Empfehlung der 29. HRK-Mitgliederversammlung vom 24.11.2020
Inhaltsverzeichnis
A. Einleitung
B. Empfehlungen
I. Aktive Rolle der Hochschulen
II. Potenzialanalyse
III. Problemanalyse
IV. Identifikation von Anwendungsfeldern und Erfolgsfaktoren 
V. Berücksichtigung von Ambivalenzen 
C. Beschreibung der Formate
I. Micro-Degrees
1. Definition und Abgrenzung
2. Potenzielle Mehrwerte und Einsatzfelder
3. Herausforderungen
4. Einschätzungen
II. Badges
1. Definition und Abgrenzung
2. Potenzielle Mehrwerte
3. Herausforderungen
4. Einschätzungen
D. Zusammenfassung
Anlage: Zur Entstehung der Empfehlung
A. Einleitung
Im   Nachgang zur Einführung von MOOCs (Massive Open Online Courses) haben   sich mit Micro-Degrees und Badges neue Formate und Nachweise der   digitalen Lehre entwickelt, die international bereits regelmäßig in   zertifizierte Bildungsprozesse eingebunden sind. Micro-Degrees werden   auch als „neue Währung des lebenslangen Lernens“[1] bezeichnet. Ähnlich   verhält es sich mit Badges, die als potenzieller Standard für digitale   Kompetenznachweise gesehen werden[2]. Angesichts dieser beschriebenen   Potenziale und der intensivierten Digitalisierung anlässlich der   Corona-Pandemie dient das Papier der Auseinandersetzung, inwieweit   Micro-Degrees und Badges für die digitale Lehre im deutschen   Hochschulsystem fruchtbar gemacht werden können. 
Der erste Teil   des Papiers besteht aus einordnenden Empfehlungen. Im zweiten Teil   sollen die beiden Formate im Detail vorgestellt werden. Dazu gehören die   jeweiligen Versuche einer Definition und Abgrenzung sowie die   Beschreibung von möglichen Mehrwerten und Herausforderungen. Den   Abschluss bilden abwägende Einschätzungen.
B. Empfehlung
I. Aktive Rolle der Hochschulen
Den Hochschulen wird empfohlen, sich proaktiv mit der Entwicklung von Micro-Degrees und Badges auseinanderzusetzen. 
Nicht   allein aufgrund ihres Alleinstellungsmerkmals der akademischen Lehre   sehen sich die Hochschulen in der Rolle, innovative Lehre zu entwickeln   und zu praktizieren. Darüber hinaus befinden sich die Hochschulen auch   im Wettbewerb mit nicht-hochschulischen Anbietern. Da sich diese   Wettbewerbssituation durch eine zunehmende Kommerzialisierung und   gleichzeitiger Intransparenz auszeichnet, darf die Gestaltung dieser   Konstellation nicht anderen Akteuren überlassen werden. Vielmehr müssen   die Hochschulen diese Regeln maßgeblich mitbestimmen. Entgegen mancher   Erwartung gibt es zwar noch keinen massiven Einführungsdruck seitens  der  Studierenden, jedoch aber das Interesse an angemessenen innovativen   Lern- und Lehrformaten. Daher muss jede Hochschule für sich  entscheiden,  inwieweit Micro-Degrees und Badges Mehrwerte für ihr  Lehrprofil leisten  können. 
Die HRK betont, dass es sich hierbei  lediglich um eine  weitere Option neben vollumfänglichen Studiengängen  und  Weiterbildungsangeboten handeln kann, diese aber nicht gesetzlich  zum  Auftrag der Hochschulen gemacht werden darf.
II. Potenzialanalyse
Den Hochschulen wird empfohlen, Potenziale von Micro-Degrees und Badges für ihre Hochschullehre zu prüfen. 
Obwohl   die Bezeichnungen stark variieren, besteht eine Grundidee von   Micro-Degrees darin, dass Studieninhalte im Sinne von größtmöglicher   Modularisierung und Aggregationsfähigkeit in Kleinstteile zerlegt und   auch wieder zusammengesetzt werden können. Micro-Degrees zeichnen sich   durch den Vorsatz aus, formalisierte Grade anzustreben. Badges hingegen   zielen auf die Sichtbarmachung von Kompetenzen, die im Rahmen des   Curriculums oder außerhalb erworben werden. 
Micro-Degrees und   Badges haben vielfältige Potenziale. Dies gilt in Bezug auf die   Organisation des Lernens, die Steigerung der Motivation, die   Unterstützung der Modularisierung, die Erhöhung von Transparenz, die   Förderung von Durchlässigkeit, die Weiterentwicklung des Marketings   sowie neue Ansatzpunkte der Kommunikation zwischen Lernenden und   Lehrenden. 
III. Problemanalyse 
Den Hochschulen wird empfohlen, auch inhärente Probleme von Micro-Degrees und Badges zu thematisieren. 
Bei   der praktischen Umsetzung von Micro-Degrees und Badges bestehen   zahlreiche Herausforderungen, die sich auf die Standardisierung bzw. die   Entwicklung von Anrechnungsregeln, die Einbettung in   Qualitätssicherungssysteme und nicht zuletzt die Mobilisierung   erheblicher Ressourcen beziehen.
Über die praktischen   Herausforderungen hinaus entsteht bei Micro-Degrees und Badges die   Gefahr der Zerfaserung des Wissenskanons. Dabei orientiert sich eine   Zerlegung von konventionellen Studienangeboten oft an der kommerziellen   Verwertung der Kleinstteile. Hochschulische Studiengänge bestehen  jedoch  aus sorgfältig abgestimmten und zu vermittelnden  wissenschaftlichen  Fragestellungen und Inhalten, entsprechenden  Methoden und Formaten sowie  validen Prüfungen und Abschlüssen.  Dementsprechend muss die  Verantwortung für Anerkennung und Anrechnung  nach wie vor bei den  Hochschulen liegen. Zudem erwächst die akademische   Persönlichkeitsbildung nur durch längere inhaltliche  Auseinandersetzung  mit komplexen fachlichen Inhalten und durch stetige   Face-to-Face-Interaktion mit Lehrenden sowie Kommilitoninnen und   Kommilitonen.
IV. Identifikation von Anwendungsfeldern und Erfolgsfaktoren 
Den   Hochschulen wird empfohlen, mögliche Anwendungsfelder für  Micro-Degrees  und Badges zu identifizieren und anhand von gegebenen  Erfolgsfaktoren  zu bewerten. 
