Empfehlung der 25. HRK-Mitgliederversammlung vom 6.11.2018
Nachhaltigkeit und Bildung im globalen Zusammenhang
Der Zeitraum 2005 bis 2014 wurde als "Welt-Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung" ausgerufen. In ihrer gemeinsamen Erklärung „Hochschulen für nachhaltige Entwicklung“ haben sich die Hochschulrektorenkonferenz und die Deutsche UNESCO-Kommission im Jahre 2009 zum Konzept der nachhaltigen Entwicklung bekannt. Dabei machten sie sich die Definition der Nachhaltigkeit durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen zu eigen[1]:Die gegenwärtige Generation müsse ihre Bedürfnisse befriedigen, ohne die Fähigkeit der zukünftigen Generation zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen zu können. Im globalen Zusammenhang beinhaltet Nachhaltigkeit dabei nicht nur "Generationengerechtigkeit“, sondern auch "globale Gerechtigkeit" in der Verteilung und Entwicklung von Ressourcen, Wohlstand und Lebensqualität sowie den Fokus auf die Ärmsten.
Die weltweite Staatengemeinschaft hat sich unter der Führung der UN verpflichtet, den Grundsatz der Nachhaltigkeit in allen Bereichen national und international aktiv zu fördern und politisches Handeln daran auszurichten[2]. Im Jahre 2015 wurden 17 globale Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) formuliert, die die verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit, Soziales, Umwelt und Wirtschaft, adressieren[3]. Sie stecken den Rahmen für die Bewältigung globaler Herausforderungen wie Hunger, Armut, Geschlechterungerechtigkeit, Erschöpfung der natürlichen Ressourcen, Klimawandel und die durch gewalttätigen Extremismus bedingte Vertreibung von Menschen ab. Die Umsetzung der Ziele setzt eine umfassende und tiefgreifende gesellschaftliche Transformation voraus.
Bildung spielt in diesem Veränderungsprozess eine zentrale Rolle und ist im Globalen Nachhaltigkeitsziel 4 verankert (inklusive, gerechte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern)[4]. Sie trägt als Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) dazu bei, die globalen Herausforderungen zu reflektieren, und befähigt zur Gestaltung von politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen.
2017 wurde im Zuge des UNESCO „Weltaktionsprogramms Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (2014 bis 2019) ein „Nationaler Aktionsplan“ durch die „Plattform für Bildung für nachhaltige Entwicklung“ entwickelt, der von der Bundesregierung unterstützt und entsprechend ihrer Zuständigkeiten umgesetzt werden soll.[5] Er zeigt eine Vielzahl von Möglichkeiten auf, wie die verschiedenen Stufen des Bildungsbereichs einen Beitrag zum Ziel der Nachhaltigkeit leisten können. Der empfehlende Charakter der Maßnahmen eröffnet dabei den verschiedenen Akteuren des Bildungssystems die Möglichkeit, in ihrem jeweiligen Handlungs- und Kompetenzrahmen die für sie geeigneten Instrumente auszuwählen.
Vor diesem Hintergrund greift die Hochschulrektorenkonferenz das Thema Nachhaltigkeit erneut auf und benennt in zusammenfassender Fortschreibung ihrer Erklärung aus dem Jahr 2009 die aus ihrer Sicht erfolgversprechenden Wege.
Die Verankerung des Nachhaltigkeitsziels an deutschen Hochschulen
Die Hochschulen verstehen sich als Zukunftswerkstätten der Gesellschaft und entwickeln ihre Rolle im steten Dialog mit allen gesellschaftlichen Kräften.[6] Als gesellschaftliche Akteure sind sie seit Beginn an in die Diskussion über Wege zu einer zukunftsfähigen Gesellschaft eingebunden, Hochschulangehörige leisten wichtige Beiträge zur Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen; aus der Hochschulforschung und -lehre erwachsen wichtige Beiträge zum Diskurs über Nachhaltigkeit.
Auf die Herausforderung, Lösungen zu den großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu finden und dabei einen eigenen Beitrag als Gesamtinstitution zu leisten, hat eine Vielzahl von Hochschulen reagiert. Im bundesweiten HOCH-n-Verbundprojekt und -Nachhaltigkeitsnetzwerk engagieren sich bereits knapp ein Viertel aller deutschen Hochschulen[7]. Einige Hochschulen profilieren sich über den Nachhaltigkeitsbezug[8] und haben das Thema zum Bestandteil ihrer Leitungsstruktur gemacht. Andere bekennen sich in ihren Leitbildern zur Nachhaltigkeitsverantwortung, haben Nachhaltigkeitsstrategien entwickelt, Beauftragtenstellen eingerichtet und erste Kompetenzzentren zur Umsetzung eingerichtet. Es entstehen „Green Offices“ nach niederländischem Vorbild, in denen Nachhaltigkeitsbestrebungen koordiniert werden. Auf der Basis des Nachhaltigkeitskodex des Rates für Nachhaltige Entwicklung haben Hochschulen innerhalb des Projekts HOCH-n einen hochschulspezifischen Nachhaltigkeitskodex[9] entwickelt, den erste Hochschulen zur Grundlage ihrer Berichterstattung machen. Auf Bundesebene ist zudem im Jahr 2017 die Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030 im Zuge der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie gegründet worden. In weiteren Verbünden und zahlreichen regionalen Netzwerken[10] interagieren Hochschulen im Nachhaltigkeitskontext. Studierende und Studierendengruppen nehmen bei der Nachhaltigkeitsorientierung eine aktive Rolle wahr und treiben sie oftmals voran.
