Entschließung des HRK-Präsidiums vom 3.11.2025
Im Rahmen der Gesamtverantwortung der Universitäten (Uni/PH) für die Lehrkräftebildung sind Kooperationsstudienmodelle zwischen Hochschulen unterschiedlichen Typs[1] im Berufsschullehramt eine Option zur Sicherung des Lehrkräftebedarfs. Wissenschaftlich und forschungsbasiert gebildete Lehrkräfte sind hierbei Voraussetzung für die Professionalisierung des Lehramts und sichern die Qualität der Schulbildung.
Bei den kooperativen Studiengangsmodellen handelt es sich im Vergleich zum Gesamtbedarf derzeit um kleine Studierenden- und Absolvent:innenkohorten. Sie setzen jedoch fach-, lehramts- oder regionalspezifisch an und leisten einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Bedarfssicherung in diesem speziellen Bereich der Lehrkräftebildung für berufsbildende Schulen.
Darüber hinaus geben viele der Vorschläge Hinweise auch für die qualitative Weiterentwicklung des klassischen Lehramtsstudiums. So können die Leitlinien dazu beitragen, zukunftsfähige Strukturen in der Lehrkräftebildung im Hinblick auf Flexibilisierung, Zielgruppenorientierung oder die Verknüpfung von Studium und Berufserfahrung zu erproben und bei Erfolg auszurollen und langfristig zu verstetigen.
Im Hinblick auf eine nachhaltige Qualitätsverbesserung regt die HRK die Weiterentwicklung der kooperativen Studien- bzw. Qualifizierungsmodelle entlang folgender Leitlinien an.[2]
I. Leitlinien zur Qualitätsentwicklung
a) Gleiche Qualitätsanforderungen trotz Vielfalt der Modelle: Es gibt bereits eine Vielfalt von Kooperationsstudienmodellen zwischen Universitäten, PH und HAW/FH. Darüber hinaus besteht die Chance zur Erschließung weiterer domänenspezifischer Kooperationsfelder (z. B. in Informatik und Pflege/Gesundheit). Alle Modelle der wissenschaftlichen Lehrkräftebildung müssen den gleichen Qualitätsanforderungen entsprechen.
b) Kooperation statt Konkurrenz: Die bestehenden Kooperationsstudienmodelle bilden eine gute Ausgangslage für mehr Sichtbarkeit, Innovation, Transparenz und Austausch zwischen den „Anbieter:innen“. Sie sollen die bestehenden Angebote zur Lehrkräftebildung für berufsbildende Schulen sinnvoll ergänzen und nicht ersetzen.
c) Kollaboration statt Kooptation: Ein Schlüssel für die Innovationskraft der bestehenden Kooperationsstudienmodelle liegt in der Bereitschaft der Universitäten, PH und HAW/FH zu einer wertschätzenden Zusammenarbeit im Hinblick auf eine gemeinsam verantwortete Lehrkräftebildung, die mehr als nur eine ergänzende Kooptation ist. Hierfür stimmen sie gemeinsame Standards ab. Die Universitäten können so ihre Erfahrungen in die Quereinstiegsmaßnahmen der Länder einbringen. Ebenso stärken akkreditierte duale Studiengänge an den HAW/FH die wissenschaftliche Begleitung der Praxiserfahrung im Hinblick auf die Verzahnung der Lernorte.
d) Evaluation der Kooperationsstudienmodelle: Die positiven Effekte der Kooperationsstudienmodelle sollten empirisch belegt werden können. Zum Beispiel können durch Absolvent:innenverbleibstudien wissenschaftliche Karrieren sichtbar gemacht werden. Insgesamt ist eine regelmäßige Evaluation für die Qualitätsentwicklung der Studiengänge und der Kooperationsstudienmodelle unverzichtbar. Hierzu werden sich die beteiligten Hochschulen auf gemeinsame Evaluationsziele verständigen, um die Synergien aus der vertieften Zusammenarbeit zwischen beiden Hochschularten verstärkt nutzen zu können.
e) Öffnung für vielfältige Lebens- und Bildungsbiografien: Zur Gewinnung von neuen Zielgruppen Studieninteressierter für das Lehramtsstudium (z. B. Erste Generation, mit Zuwanderungsgeschichte, mit Fachhochschulreife, ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung) sollten die Kooperationsstudienmodelle eine flexibel gestaltete Studieneingangsphase (z. B. mit studienbegleitenden Programmen) anbieten, um die erfolgreiche Einmündung in das Studium zu erleichtern. Die Studienangebote sollten auch die Vereinbarkeit bei besonderen persönlichen Umständen (z. B. Care-Aufgaben) ermöglichen.