Beispielhafte Anwendungsfelder  könnten dem Studium  vorgelagerte Orientierungsphasen und die  wissenschaftliche Weiterbildung  sein. Auch eignen sich Micro-Degrees  und Badges zur Gewinnung von  Studierenden und „High Potentials“. In der  regulären Lehre bzw. in den  Curricula sind Micro-Degrees oder Badges  nur punktuell sinnvoll  integrierbar. Ein zusätzliches Anwendungsfeld  ist das Onboarding und die  (interne) Fortbildung von  Hochschulmitarbeiterinnen und -mitarbeitern. 
Zu  den  maßgeblichen Erfolgsfaktoren gehören die zu konzipierende  Polyvalenz  von Micro-Degrees und Badges. Micro-Degrees sind dann  polyvalent, wenn  sie sich entweder direkt von den bestehenden Curricula  im Sinne von  Wahl- oder Vertiefungsfächern ableiten oder ohne weiteres  in die  Curricula integrierbar sind. Ähnliches gilt für Badges: Eine  weitere  Nutzung der durch Badges sichtbar gemachten Kompetenzen wird  dadurch  gefördert, dass sie sich eng an den bereits dokumentierten  Kompetenzen  der Modulbeschreibungen orientieren und ggf. standardisiert  im  Transkript oder im Diploma Supplement ausgewiesen werden können.   Weitere Erfolgsfaktoren sind die Auswahl der Sprache (Deutsch oder   Englisch) sowie der spezielle Zuschnitt im Rahmen von strategischen   Hochschulprofilen, wie z.B. Digitalisierung, Internationalisierung,   Migration, Inklusion oder Durchlässigkeit. Gerade aufgrund der   Ressourcenintensität von digitalen Formaten und Nachweisen sind   Kooperationen mit hochschulischen und außerhochschulischen Partnern   erfolgskritisch. 
V. Berücksichtigung von Ambivalenzen
Den Hochschulen wird empfohlen, Ambivalenzen von Micro-Degrees und Badges zu berücksichtigen. 
Micro-Degrees   und Badges bieten einerseits die Chance, mittels Akkumulierung die   Durchlässigkeit der Hochschulen zu erhöhen. Andererseits kann   Hochschulbildung nur begrenzt in Kleinstteile zerlegt werden, weil die   Gesamtqualifikation nicht allein die Summe von Einzelnachweisen ist. Die   Hochschulen sind weiterhin aufgefordert, die Kontinuität akademischer   Inhalte, Methoden und Abschlüsse zu gewährleisten. Dies entspricht auch   dem umfassenden Bildungsauftrag der Hochschulen, der gleichermaßen die   Vermittlung von (Fach-)Wissenschaft, die Persönlichkeitsbildung und  die  Arbeitsmarktvorbereitung umfasst. Ein kohärentes Curriculum kann  daher  nur punktuell oder begleitend durch Micro-Degrees oder Badges   unterstützt oder ergänzt werden. 
Das Angebot von Micro-Degrees   sowie Badges kann im Rahmen der normalen Studienangebote verankert   werden. Handelt es sich um zusätzliche neue Angebote der Hochschulen,   ist sicherzustellen, dass damit keinerlei Deputatseinbußen in den   normalen Studiengängen einhergehen und diese kostenneutral (z. B. durch   Studien- und Verwaltungsgebühren) zu erbringen sind.
C. Beschreibung der Formate
I. Micro-Degrees 
1. Definition und Abgrenzung 
Während   die ersten Micro-Degrees unmittelbar als Abschlussgrade von MOOCs   dienten, haben sich diese Formate zunehmend verselbständigt.   Entsprechend der Vielzahl der Anbieter[3] variiert das Verständnis und   auch die Begrifflichkeit[4] von Micro-Degrees. Die Grundidee von   Micro-Degrees besteht darin, dass Studieninhalte im Sinne von   größtmöglicher Modularisierung und Aggregationsfähigkeit in Kleinstteile   zerlegt und auch wieder zusammengesetzt werden können[5]. Dabei  erheben  die meisten Micro-Degrees den Anspruch, zumindest eine Vorstufe  eines  formalisierten Abschlussgrades zu sein. 
Die  wissenschaftlichen  Micro-Degrees werden fast ohne Ausnahme  voraussetzungslos durch  kommerzielle und nicht-kommerzielle  Einrichtungen ohne  Zertifizierungsagentur oder ein Prüfungsamt im  Internet angeboten.  Entsprechend stehen bisher zum Zweck einer  möglichst großen  Nachfrageorientierung Inhalte mit unmittelbar  verwertbarem Lernergebnis  im Vordergrund: Z.B. wissenschaftliches  Arbeiten,  Schlüsselqualifikationen, wissenschaftlicher Praxisbezug  sowie  berufsrelevante Zusatzausbildungen. 
2. Potenzielle Mehrwerte und Einsatzfelder
Wie   es bei digitaler Lehre generell der Fall ist, ergeben sich zunächst   Mehrwerte hinsichtlich der Organisation des Lernens: Micro-Degrees sind   ständig verfügbar und damit unabhängig von Ort und Zeit absolvierbar.   Dies ist vor allem für Bildungsteilnehmende, die aufgrund familiärer,   beruflicher und gesundheitlicher Faktoren Lernangebote zu festen Zeiten   nur schwer nutzen können, ein wichtiger Vorteil. 
Micro-Degrees   haben in besonderer Weise das Potenzial zur Erhöhung der   Durchlässigkeit. Dies gilt für die Heranführung insbesondere   nichttraditioneller Studierender an die Hochschulen, die Gewinnung von   beruflich Qualifizierten oder internationalen Studierenden sowie von   Weiterbildungsinteressenten: Micro-Degrees können als Auszeichnungen für   voraussetzungslos zugängliche Angebote den Einstieg in einen   Studiengang erleichtern, Berufstätige an wissenschaftliche Inhalte und   Methoden bzw. internationale Studierende an das deutsche Hochschulsystem   heranführen sowie Ergänzungsqualifikationen für   Weiterbildungsinteressierte anbieten[6].  