Die Ansatzpunkte der Hochschulen
Hochschulen erbringen Leistungen, die für wissenschaftliche, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Innovationen von entscheidender Bedeutung sind. Sie haben dieses Potenzial, weil sie im Wissenschaftsbereich über eine einzigartige Struktur verfügen, die sich aus Forschung und Lehre und aus der Zusammenarbeit eines großen Spektrums von Fächern und Disziplinen ergibt.
Hochschulen bilden die Führungspersönlichkeiten, Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger sowie Lehrkräfte von morgen aus. Über wissenschaftliches Fachwissen und die Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt hinaus regen die Hochschulen zur Persönlichkeitsbildung an und fördern idealerweise gesellschaftliches Engagement. In diesem Sinne sind insbesondere Studierende die „change agents“ der Gesellschaft von morgen. Damit können sie die Grundlagen für eine verbesserte Akzeptanz des Leitbildes einer nachhaltigen Entwicklung in der Gesellschaft legen. Durch die Reflexion von Werten und die Vermittlung von Kompetenzen und Kenntnissen können sie die erforderlichen Wandlungsprozesse vorantreiben.
Hochschulen nehmen im Bereich der Forschung eine wichtige Stellung ein. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler suchen Antworten auf die Frage, wie wir künftig leben und wirtschaften können, um die ökologische Belastbarkeit nicht länger zu überschreiten und gleichzeitig die menschlichen Lebensgrundlagen global zu schützen. Zu diesen Zielen tragen Grundlagen-, anwendungsorientierte wie auch angewandte Forschung gleichermaßen bei.
Hochschulen können zudem in ihrem Betrieb Strukturen mit Vorbildcharakter schaffen, die dem Leitbild der Nachhaltigen Entwicklung gerecht werden.
Empfehlungen für die Umsetzung einer Kultur der Nachhaltigkeit an Hochschulen
Die Hochschulen sind Zukunftswerkstätten der Gesellschaft. Sie können durch die Verbindung von Forschung und Lehre dazu beitragen, zukünftige Generationen bei der Bewältigung komplexer Herausforderungen in einer globalisierten Welt zu meistern (Grand Challenges). Sie stellen sich der Aufgabe, alle Hochschulangehörigen für eine Nachhaltige Entwicklung zu sensibilisieren und sie dafür zu gewinnen, einen Beitrag zur Gestaltung einer zukunftsfähigen Gesellschaft zu leisten. Voraussetzung für ein erfolgreiches Handeln der Hochschulen ist, dass sie innerhalb eines konsistenten gesellschaftlichen und politischen Zielsystems agieren. Der artikulierte Wille vieler Akteure, zu einer zukunftsfähigen, nachhaltigen Gesellschaft beizutragen, muss sich in einem entschlossenen politischen und gesamtgesellschaftlichen Handeln niederschlagen, an dem sich Hochschulen aktiv beteiligen.
1. Die HRK empfiehlt allen Hochschulen - abhängig von ihrem Profil und ihren Voraussetzungen -, der Nachhaltigen Entwicklung eine besondere Rolle in ihrem Zielsystem beizumessen. Das Ziel sollte Bestandteil grundlegender Positionierungen der Hochschulen (Grundordnung, Strategiepapiere, Mission Statement), bei der Ausgestaltung der Governance berücksichtigt werden sowie Gegenstand ihrer regelmäßigen Berichterstattung sein. Auf der Grundlage der formulierten Leitidee sollten konkrete Schritte zur Umsetzung entwickelt werden. Zentrales Ziel muss es sein, eine Kultur der Nachhaltigkeit an Hochschulen zu entwickeln. Dabei sind die individuelle Motivation und das persönliche Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu fördern. Ein reflektierter Umgang mit der eigenen Forschung und Lehre, der den gesellschaftlichen Dimensionen Rechnung trägt, sollte selbstverständlich werden. In der Lehre sollten individuelle Fähigkeiten und Denkweisen, die im Zusammenhang mit den Herausforderungen gesellschaftlicher Nachhaltigkeit entscheidend sind, gezielt gefördert werden.