II. Bildungswissenschaftliche Leitlinien
a) Gesamtverantwortung der Universitäten und Pädagogischen Hochschulen: Auf Grundlage ihrer bildungswissenschaftlichen Kernkompetenz tragen die lehrer:innenbildenden Universitäten und PH die Gesamtverantwortung für die Lehrerkräftebildung. Deshalb können und müssen sie für eine Integration von Forschungs- und Wissenschaftsorientierung sowie beruflicher und fachdidaktischer Expertise in den hochschultypenübergreifenden Kooperationskonzepten Sorge tragen.
b) Kein Aufbau von Doppelstrukturen: Durch die konstruktive Mitverantwortung der HAW/FH wird der Aufbau von Doppelstrukturen konsequent vermieden. Nach derzeitigem Stand verzeichnen sie keinen entsprechenden Zuwachs an Studierenden. Kooperationsstudienmodelle bieten eine konstruktive und praktikable Alternative, denn sie binden Studienanteile aus beruflicher Sicht und aus theoretisch reflektierter Praxiserfahrung ein.
c) Integration von Forschungs- und Wissenschaftsorientierung: Kooperationsstudienmodelle von Universitäten/PH und HAW/FH zeigen praktikable, alternative Wege in der Lehrkräftebildung auf, indem sie die Forschungs- und Wissenschaftsorientierung der Bildungswissenschaften sowie die Verbindung zur Forschungsexpertise der Lehrenden in die Kooperationsstudienkonzepte fest verankern.
d) Verständnis von Praxisbezug: Die Klärung und Präzisierung des besonderen Verständnisses von Praxisbezug im Kontext der Lehrkräftebildung für berufsbildende Schulen birgt Innovationspotenzial. Die wissenschaftliche Reflexion der Schulpraxis ist dabei grundlegend.
e) Wissenschaftlichforschende Haltung: Durch eine klare bildungswissenschaftliche sowie fachdidaktische Positionierung und die Beforschung des Berufs- und Praxisfelds auf allen Ebenen der Lehrkräftebildung wird die angeleitete wissenschaftlich-forschende Haltung der Lehramtsstudierenden gefördert und zum Ausgangspunkt für die Aufnahme von reflektierten, praxisnahen Tätigkeiten.
f) Professionalisierung: Eine gelungene Verknüpfung von wissenschaftlicher Theorie und schulischer Praxis ist u. a. grundlegend für den Kompetenzerwerb der Lehrkräfte, um den hohen Anspruch auf Fachlichkeit und Professionalität des Lehrkräfteberufs in allen Schularten gewährleisten zu können.
g) Integration von Lehr- und Lernkulturen: Die Synergien zwischen den unterschiedlichen Hochschultypen aufgrund verschiedener Lehr- und Lernkulturen werden in den Kooperationsstudienmodellen wirksam genutzt. Forschungs- und Wissenschaftsorientierung sowie Fachexpertise und zusätzliche Begleitung im Umgang mit dem Realitätsschock in den Schulen durch Vermittlung von geeigneten Schlüsselkompetenzen ergänzen sich und werden in die Kooperationsstudienmodelle fest integriert. Dies gilt auch für die wissenschaftliche Weiterbildung.
h) Schaffung hochschultypenübergreifender Innovationsräume: Der Mehrwert von Kooperationsstudienmodellen liegt in der Schaffung von langfristig angelegten hochschultypenübergreifenden Innovationsräumen sowie in der Reflexion des Beitrags der Bildungs- und Erziehungsforschung für den Stellenwert und das Anforderungsprofil der wissenschaftlichen Lehrkraft an beruflichen Schulen. Die kooperativen Studienmodelle bieten allerdings keinen schnellen Ausweg aus dem Dilemma des systemisch bedingten Lehrkräftemangels an den berufsbildenden Schulen, weil sie u. a. nicht beliebig skalierbar sind. Wenn sich bestehende kooperative Studienmodelle im Hinblick auf die Gewinnung neuer Zielgruppen bzw. Lehramtsabsolvent:innen für ausgewiesene Mangelbereiche wie die Berufsschullehrkräftebildung bewährt haben, sollten sie weiter ausgerollt und verstetigt werden.