Eng verbunden mit dem   Kriterium der Durchlässigkeit ist der Mehrwert für das Marketing.   Micro-Degrees eignen sich als Marketing-Tool zur Gewinnung von   Studienanfängerinnen und -anfängern, internationalen Studierenden,   beruflich Qualifizierten oder Weiterbildungsinteressierten. Der   Mechanismus der Gewinnung dieser Zielgruppen besteht meist darin, ein   niedrigschwelliges Einstiegsangebot zu unterbreiten und dann auf die   Möglichkeit der Weiterführung bzw. Anrechnung dieser Inhalte in   Studiengängen oder Weiterbildungsangeboten hinzuweisen. Jenseits dieser   personellen Gewinnungsstrategie kann ein Micro-Degree allein aber auch   einen Mehrwert für die Außenwirkung einer Hochschule darstellen, wenn  er  beispielsweise im Rahmen eines gemeinsamen Labels oder einer   gemeinsamen Plattform zusammen mit anderen renommierten Hochschulen   erscheint.
3. Herausforderungen
Entsprechend   der Grundidee der Aggregationsfähigkeit von Micro-Degrees erscheinen   Standardisierung bzw. Anrechnungsregeln erstrebenswert, um Degrees   verschiedener Anbieter anschlussfähig und im Idealfall eine Aggregation   bis hin zu einem akademischen Abschluss möglich zu machen. Als ein   solcher Versuch kann das Common Microcredential Framework des European   MOOC Consortiums gesehen werden[7].  Allerdings ist oft eine   anbieterübergreifende Standardisierung oder Anrechnung gar nicht   gewollt, da es aus kommerzieller oder institutioneller Sicht gerade   darauf ankommt, die Teilnehmenden an einen Anbieter, eine Hochschule   oder eine Hochschulgruppe zu binden. 
Derzeitige Praxis ist es   eher, dass sich an einzelnen Hochschulen die Prüfungsämter im   Zweifelsfall mit dem Anbieter austauschen oder dass ein Micro-Degree   nicht ohne Weiteres außerhalb einer Hochschule oder einer definierten   Hochschulgruppe anerkannt wird. In diesem Zusammenhang zeigt sich die   besondere Rolle der Hochschulen, die mit einer Anrechnung   außerhochschulisch erworbener Micro-Degrees eine Einbettung dieser   Zertifikate in das Qualitätssicherungssystem der Studiengänge vornehmen.   Hochschulen haben damit nicht nur eine Rolle als potentielle aktive   Anbieter, sondern sind auch qualitätssichernde Gatekeeper für externe   Micro-Degrees[8]. Grundsätzlich ist auch an wissenschaftliche   Micro-Degrees die Anforderung der Qualitätssicherung zu stellen, denn   Micro-Degrees sind Formate der Lehre im Allgemeinen und der digitalen   Lehre im Besonderen. Deshalb gilt in gleicher Weise, dass das   Qualitätsmanagement in der Lehre auf Kommunikation, Transparenz und   Vertrauen sowie die Beteiligung aller Akteursgruppen angewiesen ist.
Hier   könnten verbindliche Standardisierungen bzw. Anrechnungsregeln die   Hochschulen in dieser Integrationsaufgabe unterstützen. Solche   Prozessüberlegungen erscheinen aber zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht, da   es erst einmal darum gehen muss, eine initiale Entwicklungsphase von   Micro-Degrees an den Hochschulen zu ermöglichen. Eine kreative und   innovative Entfaltung fach- und hochschulspezifischer Micro-Degrees   scheint derzeit eher durch einen Bottom-Up-Prozess realisierbar zu   sein.    
Insbesondere die Grenzfälle zwischen der Anerkennung   hochschulischer und der Anrechnung außerhochschulisch erworbener   Kompetenzen müssen eingehender betrachtet und eindeutig der Anerkennung   oder der Anrechnung[9] zugeordnet werden, da sich die jeweiligen   rechtlichen Grundlagen und Prüfkriterien unterscheiden. 
Auch die   Anbieter von Micro-Degrees sind in der Pflicht, die Sicherstellung der   Qualität und die Vergleichbarkeit von Leistungen zu gewährleisten und   Transparenz herzustellen. Dazu gehören z. B. inhaltliche und technische   Prüfungsanforderungen sowie Zertifizierung und Verifizierung der   Leistung. Hilfreich könnte ein ähnliches Instrument wie das Diploma   Supplement sein. Denkbar wäre es zudem, an Micro-Degrees in der   Weiterbildung Qualitätssiegel zu vergeben. Dies würde die Anerkennung   oder Anrechnung an Hochschulen deutlich erleichtern.
Darüber   hinaus müssen die Hochschulen Kriterien für die Anrechnung und   Anerkennung digital erworbener Kompetenzen entwickeln, die insbesondere   eine Verifizierung der Anbieter und ihrer Qualität sowie eine   Einschätzung der angebotenen Programme ermöglichen. Hierfür sollten   Mindeststandards und Qualitätskriterien als Empfehlung für alle   Hochschulen entwickelt werden. 
Allerdings hatte es bereits beim E-Learning in der ersten Dekade des 
21.   Jahrhunderts zunächst eine stark projektbezogene Phase gegeben, in der   einige Projekte Konzepte zur Qualitätssicherung entwickelt haben (z.B.   ISO-Normen oder Qualitätssiegel). Diese haben sich jedoch nicht   flächendeckend etabliert. Da Qualitätssicherung nicht nur Kommunikation,   sondern auch Ressourcen benötigt, ist in der Entwicklungsphase von   Micro-Degrees Qualitätsmanagement noch kein essentielles Element   geworden. 
Dennoch gibt es im Zusammenhang mit MOOCs eine   europäische Initiative, den Begriff „MOOQ for the Quality of MOOCs“ zu   etablieren. National geht es weniger um allgemein gültige   Qualitätssicherung z.B. nach ISO, sondern mehr um Community-zentrierte   Standards wie z.B. bei e-teaching.org oder beim Hochschulforum   Digitalisierung (HFD)[10]. In diesem Zusammenhang ist auch die   Einbeziehung der Lernenden wichtig. Insgesamt sollte daher auch bei   Micro-Degrees die Förderung von dynamischen Gestaltungsprozessen im   Mittelpunkt stehen, die nicht von vornherein durch starre   Qualitätssicherung konterkariert werden dürfen. Darüber hinaus sollte   der Fehler vermieden werden, an digitale Formate höhere   Qualitätsstandards anzulegen als bei der klassischen Präsenzlehre.   Dementsprechend stellt sich in vielen Fällen dann kein gravierendes   Qualitätssicherungsproblem, wenn Micro-Degrees direkt aus der   Präsenzlehre entnommen und von Hochschullehrenden angeboten werden.  
Hinsichtlich   der für Micro-Degrees erforderlichen Ressourcen müssen Infrastrukturen   und finanzieller Aufwand berücksichtigt werden. Für die Einbettung,   Vermarktung und Distribution von Micro-Degrees sind in der Regel   Online-Plattformen erforderlich. Diese Plattformen können ggf. in   bestehende Hochschulplattformen integriert werden, oder sie werden an   externe Dienstleister bzw. kommerzielle Anbieter ausgelagert. 
