Empfehlungen zu quantitativen Indikatoren in den Hochschulen


175. Plenum vom 20./21. Februar 1995


zustimmend zur Kenntnis genommenvon der Kultusministerkonferenzam 22. Juni 1995, gebilligt von der Hochschulrektorenkonferenzam 20./21. Februar 1995


1. Zur Notwendigkeit von zeitnahen und tief gegliederten statistischen Informationen und Indikatoren


Die Hochschulen in Deutschland haben Anfang der 90er Jahre ein Nettoausgabenvolumen von jährlich ca. 30 Mrd. DM erreicht. Damit wird gerade in Zeiten knapper öffentlicher Finanzen offenkundig, daß mehr als bisher Transparenz über Umfang und Qualität der Leistungen der Hochschulen und der dafür aufgewandten Mittel sowie die Effizienz des Mitteleinsatzes zu schaffen ist. Zudem haben eine Reihe von Hochschulen, aber auch von Fakultäten und Fachbereichen eine Mittel- und Großbetrieben vergleichbare Größe erreicht, für deren Steuerung adäquate Leistungsdaten erforderlich sind. Diese Daten werden für eine gezielte Weiterentwicklung der Struktur des Hochschulwesens benötigt.


Zwar lassen sich die Aufgaben der Hochschulen in Forschung, Lehre und Dienstleistung im Gegensatz zur Produktion eines Wirtschaftsunternehmens nicht direkt und allein quantitativ messen und bewerten, aber selbst dazu fehlen derzeit die quantitativen Informationen, Meß- und Steuerungsgrößen. Andererseits bestehen Anhaltspunkte für nicht optimale Wirkungsweisen der Hochschulen wie z. B. lange Studienzeiten, vermutlich hohe Studienabbrecherquoten und hochschulinterne Verteilung verfügbarer Mittel nach dem Gießkannenprinzip. Hochschulen als staatliche, d. h. vom steuerzahlenden Bürger finanzierte Einrichtungen sind verpflichtet, Öffentlichkeit und Politik Rechenschaft über Leistungen und Mittelallokation in den Hochschulen zu geben. Deshalb ist es notwendig, zumindest näherungsweise die Aufgabenerfüllung der Hochschulen durch ein Bündel geeigneter Indikatoren zu erfassen.


Bereits in der Vergangenheit sind im In- und Ausland umfangreiche Überlegungen angestellt worden, welche Daten ein angemessenes Set von Indikatoren zur Beurteilung von Lehre, Forschung, Dienstleistungen und Mittelverwendung umfassen muß oder sollte. Die amtliche Hochschulstatistik in Deutschland veröffentlicht seit einigen Jahren Zeitreihen zu einzelnen Kennzahlen. Sie arbeitet darüber hinaus an einer Verknüpfung von Hochschul- und Hochschulfinanzstatistik, um finanzstatistische Kennzahlen erarbeiten zu können.


Diesen Informationen kommt ebenso wie den sonstigen Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes zu Studierenden, Personal und Prüfungen für die Hochschulgesamtplanung und die Analyse langfristiger Entwicklungen im Tertiärbereich große Bedeutung zu. Sie tragen jedoch nur bedingt zur Verbesserung der Transparenz der Leistungen der einzelnen Hochschulen und Fachbereiche bei. Sie sind auch als Steuerungsinstrument auf Hochschul- und Landesebene nur eingeschränkt nutzbar, weil sie wegen ihres hohen Aggregationsgrades lediglich Vergleiche zwischen Fächergruppen, Hochschularten und Ländern zulassen und nur mit einer erheblichen zeitlichen Verzögerung von zum Teil 3-4 Jahren nach der Erhebung veröffentlicht werden.


Für die Evaluation der Lehre in Form von Lehrberichten, interner Evaluation oder externer Evaluation durch peer groups und für eine an Leistungen in Lehre und Forschung orientierte Mittelvergabe innerhalb der Länder und der Hochschulen bedarf es valider statistischer Informationen und Indikatoren, die sich auf den einzelnen Studiengang bzw. auf den einzelnen Lehr- und Forschungsbereich beziehen. Sie müssen aus Gründen der Vergleichbarkeit und Verläßlichkeit landes- bzw. bundesweit nach einheitlichen Kriterien erhoben, ausgewertet und aufbereitet werden.