III. Hochschulpolitische Leitlinien
a) Vertiefung, Erweiterung und Übertragbarkeit: Aufgrund der positiven Erfahrungen mit den bestehenden und gut funktionierenden hochschultypenübergreifenden Kooperations-studienmodellen (z. B. 25 Jahre „Münsteraner Modell“) sollten deren Vertiefung und Erweiterung auch in andere Bundesländer übertragen werden.
b) Abbau von Mobilitätshürden: Insbesondere gilt für den berufsbildenden Sektor auch, dass die bestehenden bürokratischen Mobilitätshürden in und zwischen den Ländern (z. B. hinsichtlich des Bundeslandwechsels der künftigen Lehrkräfte) zwingend abgebaut werden. Auch die Vielfalt der unterschiedlichen Regelungen zum Zugang zum Lehramt für berufsbildende Schulen sollte nachhaltig reduziert werden.
c) Förderung der Studierendenakquise: Die staatlichen Hochschulen sollten bei der Gewinnung von geeigneten Studienbewerber:innen die erfolgreich eingesetzten Instrumente der Studierendenakquise, wie z. B. Marketing, Angebot flexiblerer und berufsbegleitender Studienformate sowie offenere Ansprache von geeigneten Interessent:innen aus unterschiedlichen beruflichen Zielgruppen (Ingenieur:innen, Techniker:innen und Meister:innen), stärker und gezielter nutzen. Insbesondere sind die kooperativen Studienangebote adressat:innengerechter darzustellen, damit ihre charakteristischen Eigenarten sichtbar werden.
d) Imagepflege: Das Image des Lehramts für berufliche Schulen – wie im Übrigen auch das aller anderen Schularten – muss gezielt verbessert werden, z. B. durch bundesweite Informations- und Imagekampagnen mit Beteiligung aller Akteur:innen der hochschulischen und schulischen Lehrkräftebildung, zielgruppen- und gendergerechte Ansprache von fachlich geeigneten Bachelor-Studierenden in HAW/FH sowie Vernetzung zwischen beruflichen Schulen und Hochschulen zur Erweiterung der Basis für die Studierendengewinnung.
e) Alternativen schaffen, Zugangswege erweitern: Darüber hinaus ist die Schaffung von dauerhaften Alternativen zum tradierten Lehramtsstudium und die Erweiterung der Zugangswege sinnvoll, um neue Zielgruppen erreichen zu können, z. B. durch Zulassung zum M.Ed. mit nur einem Mangelfach und einem zweiten Fach in der berufsbegleitenden wissenschaftlichen Weiterbildung, durch ein offeneres System der Anerkennung anderer Studienleistungen beim Zugang zum M.Ed., durch weiteren Ausbau von Quereinstiegsmasterstudiengängen für den qualitätsgesicherten Quereinstieg, durch Ein-Fach-Master, Verstetigung des Quereinstiegs über die Sicherstellung ausreichender pädagogisch-didaktischer Nachqualifizierungsoptionen und durch Etablierung eines berufsbegleitenden Vorbereitungsdienstes oder über die Integration in ein duales Mastermodell.
IV. Voraussetzung: Rahmenbedingungen des Lehrkräfteberufs attraktiver gestalten
a) „Arbeitsplatz Schule“: Voraussetzung für eine Steigerung der Attraktivität des Lehramtsberufs ist eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen am Arbeitsort Schule, wie z. B. durch Entlastung der Lehrkräfte von Bürokratie und Schaffung eines familienfreundlicheren Klimas. Die Lehrkräfte sollten sich wieder auf ihre eigentliche anspruchsvolle Profession konzentrieren können und bei anderen Tätigkeiten (z. B. Digitalisierung, Organisationsmanagement, Beratung) von multiprofessionellen Teams (z. B. Systemadministrator:innen, Sachbearbeiter:innen, Sozialarbeiter:innen, Psycholog:innen, Pädagog:innen, Erzieher:innen u. a. pädagogische Unterstützungskräfte) entlastet werden. Hierzu müssen die politischen und finanziellen Rahmenbedingungen für Lehrkräfte am „Arbeitsplatz Schule“ deutlich verbessert werden.
b) Finanzierung: Alle Empfehlungen für Maßnahmen zur Erweiterung der Zielgruppen und Steigerung der Attraktivität machen eine zusätzliche auskömmliche Finanzierung notwendig.
c) Gleichwertigkeit des Lehramtsberufs: Das Lehramt an beruflichen Schulen sollte als gleichwertige berufliche Alternative konkurrenzfähig gestaltet werden.
ANLAGE
Beispielhafte Kooperationsstudienmodelle zwischen Universitäten, Pädagogischen Hochschulen und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften/Fachhochschulen in der Lehrkräftebildung für berufsbildende Schulen (in Auswahl).