Trotz   des begrenzten Umfangs von Micro-Degrees ist – wie auch bei anderen   digitalen Formaten – der Aufwand zur Erstellung hoch. Konzeption,   Produktion und Betrieb sind in der Regel nicht durch einzelne Lehrende   leistbar, sondern müssen in interdisziplinärer Teamarbeit unter   Einbringung fachlicher, methodisch-didaktischer und technischer   Expertise gewährleistet werden. Idealerweise steht dafür ein internes   oder externes Medienzentrum zur Verfügung. Der in jedem Fall entstehende   Aufwand für Infrastruktur und besonders für Personal ist so hoch, dass   einzelne spezifisch wissenschaftliche Micro-Degrees sich in der Regel   nicht aus den Etats der beteiligten Bereiche finanzieren lassen. Daher   überwiegen zumindest in Deutschland Modelle, wonach Pilotprojekte durch   Projektmittel finanziert[11] oder aus strategischen Gründen zentrale   Mittel eingesetzt werden.
4. Einschätzungen 
Micro-Degrees   sind Ausdruck von dynamischen Entwicklungen in der digitalen Lehre  bzw.  auf dem internationalen digitalen Bildungsmarkt. Welche Strukturen  und  Angebote sich auf diesem Markt nachhaltig etablieren werden, ist  nicht  abzusehen. Aus diesem Grund sollte in der Pionierphase eine   Ermöglichungskultur im Vordergrund stehen, und strukturelle Regeln nach   Standardisierung, Anrechnung und Qualitätssicherung sollten die   experimentelle Entwicklung nicht überlagern. 
Solche   strukturellen Herausforderungen werden natürlich dadurch erschwert, dass   einzelne weltweit agierende Anbieter auf dem Weg sind, eine   Monopolstellung zu erreichen. Daher steht die strategische Frage im   Raum, inwieweit sich die deutschen Hochschulen in einem zunehmend von   US-amerikanischen Anbietern dominierten Wettbewerb positionieren wollen,   um insbesondere die Zugänglichkeit und Durchlässigkeit dieser Formate   zu sichern. Aber auch im nationalen Kontext könnte es eine Entwicklung   von Hochschulen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten geben:   Hochschulen, die sich Micro-Degrees finanziell leisten können und jene,   denen die Ressourcen dazu fehlen. Als Antwort auf die Ressourcenfrage   bieten sich hochschulübergreifende Kooperationen an. Angesichts dieser   Perspektiven sollten sich die Hochschulen mit den Potenzialen von   Micro-Degrees beschäftigen und prüfen, ob diese für die jeweiligen   Hochschulstrategien einsetzbar sind.
II. Badges
Der   Begriff der Badges ist sehr breit angelegt. Ein Zusammenhang von   Micro-Degrees und Badges besteht darin, dass Badges neben einer   eigenständigen Verwendung auch als Nachweise für Kompetenzen aus   Micro-Degrees dienen können. Andere typische Anwendungsfälle von Badges   beziehen sich auf MOOCs, vorgängig erworbene Kompetenzen und   Bewerbungsprozesse[12].  
1. Definition und Abgrenzung 
Grundsätzlich   ergibt sich der Bedarf für Badges als digitale Kompetenznachweise aus   der verstärkten Individualisierung von (akademischen)  Bildungsverläufen:  Neben der traditionellen Kompetenzvermittlung in  Studiengängen,  wissenschaftlichen Weiterbildungsangeboten sowie  Promotionen gewinnen  zunehmend non-formale und informelle Kompetenzen  an Bedeutung. Dies gilt  insbesondere für den Übergang zwischen den  Bildungssystemen. 
An  diesen Übergangsstellen können durch  Badges Informationen zu erworbenen  Lernergebnissen hinterlegt und  kodiert abgespeichert werden. Zu diesen  Informationen zählen z.B.  Prüfungsergebnisse, Hausarbeiten, Auszüge  eines E-Portfolios und vor  allem Schlüsselkompetenzen (Umgang mit  digitalen Daten, soziales  Engagement, Projekterfahrungen,  Sprachkenntnisse sowie interkulturelle  Erfahrungen). Ebenfalls sollte  darüber nachgedacht werden, auch ein  Engagement in der Forschung zu  berücksichtigen. Über die Informationen  zu den Studierenden hinaus  können auch Angaben zu den Lehrenden und  Ausbildenden sowie zur  ausstellenden Institution durch Badges  hinterlegt werden[13].  
Die  Idee der Badges ist im Rahmen der  verstärkten Digitalisierung in der  Lehre bereits 2011 von der Mozilla  Foundation mit dem Ziel eines „Open  Badge Standards“ aufgenommen  worden. Dieser gemeinsame Standard  ermöglicht Interoperabilität,  Validierung und Verifizierung der  hinterlegten Belege. Dieser  Open-Badge-Standard wird seit 2017 von IMS  Global weiterentwickelt[14].   
Während in der Praxis –  insbesondere bei Badges als  Abschlussnachweise von MOOCs – die Grenzen  zwischen Micro-Degrees und  Badges unscharf sind, so gibt es doch  Abgrenzungsmerkmale: Erstens  zielen Micro-Degrees in der Regel auf das  Erreichen formalisierter  Grade ab, wohingegen Badges ihren Schwerpunkt  bei nicht formal  erworbenen Kompetenzen haben. Zweitens sind  Micro-Degrees als Angebote  von Bildungseinrichtungen eher institutionell  orientiert, Badges  dagegen erfolgen meist im Rahmen von freiwilligen  Erweiterungen des  persönlichen Portfolios und haben damit vielmehr eine  individuelle  Orientierung. 
2. Potenzielle Mehrwerte 
Ein   offensichtlicher Mehrwert von Badges besteht in der Erhöhung der   Transparenz von erworbenen Kompetenzen. Badges ermöglichen eine   bestimmte Dokumentation und meist intuitiv verständliche Visualisierung   der Leistungen, die erbracht worden sind. Neben den Angaben zu  Lehrenden  und Hochschulen können auch Informationen über  (Vergabe-)Kriterien,  Zeitraum und Art der erbrachten Leistungen  hinterlegt werden[15]. 