2. Dieser Prozess muss von Seiten der Länder als Träger der Hochschulen und als Mittelgeber ebenso wie vom Bund und von den Förderorganisationen Unterstützung erfahren. Bereits heute findet Nachhaltigkeit in den Hochschulgesetzen der Länder ebenso wie in Zielvereinbarungen zwischen Länderministerien und Hochschulen seinen Ausdruck. Entsprechende Aushandlungsprozesse, die ambitionierte Ziele setzen und gleichzeitig Mittel zur Zielerreichung bereitstellen sind u.a. vor dem Hintergrund der Agenda 2030 fortzusetzen und weiterzuentwickeln. Auch sind verschiedene Forschungsprogramme auf den Weg gebracht worden, über die nachhaltigkeitsorientierte Forschung in enger Verknüpfung mit der Lehre gefördert wird. Die HRK setzt sich in den nächsten Jahren dafür ein, dass entsprechende Anreize weiter ausgebaut werden.
Fazit
Die Entwicklung einer Kultur der Nachhaltigkeit in Hochschulen setzt voraus, dass bei allen Ansätzen, die Forschung und Lehre betreffen, der Funktionsweise des Wissenschaftssystems und dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit Rechnung getragen wird. Auf kleinteilige oder auf kurzfristige Wirksamkeit zielende Vorgaben und Auflagen wie Quoten, zusätzliche neue Berichtspflichten und Vorgaben im Bereich der Lehre, die in die Rechte von Lehrenden und Forschenden und in die Autonomie der Hochschulen eingreifen, muss verzichtet werden. Nur da, wo eine quantitative Operationalisierung sinnvoll und möglich ist, sollten Indikatoren der Zielerreichung entwickelt werden. Ziele und Zielerreichung bei der Förderung der Nachhaltigkeit sollten dann integraler Bestandteil der regulären Berichterstattung der Hochschulen sein.
Forschung und Lehre sind im Bereich interdisziplinärer Methodologie und Prozesse voranzutreiben. Es müssen Wege gefunden werden, Wissen aus den verschiedensten Disziplinen und wo sinnvoll auch von Wissensbeständen außerhalb des Wissenschaftssystems miteinander zu verbinden sowie transdisziplinär mit gesellschaftlichen Akteuren zu bearbeiten, um eine gemeinsame Wissens- und Handlungsbasis zu entwickeln und auf diese Weise das Verständnis zum Leitbild der Nachhaltigen Entwicklung mit den immanenten Zielkonflikten und Dilemmata zu schärfen.
Nicht zuletzt müssen die Rahmenbedingungen für den nachhaltigen Betrieb der Hochschule neu gedacht werden. Hier sind Mittel beispielsweise für nachhaltigere Lösungen u.a. in den Bereichen Bau, Energie, Ressourcenschutz durch Kreisläufe sowie Mobilität und Campusgestaltung bereitzustellen. Landesinstitutionen, die im Bereich Bau und Liegenschaftsmanagement verantwortlich sind, müssen um zukunftsfähige, an Nachhaltigkeitskriterien orientierte Lösungen bemüht sein, und Bau und Betrieb stärker als bisher trotz unterschiedlicher Akteure zusammendenken.
------------------------------------------------------------
[1] World Commission on Environment and Development (1987); Report „Our Common Future“. U.N. General Assembly, 42nd Session A/42/427, 4 Auf 1987, Annex 1
[2] Agenda 21, Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung, Rio de Janeiro 1992. www.un.org/depts/german/conf/agenda21/agenda_21.pdf;
[3] www.bmz.de/de/ministerium/ziele/2030_agenda/index.html;
[4] Vgl. dazu auch: UNESCO (2017): Education for Sustainable Development Goals. Learning Objec-tives. Paris: UNESCO.
[5] www.bmbf.de/files/Nationaler%20Aktionsplan%20BNE%202017.pdf
[6] Die Hochschulen als zentrale Akteure in Wissenschaft und Gesellschaft; Eckpunkte zur Rolle und zu den Herausforderungen des Hochschulsystems, Beschluss des HRK-Senats vom Oktober 2016 (Version 2018)
[7] www.hoch-n.org;
[8] U.a. Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde; Leuphana Universität Lüneburg; Umweltcampus Birkenfeld. Ebenso sind mittlerweile zahlreiche Hochschulen z.B. von Transfair e.V. zertifiziert worden. Hier sollte auch ein Blick auf die Zertifizierungskriterien erfolgen.
[9] www.deutscher-nachhaltigkeitskodex.de/de/dnk/hochschul-dnk.html
[10] Siehe u.a. bundesweit: www.hoch-n.org; www.bildung-durch-verantwortung.de; netzwerk-n.org;