Entsprechende Daten werden von den Hochschulen/Fachbereichen derzeit unter erheblichem Aufwand und mit definitorischen Unsicherheiten für Zwecke der Lehrberichterstattung oder der Leistungsdarstellung (z.B. Pilotprojekt Profilbildung der HRK) erhoben und veröffentlicht. Dabei handelt es sich überwiegend um Daten, die zum Programm der amtlichen Hochschulstatistik gehören. Da die Daten für die amtliche Statistik jedoch von den Hochschulen selbst aus unterschiedlichen Gründen weitgehend nicht kontinuierlich gepflegt, nur in stark aggregierter Form und zeitversetzt auf Landes- und Bundesebene aufbereitet und veröffentlicht werden, können sie für die genannten Zwecke nicht herangezogen werden.


Gleichwohl halten Hochschulen und Länder es für erforderlich, das bewährte System der Hochschulstatistik in der Bundesrepublik Deutschland effizienter zu nutzen und an den sich aus der Notwendigkeit gesteigerter Transparenz, Leistungsorientierung und Effektivierung des Hochschulsystems ergebenden erweiterten und differenzierten Datenbedarf anzupassen. Dabei steht außer Frage, daß die wachsenden Anforderungen nur erfüllt werden können, wenn die drei an der Erstellung der amtlichen Statistik beteiligten Ebenen Hochschulen, Statistische Landesämter und Statistisches Bundesamt personell und instrumentell dazu in die Lage versetzt werden.


Der erweiterte Aufwand für Datenbeschaffung, -auswertung und -pflege kann nicht kostenneutral befriedigt werden. Eine Anpassung des bestehenden Systems der Hochschulstatistik ist jedoch in jeder Beziehung ökonomischer als der mit hohem Zeit- und finanziellen Aufwand verbundene Aufbau eines zweiten Systems neben der Hochschulstatistik. Der vergleichsweise geringe Mehraufwand der Anpassung muß auch in Relation zu den Vorteilen einer stärkeren Leistungsorientierung des Hochschulsystems gesehen werden.


Die Anpassung der Hochschulstatistik an den neuen Bedarf muß zunächst auf der Hochschulebene ansetzen. Deshalb wird empfohlen:


Ausgehend von den für die Hochschulstatistik bereitzustellenden Daten wird auf Hochschulebene ein tiefgegliedertes Berichtssystem eingerichtet. Die Hochschulen erheben die für die Hochschulstatistik sowie die lediglich auf Hochschul- und Landesebene benötigten Daten bis zu einem bestimmten Zeitpunkt. Sie leiten sie an das jeweilige Statistische Landesamt weiter. Mit diesem Datensatz können sie ihren eigenen Datenbedarf, z.B. im Rahmen der Lehrberichterstattung, befriedigen und die notwendigen Informationen für die Binnensteuerung der Hochschule bereitstellen. Durch die Veröffentlichung tragen sie zur Transparenz über ihre Leistungen in Lehre und Forschung und zur Herausbildung eines eigenständigen Profils bei. Hochschulzugangsberechtigte und Wirtschaft erhalten u.a. einen Einblick in die Größe der Fachbereiche, das Verhältnis Anfänger zu Absolventen, Studiendauern und Zahl der Prüfungen.


Die Länder ihrerseits nutzen die Daten für ihre eigenen Zwecke und veröffentlichen sie in einer Gliederung, die dem Interessierten die Möglichkeit gibt, vergleichende Strukturinformationen über die Hochschulen und Studiengänge eines Landes an einer zentralen Stelle abzurufen. Deshalb sollten die Statistischen Landesämter verpflichtet werden, die von ihnen aufbereiteten Daten den Hochschulen als amtliches Zahlenmaterial auf elektronisch lesbaren Datenträgern zur Verfügung zu stellen. Dies sollte sehr rasch, in der Regel binnen 3 Monaten erfolgen, um den Hochschulen des jeweiligen Landes eine nach bundeseinheitlichen Kriterien vergleichbare Auswertung zu ermöglichen.