Daher  unterstützen Badges auch die  Modularisierung von Lernformaten im Sinne  einer Unterteilung in  Lernpakete: Komplexe Kompetenzen können in Stufen  eingeteilt und  feingranular abgebildet werden[16]. Zudem ist eine  Zusammenführung von  unterschiedlichen Badges derselben Hochschule oder  auch von externen  Anbietern möglich. Dazu dient auch das Konzept eines  ePortfolios bzw.  „Backpacks“, eines virtuellen Rucksacks[17]. Badges  leisten damit einen  Beitrag zur onlinebasierten Skalierung von Lehr- und  Lernformaten.
Ein  zentraler Mehrwert ergibt sich durch die  Funktion von Badges als  extrinsischem Motivationsfaktor. Statt Druck zu  erzeugen, wird Ehrgeiz  geweckt, den Badge zu erlangen und die damit  verbundenen Anforderungen  zu meistern[18]. Studien belegen, dass Badges  sowohl der Erhöhung als  auch der Aufrechterhaltung der Lernmotivation  dienen[19]. Darüber  hinaus fungieren sie als Inspiration für neue Ziele  z. B. in der  wissenschaftlichen Weiterbildung[20]. Somit sind Badges ein  Instrument  zur Förderung des selbstgesteuerten Lernens.  
Badges  können die  Durchlässigkeit insbesondere zwischen Wissenschaft und  Berufswelt  fördern. Für Berufstätige kann der Ausweis niederschwelliger   wissenschaftlicher Fertigkeiten und Fähigkeiten ein erster Schritt hin   zu einem wissenschaftlichem Weiterbildungsformat oder zu einem Studium   sein. Umgekehrt können gerade für Hochschulabsolventinnen und   -absolventen berufsbezogene Leistungen und Erfahrungen, z. B. der Umgang   mit digitalen Daten oder Projekterfahrungen durch Badges in einem   Bewerbungsverfahren sichtbar gemacht werden. 
Ein besonderer   Einsatzbereich für Badges sind Studierende mit Migrationshintergrund.   Diese Studierenden haben oft viele Kompetenzen, die man niedrigschwellig   anerkennen kann. Auch der Erwerb der deutschen Sprache kann so   unterstützt werden. Solche Angebote von Badges stoßen regelmäßig auf   eine hohe Nachfrage seitens der Studierenden. 
Auch der Aspekt   des Marketings kann durch Badges unterstützt werden. Dies gilt – wie   bereits beschrieben – für das individuelle Marketing in eigener Sache,   also der Selbstrepräsentation der Studierenden. Darüber hinaus können   Badges aber auch dem Marketing von Lehrenden, Studiengängen oder   Hochschulen dienen, wenn dies auf Grundlage eines abgestimmten   Marketingkonzeptes erfolgt. 
Akademische Badges können auch zu   flexibleren Studienverläufen bzw. zur Verringerung von Studienabbrüchen   von Teilzeitstudierenden beitragen, wenn einzelne auch praxisbeziehbare   Kompetenzen bereits im Studium nachgewiesen und für höherwertige   Beschäftigungsverhältnisse genutzt werden.
Aber auch jenseits   strategischer Marketinginstrumente bieten Bagdes Ansatzpunkte zur   Kommunikation. Hierbei geht es vor allem um die Kontaktaufnahme zu   Menschen mit ähnlichen Interessen und Fähigkeiten mit dem Ziel des   Austausches[21].
3. Herausforderungen
Eine   Herausforderung bei der Etablierung von Badges besteht in der   Standardisierung. Erste basale Standards, z.B. für „Open Badges“ sind   bereits entwickelt worden. Auch existieren bereits Werkzeuge zur   Erstellung von Badges, und es gibt schon erste Design-Richtlinien.   Einige Lernmanagementsysteme ermöglichen die Vergabe von Badges, die   kompatibel mit anderen Standards sind und sowohl im Nutzerprofil   angezeigt als auch auf entsprechenden Plattformen veröffentlicht werden   können. Allerdings gibt es nur wenige nichtkommerzielle Plattformen für   Badges[22].  
Das Erfordernis der Standardisierung geht jedoch   weit über die verfügbaren Software-Standards hinaus: Wichtig sind vor   allem die Beschreibung von Workflows zur Vergabe von Badges. Ein   maßgeblicher Regelungsbedarf besteht darin, wer die Lernergebnisse und   Anforderungen eines Badges festlegt. Wie auch bei anderen innovativen   Lernkonzepten ist es bei Badges notwendig, das Rollenverständnis   zwischen Lernenden und Anbietern zu klären. Eine Synthese zwischen der   Festlegung durch den einzelnen Nachfragenden und einem Anbieter sind   Peer-to-Peer-Bewertungsprozesse. Die Abstimmung der Vergabekriterien   bleibt in jedem Fall zentral und zeitintensiv. 
Eng verbunden mit   der Herausforderung der Standardisierung ist die zentrale Frage der   Anrechnung. Dabei ist zu beachten, dass die Spannbreite der für Badges   erbrachten Leistungen sehr groß ist: Manche Badges werden aufgrund von   rekapitulierbaren Prüfungsleistungen – etwa bei Abschlussarbeiten oder   Sprachtests – erteilt, andere Badges beziehen sich lediglich auf das   Lesen von Texten und das Nachvollziehen von Lernvideos. Letzteres ist   dabei schwer überprüfbar[23]. Bei einer flächendeckenden Etablierung von   Badges, die auch für geforderte Studienleistungen angerechnet werden,   müsste ein System von Qualitätskriterien und Qualitätskontrollen   etabliert werden[24].  
Angesichts dieser Herausforderung ist es   weitgehend offen, inwieweit Badges auch von Dritten als Leistung   anerkannt werden[25]. Gerade in Bezug auf die Rezeption des   Arbeitsmarktes besteht eine beträchtliche Unsicherheit:   Personalabteilungen der Arbeitswelt weisen auf große Probleme in Bezug   auf den Umgang mit insbesondere nicht-hochschulischen Zertifikaten   hin[26]. Diesem Defizit bei der Standardisierung und der Zertifizierung   können die Hochschulen begegnen, weil sie sowohl die Erfahrung in   solchen Prozessen als auch öffentliche Reputation haben.  
Als   Lösungsansatz wird der Aufbau eines digitalen Systems zum Nachweis von   Kompetenzen genannt[27]. Allerdings geht es bei Badges wegen ihrer   Ausrichtung auf individuelle Sammlungsaktivitäten meist gerade nicht um   das Einbringen eines abgeschlossenen (kleinen) Zertifikats in ein   größeres, sondern zunächst um eine Feststellung der Äquivalenz der   erworbenen Kompetenz zu denjenigen eines Zertifikats. Daher müsste jedes   Badge einzeln auf die inhaltliche Passung geprüft werden. Diese  Prüfung  müsste durch eine dritte Person erfolgen und im positiven Fall  sowohl  sichtbar als auch nachvollziehbar gemacht werden. 