1. Hochschule Esslingen in Kooperation mit der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und der Universität Tübingen (Baden-Württemberg)
Bachelorstudiengänge „Ingenieurpädagogik“ zum Masterstudiengang „Berufliche Bildung/Ingenieurwissenschaften“
Mehr unter:
https://www.hs-esslingen.de/studium/studienangebot/lehramt/studiengaenge-ingenieurpaedagogik-allgemein
https://www.ph-ludwigsburg.de/studium/studienangebot/berufliche-bildung-Ingenieurwissenschaften-msc
2. Ostbayerische-Technische Hochschule Amberg-Weiden in Kooperation mit der Universität Bayreuth (Bayern)
Kooperationsstudienprojekt im Bereich der beruflichen Bildung: Bachelorstudiengang „Ingenieurpädagogik“ zum Masterstudiengang „Berufliche Bildung“
Mehr unter:
https://www.uni-bayreuth.de/pressemittelung/kooperation-berufliche-bildung-ubt-oth
3. Hochschule Fulda und Universität Kassel (Hessen)
Kooperationsstudiengang Bachelor und Master „Berufspädagogik Gesundheit“
Mehr unter:
https://www.hs-fulda.de/studiengang/berufspaedagogik-fach-gesundheit-bed?sword_list%5B0%5D=Lehramt%7E&no_cache=1
4. Hochschule Osnabrück und Universität Osnabrück (Niedersachsen)
Kooperative Studiengänge „Berufliche Bildung“ (B.Sc.) und „Lehramt an berufsbildenden Schulen“ (M.Ed.) am Beispiel des Teilstudiengangs Ökotrophologie
Mehr unter:
https://www.hs-osnabrueck.de/studium/studienangebot/bachelor/berufliche-bildung-teilstudiengang-oekotrophologie-bsc/
https://www.hs-osnabrueck.de/studium/studienangebot/master/lehramt-an-berufsbildenden-schulen-teilstudiengang-oekotrophologie-med/
5. Fachhochschule Münster und Universität Münster (Nordrhein-Westfalen)
Kooperationsstudiengang „Berufsbegleitender Master-Studien-gang für das gewerblich-technische Lehramt an Berufskollegs"
Mehr unter:
https://www.fh-muenster.de/de/studiengaenge/maschinenbautechnik-master-of-education-lehramt-an-berufskollegs-berufsbegleitend
https://www.fh-muenster.de/de/studiengaenge/elektrotechnik-master-of-education-lehramt-an-berufskollegs-berufsbegleitend
https://www.fh-muenster.de/de/ibl/index
6. Universität Paderborn und Hochschule Bielefeld (Nordrhein-Westfalen)
Kooperationsstudienmodell „EduTechNet OWL“: Regionales Netzwerk zur Sicherung des Lehrkräftenachwuchses in den gewerblich-technischen Fächern des Berufskollegs
Mehr unter:
https://ei.uni-paderborn.de/technikdidaktik/forschung/edu-tech-net-owl
https://www.hsbi.de/forschung/edu-tech-net-owl
7. Hochschule Harz und Universität Magdeburg (Sachsen-Anhalt)
Bachelor-Studium „Ingenieurpädagogik“. Die begleitende pädagogische Ausbildung erfolgt in Kooperation mit der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Mehr unter:
https://www.hs-harz.de/ingenieurpaedagogik/
8. Hochschule Mittweida und Technische Universität Dresden (Sachsen)
„Projekt OptLA – Option Studium des technischen Lehramtes an berufsbildenden Schulen“
Mehr unter:
tu-dresden.de/gsw/ew/studienoptionen-technisches-lehramt/optla
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[1] Zu den kooperationswilligen Hochschulen unterschiedlichen Typs zählen lehrer:innenbildende Universitäten (einschließlich Pädagogische Hochschulen, Uni/PH) und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften /Fachhochschulen (HAW/FH, einschließlich Technische und Duale Hochschulen).
[2] Die Leitlinien fassen die Diskussionsergebnisse des zweitägigen Online-Workshops (12. und 20.2.2025) zur Zukunft der Kooperationsstudienmodelle im Lehramt für berufsbildende Schulen zusammen. An dem hochschulartenübergreifenden Dialog nahmen über 25 kooperationserfahrene Expert:innen teil und erörterten anhand von acht Praxisbeispielen die Weiterentwicklungspotenziale der etablierten Kooperationsmodelle aus Universitäten, Pädagogischen Hochschulen (Uni/PH) und HAW/FH (vgl. hierzu die Anlage).