Daran schließt sich die Zusammenführung der zum Hochschulstatistikprogramm gehörenden Daten auf Bundesebene an. Dies ist ein unerläßlicher Schritt, da auch in einem föderalen Bildungssystem eine Darstellung des gesamten Bildungssystems und eine vergleichende Betrachtung der Entwicklungen in den verschiedenen Ländern unerläßlich sind. Da es zu aufwendig wäre, die kompletten Datensätze in tiefer Gliederung (bis auf Hochschul- oder Fachebene) regelmäßig zu veröffentlichen, müssen im Statistischen Bundesamt Vorkehrungen für den kostenlosen Zugriff auf die Daten bei Bedarf getroffen werden (Bereitstellung von Disketten, Zugriff auf Datenbanken etc.).


2. Bereitstellung der Daten für Lehrberichte


In den 1993 verabschiedeten Empfehlungen von Kultusministerkonferenz und Hochschulrektorenkonferenz zur "Umsetzung der Studienstrukturreform" wird für die Berichterstattung der Hochschulen und die Mittelverteilung als erster Schritt die regelmäßige und zeitnahe Veröffentlichung folgender statistischer Informationen für unabdingbar gehalten:

  • Anzahl der Studienanfänger im ersten Hochschulsemester und im ersten Fachsemester
  • Fachstudiendauer und Studienzeiten bis zur Diplom-Vorprüfung oder Zwischenprüfung
  • Zahl der Diplom-Vorprüfungen oder Zwischenprüfungen
  • Fachstudiendauer und Studienzeiten bis zur Abschlußprüfung
  • Absolventenzahl
  • Betreuungsverhältnis (Zahl der Studierenden im Verhältnis zu Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter bzw. Zahl der Professoren)
  • Zahl der betreuten Abschlußarbeiten je Prüfer.
  • Durchschnittsalter der Studienanfänger und der Absolventen.

Um diese von KMK und HRK für unerläßlich gehaltenen Informationen in der notwendigen Tiefengliederung allgemein zugänglich zu machen, ist folgendes erforderlich:


Zu (1, 4, 5, 8): Die Zahlen der Studienanfänger im ersten Hochschulsemester und im ersten Fachsemester, gegliedert nach Hochschule und Fach, die Absolventenzahlen, die Fachstudiendauern und Studienzeiten bis zur Abschlußprüfung und das Durchschnittsalter der Studienanfänger und der Absolventen sind Bestandteil des Erhebungsprogramms der amtlichen Statistik. Bei ihnen ist nach dem oben beschriebenen Dreistufenmodell zu verfahren.


Zu (2) und (3): Die Fachstudiendauern und Studienzeiten bis zur Diplom-Vorprüfung oder Zwischenprüfung sind ebenso wie die Zahl der Diplom-Vorprüfungen oder Zwischenprüfungen nicht von der amtlichen Hochschulstatistik erfaßt. Die Daten sind vorwiegend auf Hochschul- und Landesebene relevant. Um vergleichbares Datenmaterial zu erhalten, müssen jedoch, entsprechend den für die amtliche Statistik getroffenen Konventionen, bundeseinheitlich geltende Definitionen und Vereinbarungen getroffen werden. So muß u.a. die Vor- oder Zwischenprüfung genau definiert werden (vor allem, wenn es sich um ein iteratives Prüfungsverfahren handelt), und ebenso wann sie als abgeschlossen zu betrachten ist. Erst wenn diese Vorarbeiten geleistet sind, können die entsprechenden Daten in die Berichtssysteme auf Hochschul- und Landesebene eingespeist werden.


Zu (6): Die für die Ermittlung des Betreuungsverhältnisses (Zahl der Studierenden im Verhältnis zu Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter bzw. Zahl der Professoren) erforderlichen Studierenden- und Personalzahlen werden von der Hochschulstatistik erfaßt. Die Berechnung des Betreuungsverhältnisses stößt allerdings auf methodische Probleme, weil in der Statistik die Studierendenzahlen zu Studiengängen, die Personalzahlen den Lehr- und Forschungsbereichen zugerechnet werden. Deshalb ist eine Zuordnung der Studiengänge zu Lehr- und Forschungsbereichen erforderlich. Hierfür sind allerdings bundes- oder landesweite Lösungen nicht angebracht.