Vorstufen  zu  einem solchen Verfahren könnten die Schaffung von Vertrauen, die   geeignete Dokumentation von Kompetenzen und das Erreichen einer   Mindestreichweite sein. Dabei ist es sinnvoll, bereits etablierte   Kompetenzmodelle oder Qualifikationsrahmen[28] nicht zu ignorieren,   sondern in ein sinnvolles Verhältnis zu neuen digitalen Systemen zu   setzen. Auch hier wird übereinstimmend kein Top-Down-System, sondern die   Entwicklung eines sich von unten entwickelnden fach- oder   branchenspezifischen Systems empfohlen[29].  
Im Hinblick auf die   notwendige Mindestreichweite sind unterschiedliche Szenarien zur   Diskussion gestellt worden. Einem Minimal-Szenario zufolge wird ein   Anerkennungssystem innerhalb des Hochschulsektors etabliert, d.h. es   werden in Hochschulen erworbene Badges auch von anderen Hochschulen   anerkannt. Dieses System wird sich vermutlich aus individuellen und   pauschalen Anrechnungsverfahren zusammensetzen. Hilfreich kann hier auch   die Einrichtung eines Anrechnungsregisters sein[30]. Ein   Medium-Szenario beschreibt einen Anerkennungsstandard, der die Nutzung   von Badges sowohl in der Hochschulbildung als auch in der Arbeitswelt   möglich macht[31]. In einem Maximal-Szenario erstreckt sich der   Anerkennungsrahmen umfassend, d.h. auf die Schul- und Hochschulbildung,   die Arbeitswelt, die Weiterbildung und die Berufsbildung. Idealerweise   werden bei der Realisierung eines solchen Szenarios z. B. angezeigt,   welche Badges den Zugang zu einer Arbeitsstelle eröffnen[32]. 
Badges   und Micro Degrees erfordern für den digitalen Nachweis der Leistungen   technische Standards und entsprechende digitale Zertifikate, mit denen   der Erwerb von Kompetenzen digital und rechtssicher nachvollzogen  werden  kann. Die sich hieraus ergebende Automatisierbarkeit hat das  Potenzial  für wesentliche Veränderungen von Personal- und  Projektvorgängen. So  ergeben sich durch digitale Zertifikate z. B. neue  Möglichkeiten, um  Profile von Aufgaben oder Stellen bzw. Bewerberinnen  und Bewerbern sehr  zielgerichtet automatisiert abzugleichen.
Neben  der  Standardisierung und Anrechnung gilt es auch, eine  Qualitätssicherung zu  entwickeln, die eine entsprechende Überprüfung  des erreichten  Wissensstandes sicherstellt. Darüber hinaus müssen  Minimumstandards für  die Zugänglichkeit überprüft werden.
Die EU  möchte mit dem Micro  Credential Framework[33] die Vergabe digitaler  Zertifikate auch an  Hochschulen unterstützen und entwickeln. Im Rahmen  des Open Badges  Standards[34] entwickelt sich eine große Anzahl von  Unternehmen, die bei  der Ausgabe und Qualitätssicherung von Badges  unterstützen[35]. Neben  etablierten Signaturverfahren für Dokumente  oder zentralen  Nachweisdatenbanken bieten auch Blockchains eine  Technologie für  dezentral verwaltete, transparente und  fälschungssichere digitale  Zertifikate. Hierbei verbleibt die Ausgabe  der Zertifikate dezentral,  die Ausgabe wird jedoch öffentlich einsehbar  und unveränderlich  dokumentiert. Das deutsche Konsortium DigiCerts z.  B. widmet sich der  Frage, wie Fälschungssicherheit sowie sicherer  Zugang und sichere  Verwaltung von digitalen Bildungsnachweisen und  Zertifikaten  bedarfsgerecht und langfristig gewährleistet werden  können[36].      
Aufgrund  dieser vielfältigen Herausforderungen  kommt auch der Kommunikation über  Badges eine Bedeutung zu. Da Badges  ein erklärungsintensives Konzept  sind, ist gerade bei perspektivisch  größeren Einführungsprozessen eine  öffentliche Kommunikation notwendig.  Im Rahmen einer  Kommunikationsstrategie zu Badges müssen vor allem die  Mehrwerte sehr  gut kommuniziert werden. Diese öffentliche  Kommunikation kann von einer  Vereinigung übernommen werden oder durch  einzelne Einrichtungen  erfolgen[37]. 
4. Einschätzungen 
Badges   haben ein hohes Potenzial für Open Education sowie lebenslanges und   selbstgesteuertes Lernen. Auch der Mehrwert in Bezug auf die Erhöhung   der Motivation zum Lernen erscheint erwiesen[38]. Die ersten Ansätze zur   Standardisierung von Badges durch Software oder Plattformbetreiber   ermöglichen punktuelle Ansätze zur Erhöhung der Transparenz, zur   Förderung der Modularisierung und der Durchlässigkeit. Gerade im   Hinblick auf Studierende mit Migrationshintergrund können Badges ein   niederschwelliges Instrument zur Motivation und zur Dokumentation des   Spracherwerbs sowie zur Heranführung an die akademische Bildung sein.   Weitere Mehrwerte ergeben sich für die Bereiche Marketing und   Kommunikation. Allerdings sollte beachtet werden, dass es sich bei der   Akkumulierung von Badges nicht um ein rein spielerisches Sammeln   handelt. 
Zentrales Problem von Badges ist die Frage der   Anrechnung. Waren Anrechnungsfragen bereits bei nicht-digitalen Formaten   eine große Herausforderung, so sind sie dies im Zusammenhang mit  Badges  in besonderer Weise, weil Badges zumeist an individuelles und   kleinteiliges Lernen anknüpfen und entstandene Kompetenzen nur sehr   schwer auf zu entwickelnde übergreifende Kompetenz- oder   Anerkennungsrahmen bezogen werden können. Diese Feststellung gilt auch   im Hinblick auf die geschilderten Verbreitungsszenarien: Bereits das   Minimal-Szenario der Anerkennung innerhalb des Hochschulsektors   erscheint sehr ambitioniert.  
