Chancengerechte akademische Bildung ohne Armutsrisiko


Entschließung der 40. Mitgliederversammlung der HRK am 13. Mai 2025 in Magdeburg

Ausgangslage
Deutschland gehört nach der Kennzahl des Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Kopf zu den 20 wohlhabendsten Nationen der Welt.[1] Der nach dem zweiten Weltkrieg erzielte Wohlstand fußt insbesondere auf Innovationskraft, einem hohen Bildungsniveau und einem starken Wirtschaftswachstum. Der Anteil an Bildungsausgaben am BIP liegt in Deutschland im internationalen Vergleich jedoch lediglich im Mittelfeld. Um weiterhin erfolgreich zu sein, muss der Verbindung von Bildung und Innovation höchste Priorität eingeräumt werden. Die Bildungsausgaben sind allerdings in Deutschland im Verhältnis zum BIP seit etwa fünf Jahren erneut gesunken, 2024 auf einen Wert von 4,6 %.[2]

Die staatliche finanzielle Förderung von Studierenden ist ein zentraler Beitrag zur Sicherung von Bildungsgerechtigkeit. Der Anteil der nach dem BAföG geförderten Studierenden liegt derzeit aber bei nur etwa 12 % – ein massiver Rückgang im Vergleich zu einer Förderung von über 40 % aller Studierenden in den 1970er-Jahren.[3] Der derzeitige Förderanteil erscheint nicht nur im internationalen Vergleich deutlich zu niedrig: In den Niederlanden erhalten 33 % der Studierenden eine staatliche Unterstützung, die ausschließlich einkommensschwachen Haushalten vorbehalten ist. In Schweden werden 88 % der Studierenden durch Zuschüsse und Bildungsdarlehen finanziell unterstützt.

In Deutschland sind 35 % aller Studierenden und 77 % der Studierenden, die allein oder mit anderen Studierenden zusammenleben, armutsgefährdet.[4] Niedrige Förderquoten und ein zugleich hohes Armutsrisiko verweisen auf eine drastische Schieflage in der Studienfinanzierung und unterstreichen den unmittelbaren Handlungsbedarf bei Bildungsinvestitionen in Deutschland.

Verschärft wird die Problematik durch eine noch immer nicht bewältigte, aber dringend gebotene Administrationsdigitalisierung. Für viele Studierende ist es ein absoluter Hinderungsgrund, ein Studium aufzunehmen, wenn die Bearbeitung der Anträge bis zur Bewilligung wie gegenwärtig bis zu sechs Monate in Anspruch nimmt. Ohne finanzielle Abfederung durch das Elternhaus ist die Aufnahme eines Studiums so in der Regel nicht möglich.  

Neben fehlender Digitalisierung zeichnet sich die Landschaft der Studienförderung durch eine Vielfalt von Förderinstrumenten aus, die nicht aufeinander abgestimmt sind. Dies betrifft vor allem die unterschiedlichen Zuständigkeiten für das BAföG und für die Beantragung von Studienkrediten oder Stipendien. Bei Studienkrediten fehlt zudem eine für junge Menschen dringend notwendige Verlässlichkeit für die Lebensplanung. Variable und teilweise unverhältnismäßig hohe Zinssätze bieten diese dringend erforderliche Zuverlässigkeit nicht und münden in ein hohes persönliches Risiko für Studierende.

Bildungsgerechtigkeit steht als Wert in einem demokratischen Staat für sich – allerdings sind die verschenkten Potenziale durch ungleich verteilte Zugänge zu Bildung ein für die Zukunftsfähigkeit des Landes signifikantes und empirisch gut beschriebenes Problem. Internationale Studien wie OECD-PISA zeigen seit über zwei Dekaden, dass Deutschland im sekundären Bildungssystem Spitzenreiter bei ungleichen Zugängen zu höherer Bildung ist.[5] Im tertiären Bildungssektor setzt sich dieser Trend ungebremst fort und wird durch das hohe Armutsrisiko von Studierenden weiter verschärft. 

Bei den derzeitigen Einkommensobergrenzen ist es auch für nicht wohlhabende Familien kaum möglich, Anspruch auf BAföG geltend zu machen, die Finanzierung eines Studiums geht daher fast immer mit einer sehr hohen finanziellen Belastung für die Familie der Studierenden einher. Die Zahlungsbereitschaft für ein Studium ist aber in Familien, in denen kein Elternteil einen Studienabschluss aufweist, deutlich geringer. Für Erstakademiker:innen ist es daher auch bei einem Elterneinkommen über dem Freibetrag für das BAföG ungleich schwieriger, ein Studium aufzunehmen, da es keine entsprechende Unterstützungskultur gibt. Verlässliche und risikoarme Finanzierungsmöglichkeiten unabhängig vom Einkommen der Eltern sind nicht in ausreichendem Maße vorhanden und zugleich dringend erforderlich für ein durchlässiges und chancengerechtes Bildungssystem!  

Ziele und Reformbedarfe: Ein neues BAföG

Die beschriebene Problematik verweist auf einen grundsätzlichen Bedarf der drastischen Erhöhung der Ausgaben für Bildung auf mindestens 5,5 % des BIP. Für eine Reform der Studienfinanzierung ergeben sich fünf zentrale Forderungen, die einer direkten Umsetzung bedürfen. 