Vielmehr muß die Zuordnung für jede Hochschule individuell gelöst werden. Dies erfordert gründliche Vorarbeiten und erheblichen Arbeitsaufwand. Die Aussagekraft bleibt aufgrund des nach Hochschulen unterschiedlichen Umfangs von Dienstleistungsim- und exporten in der Lehre begrenzt. Deshalb ist zu prüfen, ob anstelle von Betreuungsrelationen mit Auslastungskoeffizienten gearbeitet werden könnte. Diese existieren jedoch bisher nur in einigen Ländern flächendeckend für alle Studiengänge, in anderen sind sie nur für zulassungsbeschränkte Studiengänge vorhanden.


Die Bereitstellung vergleichbaren Datenmaterials erfordert auch hier eine verbindliche Übereinkunft hinsichtlich der Berechnung zumindest auf Landesebene. Ob eine Anlehnung an das derzeit in der Kapazitätsberechnung übliche Verfahren möglich ist, bedarf angesichts der Komplexität des Verfahrens und der weitreichenden Konsequenzen für die Hochschule weiterer Klärung.


Zu (7): Die Zahlen der betreuten Abschlußarbeiten je Prüfer müssen von jedem Fachbereich/jeder Fakultät bzw. den jeweiligen Hochschul- oder staatlichen Prüfungsämtern erhoben und der Hochschule zur Verfügung gestellt werden. Hierbei handelt es sich um Angaben, die lediglich fachbereichs- bzw. hochschulintern von Bedeutung sind, weil sie Belastungsunterschiede in einem Fachbereich bezeichnen. Sie sind nicht in die amtliche Statistik einzuführen.


3. Indikatoren und leistungsorientierte Mittelvergabe


Im Rahmen eines Modellversuchs mit einigen Studiengängen an niedersächsischen Hochschulen hat die HIS-GmbH umfangreiche methodische Vorarbeiten zur Definition und Erhebung von Ausstattungskennziffern geleistet. Einzelne Hochschulen und Länder haben bereits Verfahren leistungsorientierter Mittelvergabe eingeführt.


KMK und HRK empfehlen Hochschulen und Ländern, diese Verfahren und ihre Wirkung kritisch zu beobachten und sie unter Einbeziehung in- und ausländischer Erfahrungen im Hinblick auf die Optimierung von Steuerungsprozessen weiterzuentwickeln. Die o.g. Daten für Lehrberichte sind dazu ebenso unerläßlich wie die von der HRK im Pilotprojekt Profilbildung entwickelten Indikatoren für den Forschungsbereich, die um weitere Angaben zu ergänzen sind. Ferner sind Gewichtungsfaktoren zwischen verschiedenen Fächergruppen zu berücksichtigen.


4. Umsetzung und Revision


Die Länder wirken darauf hin, eine flächendeckende Erhebung und Bereitstellung der für die Umsetzung dieser Empfehlungen erforderlichen Daten zu erreichen.


Die Arbeitsgruppe bittet die Kultusministerkonferenz, ihren Unterausschuß Hochschuldaten zu beauftragen, unter Beteiligung von Hochschulrektorenkonferenz und Statistischem Bundesamt sowie weiterer Sachverständiger (z.B. Wissenschaftsrat, HIS, CHE) zur Erhebung kompatibler Daten für den Bereich "Diplom-Vorprüfung/Zwischenprüfung" entsprechende Definitionen zu entwickeln und gegebenenfalls Vorschläge für eine entsprechende Ergänzung der amtlichen Statistik vorzulegen; die Methodik zur Ermittlung von Betreuungsrelationen zu verbessern und dabei insbesondere allgemein handhabbare Verfahren der Zuordnung der Studiengänge zu den Lehr- und Forschungsbereichen sowie der Berücksichtigung des Dienstleistungsim- und -exports der Lehreinheiten zu entwickeln.


Die Hochschulrektorenkonferenz wird darauf hinwirken, daß für die Mitgliedshochschulen vergleichbare und handhabbare Kriterien für die Belastung der Prüfer mit Abschlußarbeiten entwickelt werden.


KMK und HRK sehen die Notwendigkeit, das Datenset nach Vorliegen von Erfahrungen in seiner Zusammensetzung zu überprüfen. Bei der Entwicklung verbesserter Meßgrößen sind neue Erkenntnisse aus der Indikatorenforschung zu berücksichtigen. Sie halten daher einen ständigen Informationsaustausch über und eine Abstimmung mit von anderen hochschulpolitischen Akteuren empfohlenen Indikatorenbündeln für erforderlich.