Daher scheint es sinnvoll, Badges   zunächst für die Nutzung von Lücken oder Ergänzungen zum formalen   Hochschulbildungssystem einzusetzen. Einsatzbereiche könnten sich   beispielsweise ergeben bei der Unterstützung der Zulassung von Personen   ohne formale Hochschulzugangsberechtigung, bei Berufsgruppen, die auf   Quereinstiege angewiesen sind und bei der Kompetenzentwicklung in der   Weiterbildung sowie bei der Anerkennung von Lernen am Arbeitsplatz. Hier   können Badges als agile Lösungen im Bereich der Kompetenzanerkennung   und als Ergänzung zum formalen System fungieren[39].
D. Zusammenfassung
Micro-Degrees   und Badges sind Ausdruck der Teilung von Bildung in kleinstmögliche   sinnvolle Lerneinheiten. Daher bieten sie beide viele Potenziale in   Bezug auf die Paradigmen Individualisierung, Modularisierung und   Durchlässigkeit. Allerdings ist (Hochschul-)Bildung nur bis zu einer   gewissen Grenze in Kleinstteile zerlegbar, weil die Gesamtqualifikation   nicht allein die Summe von Einzelnachweisen ist. Insbesondere erwächst   die akademische Persönlichkeitsbildung nur durch längere inhaltliche   Auseinandersetzung mit komplexen fachlichen Inhalten und durch stetige   Face-to-Face-Interaktion mit Lehrenden sowie Kommilitoninnen und   Kommilitonen. Insofern greift das Szenario, wonach Micro-Degrees und   Badges als eine „neue Währung des lebenslangen Lernens“ bezeichnet   werden, zu kurz. Micro-Degrees und Badges können nur eine sinnvolle   Ergänzung der sonstigen curricularen Angebote sein. 
Die HRK   empfiehlt daher den Hochschulen, sich mit Micro-Degrees und Badges   auseinanderzusetzen und zu prüfen, inwieweit im Rahmen einer am   jeweiligen Hochschulprofil ausgerichteten Strategie der Einsatz von   Micro-Degrees und Badges sinnvoll ist. In Betracht kommen dabei vor   allem die Bereiche Marketing, Studieneingangsphase, wissenschaftliche   Weiterbildung und Personalfortbildung. Wegen der Ressourcenintensität   empfiehlt es sich, Kooperationen mit anderen Hochschulen oder externen   Partnern zu suchen. Ein solches Vorgehen kann auch ein erster Schritt zu   gemeinsamen Standards sein. Eine flächendeckende Standardisierung von   Micro-Degrees und Badges kann sicher erst am Ende einer nationalen und   internationalen Entwicklung stehen.
Anlage: Zur Entstehung der Empfehlung
Die   vorliegende Empfehlung ist in der Ständigen HRK-Kommission für   Digitalisierung erstellt worden. Geleitet wird die Kommission von der   HRK-Vizepräsidentin für Digitalisierung und wissenschaftliche   Weiterbildung, Frau Professorin Dr. Monika Gross. Der Kommission gehören   als ständige Mitglieder Frau Leonie Ackermann, Herr Malte Dreyer, Herr   Professor Dr. Hannes Hartenstein, Herr Professor Dr. Wolfram  Horstmann,  Herr Professor Dr. Michael Jäckel, Frau Dr. Antje  Kellersohn, Frau  Professorin Dr. Evelyn Korn, Herr Professor Dr.  Norbert Lossau, Herr  Jens Andreas Meinen, Herr Dr. Hans Pongratz, Herr  Professor Dr. Joachim  Schachtner, Herr Professor André Stärk und Frau  Dr. Beate Tröger an.  Betreut wird die Kommission von Herrn Dr. Elmar  Schultz von der  HRK-Geschäftsstelle. 
Ausgangspunkt der Arbeiten  waren Anhörungen  am 17. Mai 2019 und am 10. Oktober 2019. Angehört  wurden Frau  Professorin Dr. Ilona Buchem, Herr Professor Dr.-Ing.  Heribert Nacken,  Herr Dr. Jochen Robes, Frau Lisa Schleker und Frau Dr.  Julia Sonnberger.
Die HRK dankt allen Beteiligten für ihre Beiträge.
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[1]   Thrun, Sebastian, zit.n. Schenkel, Ronald: „Häppchenlernen mit   Nano-Degrees“, Handelszeitung, 24.1.19   (https://alice.ch/de/informiert-bleiben/newsroom/detail/haeppchenlernen-mit-nano-degrees).   Das Jahr 2018 wird auch als „zweite Welle des MOOC-Hypes“ oder „das   Jahr der MOOC-basierten Degrees“ bezeichnet. Shah, Dwahl: „By The   Numbers: MOOCs in 2019”, 2.12.19   (https://www.classcentral.com/report/mooc-stats-2019). Ent-sprechend hat   die EFI-Kommission auch mit Blick auf Micro-Degrees die Zu-rückhaltung   deutscher Hochschulen bei der systematischen Entwicklung und   Bereitstellung innovativer digitaler Bildungs- und   Weiterbildungsangebote bedauert, EFI – Expertenkommission Forschung und   Innovation (2019): „Gut-achten zu Forschung, Innovation und   technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2019“, Berlin: EFI, S.   98f.   (https://www.e-fi.de/fileadmin/Gutachten_2019/EFI_Gutachten_2019.pdf).   Aktuell werden „Micro-Credentials“ von der EU-Kommission als möglicher   wichtiger Bestandteil der „European Universities Initiative“ genannt   (http://sgroup.be/news/eu-universities-stakeholders-meeting).  
[2]   Vgl. Buchem, I., Orr, D., Brunn, C. (2019): „Kompetenzen sichtbar machen   mit Open Badges – Abschlussbericht der HFD Community Working Group   Kompe-tenzbadges“. Arbeitspapier Nr. 48. Berlin: Hochschulforum   Digitalisierung S. 11f., Version: 2.0. DOI:   doi.org/10.5281/zenodo.3478510. 
[3] Aktive Anbieter sind   Coursera (https://de.coursera.org), edX (https://www.edx.org),   FutureLearn (https://www.futurelearn.com), iversity   (https://iversity.org/de), Lecturio (https://www.lecturio.de), oncampus   (https://www.oncampus.de), openHPI (https://open.hpi.de), Udacity   (https://www.udacity.com), Udemy (https://www.udemy.com). 
[4] Die   Bezeichnungen variieren nach Anbieter: Nanodegrees von Udacity   (https://www.udacity.com/nanodegree), Microcredentials von Certif-ID   (https://certif-id.com), Specializations von Coursera   (https://learner.coursera.help/hc/en-us/articles/208280296-Specializations)   und XSeries von edX (https://www.edx.org/xseries).  
