forschungsförderung. Klärungsbedarf besteht aber weiterhin in einer Reihe von für die Entwicklungsfähigkeit des Wissenschaftssystems zentralen Bereichen. Daher appellieren die in der Allianz zusammengeschlossenen Wissenschafts­organisationen an alle politisch Zuständigen in Bund und Ländern:


Bildung und Wissenschaft sind die entscheidenden Voraussetzungen für die Zukunftsfähigkeit der kulturellen, sozialen, technologischen und wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes und damit für seinen Erfolg im zunehmenden globalen Wettbewerb. Wir sehen, dass andere Länder in Europa und darüber hinaus erheblich mehr in Bildung und Wissenschaft investieren. Wir sehen auch, dass die Leistungsfähigkeit des deutschen Bildungssystems im internationalen Vergleich nicht mehr ausreichend ist. Wir sehen schließlich, dass junge Nachwuchswissenschaftler dem Angebot attraktiverer Betätigungs- und Karrieremöglichkeiten in anderen Ländern folgen. Für den wachsenden internationalen Wettbewerb müssen wir uns besser aufstellen. Daher besteht dringender Reformbedarf - dafür bietet die gegenwärtige Föderalismus-Debatte eine einmalige Chance. Diese darf nicht vertan werden!


Wissenschaftseinrichtungen sind ebenso wie Wirtschaft und öffentliche Verwaltung auf die Rekrutierung von vorzüglich ausgebildeten jungen Menschen angewiesen. Die Reform muss vor allen Dingen zu einer Verbesserung der Rahmenbedingungen der Universitäten führen, die mit ihrem Monopol für die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses das Rückgrat unseres Wissenschaftssystems darstellen. Sie stehen in einem besonders harten Wettbewerb um Qualität in Lehre und Forschung. Ihre Autonomie muss deshalb deutlich gestärkt werden. Schon wegen der intensiven Bemühungen um die Einordnung des deutschen Studiensystems in den europäischen Hochschulraum, aber auch im Interesse der Mobilität von Studierenden und Lehrenden innerhalb Deutschlands besteht deshalb ein Erfordernis für bundesweit geltende, einheitliche Regelungen zum Hochschulzugang, den Hochschulabschlüssen, der Qualitätssicherung und dem Dienstrecht, die flexibel aktuellen Erfordernissen angepasst werden können. Strukturelle oder organisatorische Kleinstaaterei schaden der deutschen Wissenschaft und ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Das können wir uns angesichts des wachsenden internationalen Wettbewerbs in Bildung und Wissenschaft nicht erlauben.


Darüber hinaus ist die gemeinsame Grundverantwortung von Bund und Ländern für den Hochschulaus- und -neubau im Interesse der universitären wie der mit ihr vielfältig verbundenen außeruniversitären Forschung ebenso unverzichtbar wie die gemeinsame Forschungsförderung. Die Allianz erinnert an den allgemeinen politischen Konsens, den Akademisierungsgrad im Interesse der Zukunftsfähigkeit deutlich zu steigern. Auch insoweit muss also - nicht zuletzt angesichts der Lage in den neuen Ländern - die gemeinsame Finanzierungsverantwortung von Bund und Ländern zumindest für Vorhaben von gesamtstaatlicher Bedeutung erhalten bleiben.


Die Allianz der Wissenschafts­organisationen appelliert daher erneut an die Verhandlungspartner, insbesondere an Sie als Kommissionsvorsitzende, einen Weg zu suchen, der einerseits durch einen konsequenten Rückzug des Staates eine deutliche Stärkung der Autonomie der Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen bewirkt und andererseits die bundesweite Koordination der Rahmenbedingungen sichert, unter denen Lehre und Forschung in Deutschland stattfindet.


Mit freundlichem Gruß


Prof. Dr. Peter Gaehtgens


Präsident der Hochschulrektorenkonferenz
Sprecher der Allianz der Wissenschafts­organisationen