Das BAföG muss

  1. in einer Basisförderung unabhängig vom elterlichen Einkommen gewährt werden, die um eine einkommensabhängige Förderung ergänzt wird.
  2. einer größeren Gruppe von Studierenden zugänglich sein, um in der Breite ein erfolgreiches und schnelleres Studium zu ermöglichen.
  3. auskömmliche Fördersätze aufweisen.
  4. mit Vollzuschuss- und Darlehensanteilen in einem verlässlichen und transparenten Baukastensystem organisiert sein.
  5. in Volldigitalisierung abgewickelt und damit durch verlässliche Antrags- und ggf. Rückzahlungsverfahren administriert werden.


Maßnahmen

Eine größere Unabhängigkeit vom elterlichen Einkommen kann durch zwei zentrale Maßnahmen gefördert werden, deren Höhe dynamisiert werden sollte: 

  1. Einerseits sollte nach dem niederländischen Modell eine elternunabhängige Basisförderung von 300 € zur Verfügung stehen. Hier könnte es sich um ein verlagertes und um 50 € pro Studierenden aufgestocktes Kindergeld handeln. Diese Basisversorgung legt den Grundstein für ein vom sozialen und ökonomischen Hintergrund unabhängiges Finanzierungsmodell für das Studium. 100 % aller Studierenden sollten, analog zum Kindergeld, ohne gesonderten Antrag von dieser Förderung profitieren.[6]
  2. Im Sinne sozialer Gerechtigkeit sollte die elternabhängige Förderung als ein zentraler Baustein des BAföG erhalten bleiben. Studierende aus einkommensschwachen Haushalten erhalten einen variablen Zuschuss zur Studienfinanzierung von bis zu 700 €. Dieser Zuschuss ist als Vollzuschuss angelegt und damit nicht rückzahlbar. Die Elternfreibeträge sollten so erhöht werden, dass künftig bis zu 30 % der Studierenden von einer Förderung durch einen nicht rückzahlbaren Zuschuss profitieren (anstatt derzeit weniger als 13 %). Zusätzlich können Studierende zu ihrem Zuschuss ein Bildungsdarlehen in Anspruch nehmen, das ebenfalls durch das BAföG-Amt administriert wird. Ein Darlehen kann die Studienfinanzierung auf einen Betrag von insgesamt bis zu maximal 1.300 € pro Monat aufstocken. Das Bildungsdarlehen muss einen festen und niedrigen Zinssatz garantieren, der nach schwedischem Vorbild zwischen einem und zwei Prozent effektivem Jahreszins liegt. 


Studierende, die wegen der Überschreitung des maximalen Elterneinkommens keinen Anspruch auf den Zuschuss zur Studienfinanzierung haben, können ein Bildungsdarlehen in Höhe von maximal 1.000 € beantragen. Dieses Darlehen wird zu denselben Konditionen vergeben wie im Fall eines Teildarlehens, das mit einem Zuschuss kombiniert wird. Aus diesem Modell ergibt sich das in Abbildung skizzierte Schema.

Abb. 1: Vorschlag für die Bausteine eines modernen, transparenten BAföG. (Grafik s. PDF in der Marginalienspalte.)

Im Zuge einer BAföG-Reform sollte den Studierendenwerken ein Sonderbudget Digitalisierung zugewiesen werden, das es ermöglicht, die Volldigitalisierung der BAföG-Antragsverfahren unverzüglich umzusetzen, zur Not mit externer IT-Unterstützung. 

Neben einer deutlichen Verkürzung der Bearbeitungszeiten – insbesondere bei der Erstbeantragung – soll die Möglichkeit einer unbürokratischen, einmaligen Erstförderung als Starthilfe gewährt werden, die dann nach abgeschlossener Einzelfallprüfung entweder als (Teil-)Zuschuss oder als Bildungsdarlehen gewährt wird. 

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[1] Statista: Die 20 Länder mit dem größten Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf im Jahr 2023. URL: de.statista.com/statistik/daten/studie/166224/umfrage/ranking-der-20-laender-mit-dem-groessten-bruttoinlandsprodukt-pro-kopf/ (13.5.2025).
[2] Statista: Anteil der Ausgaben der öffentlichen Haushalte in Deutschland für Bildung am Bruttoinlandsprodukt von 1995 bis 2024. URL: de.statista.com/statistik/daten/studie/161321/umfrage/anteil-der-oeffentlichen-bildungsausgaben-am-bip/ (13.5.2025).
[3] Müller, Ulrich (2025). CHECK Studienfinanzierung in Deutschland – Update Januar 2025. Gütersloh, Centrum für Hochschulentwicklung (CHE).
[4] Müller, Ulrich (2025). CHECK Studienfinanzierung in Deutschland – Update Januar 2025. Gütersloh, Centrum für Hochschulentwicklung (CHE).
[5] OECD (2023). PISA 2022 Ergebnisse (Band I): Lernstände und Bildungsgerechtigkeit. Paris: OECD Publishing. doi.org/10.3278/6004956w. (13.5.2025).
[6] Es bietet sich an, hier Höchstgrenzen für zu definieren, wie sie auch für den derzeitigen Bezug von Kindergeld gelten. Allerdings sollten hier weniger Altersgrenzen als die Dauer des Studiums ausschlaggebend sein.