[5] Vgl. Shah,   Dhawal: „MOOCWatch #18: Making Sense of Microcredentials”, 27.8.2018   (https://www.classcentral.com/report/making-sense-of-microcredentials). 
[6]   Im Bereich der wissenschaftlichen Weiterbildung sehen einzelne   Landeshoch-schulgesetze schon heute die Vergabe von thematisch   fokussierten Zertifikaten vor. Entsprechende Zertifikatskurse werden in   unterschiedlichem zeitlichen Umfang angeboten und stellen die am   häufigsten angebotene Form hochschu-lischer Weiterbildung dar. Sie   führen nicht zu einem Hochschulabschluss, kön-nen aber mit dem Erwerb   von ECTS-Punkten verbunden sein, die grundsätzlich im Rahmen eines   kumulativen Studienmodells auf ein späteres Studium ange-rechnet werden   können. (Wissenschaftsrat 2019, Drs. 7515-19, Empfehlungen zu   hochschulischer Weiterbildung als Teil des lebenslangen Lernens, S. 47)   Zertifikatsangebote der Hochschulen weisen daher Ähnlichkeiten mit   Micro- Degrees auf. Es sollte somit für den Weiterbildungsbereich   geprüft werden, inwieweit die gesetzlichen Grundlagen für Zertifikate   auch für Micro-Degrees genutzt werden können.
[7]   about.futurelearn.com/press-releases/the-european-mooc-consortium-emc-launches-a-common-microcredential-framework-cmf-to-create-portable-credentials-for-lifelong-learners.
[8]   In diesem Zusammenhang ist auf die „Standards and Guidelines for   Quality Assurance in the European Higher Education Area (ESG)“ zu   verweisen, deren Anwendungsbereich umfassend ist: “The ESG apply to all   higher education offered in the EHEA regardless of the mode of study or   place of delivery. (…) In this document the term “programme” refers to   higher education in its broad-est sense, including that which is not   part of a programme leading to a formal degree” Standards and Guidelines   for Quality Assurance in the European High-er Education Area (ESG),   2015, S. 7 (https://enqa.eu/wp-content/uploads/2015/11/ESG_2015.pdf).  
[9] Definition siehe www.hrk-nexus.de/glossar-der-studienreform. 
[10] hochschulforumdigitalisierung.de/de/hfdcert.  
[11]   Z.B. wird die Virtuelle Akademie Nachhaltigkeit der U Bremen durch das   BMBF finanziert   (https://www.uni-bremen.de/nm/forschung/forschungsprojekte/virtuelle-akademie-nachhaltigkeit).    
[12] Hoyer, Helmut et al. (2018). Anrechnung digitaler Lehrformate  –  Entwicklun-gen und Empfehlungen. Arbeitspapier Nr. 35. Berlin:   Hochschulforum Digitali-sierung beim Stifterverband für die Deutsche   Wissenschaft e.V., DOI: zenodo.org/record/2602545,   S. 12. 
[13] Vgl. Buchem/Orr/Brunn, Kompetenzen, S. 10ff. und 39ff.  
[14] Hoyer et al., Anrechnung, S. 11. 
[15] e-teaching.org zu Badges (https://www.e-teaching.org/lehrszenarien/pruefung/pruefungsform/badges_pattern).  
[16]   Lorenz, Anja/Meier, Stefan: „Digital Badges zur Dokumentation von   Kompe-tenzen: Klassifikation und Umsetzung am Beispiel des Saxon Open   Online Courses (SOOC) (http://ceur-ws.org/Vol-1227/paper52.pdf), S. 259.
[17] backpack.openbadges.org 
[18] Ebenda, S. 255. 
[19]   Roy Sherre/Clark, Damien: „Digital badges, do they live up to the   hype?”, British Journal of Educational Technology, Vol. 00, No 0, 2018,   (https://doi.org/10.1111/bjet.12709), S. 15.
[20] Schettler,  Juliane:  Studentisches Statement zu digitalen Kompetenzabzeichen   (https://prof.beuth-hochschule.de/buchem/abschlussarbeiten/digitale-auszeichnungen-fuer-bestleistungen).     
[21] Vgl. Schettler, Statement.  
[22]   www.openbadges.me; www.onlinebadgemaker.com;   www.digitalme.co.uk;   www.hastac.org/blogs/dthickey/2012/10/08/introducing-dml-design-principles-documentation-project.   
[23] e-teaching.org zu Badges.  
[24] Siehe ESG, Fußnote 7 und e-teaching.org zu Badges. 
[25] Vgl. e-teaching.org zu Badges.  
[26] Vgl. Buchem/Orr/Brunn, Kompetenzen, S.16. 
[27] Vgl. Buchem/Orr/Brunn, Kompetenzen, S.18.
[28]   Für die Hochschulen ist auf den „Qualifikationsrahmen für Deutsche   Hoch-schulabschlüsse“ (HQR) als Referenzmodell zu verweisen.   (https://www.hrk.de/fileadmin/redaktion/hrk/02-Dokumente/02-03-Studium/02-03-02-Qualifikationsrahmen/2017_Qualifikationsrahmen_HQR.pdf).    
[29] Vgl. Buchem/Orr/Brunn, Kompetenzen, S. 18, S. 35.  
[30] Hoyer et al., Anrechnung, S. 17, S. 21. 
[31]   Im Zusammenhang mit diesem Szenario wird auf die europäische   Klassifikation von Fähigkeiten, Kompetenzen, Qualifikationen und Berufen   (ESCO ) ESCO (European Skills, Competences, Qualifications and   Occupations),   (https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=1326&langId=de)   verwiesen. Vor-zuziehen wäre  eine einheitliche Dokumentationsstruktur   auf der Grundlage des Konzepts EUROPASS (https://www.europass-info.de),   das sich allerdings bisher auf die Berufliche Bildung konzentriert. 
[32] Buchem/Orr/Brunn, Kompetenzen, S. 28ff. 
[33] microcredentials.eu.
[34] openbadges.org
[35] badge.wiki/wiki/Badge_platforms.
[36] www.digicerts.de. 
[37] Buchem/Orr/Brunn, Kompetenzen, S. 24. 
[38] Roy/Clark, Digital badges, S. 15; Buchem/Orr/Brunn, Kompetenzen, S. 17, 20.
[39] Buchem/Orr/Brunn, Kompetenzen, S. 14f.