Erwartungen der Hochschulen an den Nationalen Bildungsgipfel


HRK-Präsidium vom 2.10.2008


Am 22. Oktober treffen sich die Regierungschefs von Bund und Ländern zu einem nationalen Bildungsgipfel. Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) als Stimme der Universitäten, Fachhochschulen sowie Kunst- und Musikhochschulen in Deutschland, an denen 1, 9 Millionen und damit 98% aller Studierenden eingeschrieben sind, erwartet vom Bildungsgipfel konkrete Ergebnisse:

  1. Bund und Länder verpflichten sich, die adäquate Grundfinanzierung aller Hochschulen zu gewährleisten.
  2. Bund und Länder verpflichten sich, die politisch gewollte Erhöhung der Zahl der Studienplätze zusätzlich und qualitätsorientiert zu finanzieren.
  3. Bund und Länder verpflichten sich, die Durchlässigkeit zwischen den Bildungsbereichen zu ermöglichen.
  4. Bund und Länder verpflichten sich, die individuelle Studienförderung zu verbessern.
  5. Bund und Länder verpflichten sich auf Maßnahmen zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.
  6. Bund und Länder verpflichten sich, die Internationalisierungsstrategien der Hochschulen zu unterstützen.
  7. Bund und Länder verpflichten sich zur Weiterentwicklung der Exzellenzinitiative.
  8. Bund und Länder verpflichten sich, die Handlungsspielräume der Hochschulen zu erweitern.
  9. Bund und Länder müssen über die künftig bestmögliche Art und Weise der Finanzierung des Hochschulsystems entscheiden.

 


1. Bund und Länder verpflichten sich, die adäquate Grundfinanzierung aller Hochschulen zu gewährleisten.


Die Zahl der Studienanfänger hat sich von 166.600 im Jahre 1975 auf aktuell 356.000 und die Zahl der Studierenden insgesamt von 840.000 auf 1,986 Millionen mehr als verdoppelt. Dieser Zuwachs musste von den Hochschulen ohne reale Erhöhung der ihnen zur Verfügung stehenden Personal- und Finanzmittel geleistet werden. Die Hochschulen bilden also heute knapp 2 Millionen Studierende mit staatlichen Finanzmitteln aus, mit denen - inflationsbereinigt - im Jahre 1975 gerade einmal 840.000 Studierende ausgebildet wurden, ohne dass damals optimale Studienbedingungen bestanden hätten. Die entsprechende Steigerung des Personals in den Hochschulen und ein räumlicher Ausbau einschließlich der notwendigen Gebäudesanierungen sind überfällig. Dies belegen auch alle internationalen Vergleiche, in denen Deutschland durchweg unterdurchschnittlich abschneidet.Eine adäquate Grundfinanzierung ist auch notwendig, um die Beteiligungsfähigkeit der Hochschulen an wettbewerblichen Programmen der Forschungsförderung wie der Exzellenzinitiative und den Programmen der EU deutlich zu erhöhen sowie die Kooperationsmöglichkeiten der Hochschulen mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu verbessern. Nur so kann sichergestellt werden, dass die deutschen Hochschulen Anschluss an internationale Entwicklungen halten und im globalen Wettbewerb um die "besten Köpfe" bestehen.Der finanzielle Nachholbedarf für Lehre und Forschung wird auf 3,5 Milliarden € p.a. geschätzt.


2. Bund und Länder verpflichten sich, die politisch gewollte Erhöhung der Zahl der Studienplätze zusätzlich und qualitätsorientiert zu finanzieren.


Die Studienanfängerquote von derzeit 36 % soll auf mindestens 40 % eines Altersjahrgangs gesteigert werden. Diese weitere Öffnung der Hochschulen ist mit einer schlichten Fortführung des "Hochschulpakts" über das Jahr 2010 hinaus keineswegs realisierbar. Zusätzlich müssen jährlich 2,6 Milliarden Euro in den Hochschulbereich fließen. Dies ist notwendig, um der Steigerung der Studierendenzahlen aufgrund doppelter Abiturjahrgänge und demografischer Entwicklung gerecht zu werden und die dringend erforderlichen qualitativen Verbesserungen in der Lehre (Bologna-Reform) zu realisieren. Für diese Qualitätsverbesserungen in der Lehre an den Universitäten hat der Wissenschaftsrat ein Volumen von 1,1 Milliarden Euro veranschlagt (für die Verbesserung der Betreuungsrelationen, für Personalmittel zur Unterstützung der Lehre, Beratung der Studierenden sowie für Fortbildung der Lehrenden, Sachmittel für Qualitätsmanagementsysteme, Absolventenstudien etc. und für Fachzentren für die Hochschullehre). Zu diesen 1,1 Milliarden Euro sind die Kosten für die Studienverbesserungen an den Fachhochschulen und für den räumlichen Ausbau sowie für die Geräteausstattung aller Hochschulen hinzuzurechnen. Nur in einem gegenüber den derzeitigen Verhältnissen wesentlich verbesserten Lehr- und Lernumfeld können der gewünschte Kompetenzerwerb der Studierenden erreicht und der Bedarf an qualifizierten Fachkräften gesichert werden.


3. Bund und Länder verpflichten sich, die Durchlässigkeit zwischen den Bildungsbereichen zu ermöglichen.


Es sollen in größerem Umfang als bisher beruflich Qualifizierte ohne Abitur den Weg in die Hochschule finden. Dazu müssen die Hochschulen ihre Angebote so gestalten können, dass eine gute Integration und ein erfolgreicher Verlauf des Studiums gewährleistet sind. Erforderlich sind zusätzliche Kapazitäten für gezielte Studienberatung einschließlich Self-Assessments, für Kursangebote zur Angleichung der Vorqualifikationen und zur Begleitung der ersten Studienphase, für flexible Studienangebote, insbesondere in Teilzeit, familienfreundliche Infrastruktur an Hochschulen sowie für qualitätsgesicherte Verfahren zur Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen.Dafür sind zusätzliche Finanzmittel erforderlich. Ihr Ausmaß hängt von der Ausgestaltung der Durchlässigkeit ab.


4. Bund und Länder verpflichten sich, die individuelle Studienförderung zu verbessern.


Um bisher ungenutzte Begabungspotenziale für das Hochschulstudium zu erschließen, muss die soziale Selektivität des Bildungssystems überwunden werden. Diese entsteht schon früh in den Bildungsbiographien der Kinder und setzt sich in den späteren Ausbildungsphasen fort. Die gesellschaftlichen Barrieren für den Weg begabter Jugendlicher ins Studium müssen deshalb gesenkt werden. Insbesondere dürfen die Studienchancen studierfähiger junger Menschen nicht durch finanzielle Probleme eingeschränkt werden. Bund und Länder müssen deshalb ihrer Verantwortung gerecht werden, die Studienfördersysteme wie Stipendien, BAFöG, Darlehen/Kredite so weiter zu entwickeln, dass jeder Studierende unabhängig von den Einkommensverhältnissen des Elternhauses die Studienkosten aufbringen kann.


5. Bund und Länder verpflichten sich auf Maßnahmen zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.


Die Attraktivität der Forschungstätigkeit an den Hochschulen muss für den wissenschaftlichen Nachwuchs verbessert werden. Benötigt werden insbesondere für die jungen Doktoranden und Post docs besser berechenbare Karrierewege, die mit den Angeboten anderer internationaler Forschungsstandorte konkurrieren können. Hier ist eine stärkere finanzielle Absicherung der Nachwuchswissenschaftler Voraussetzung. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine selbständige Forschungstätigkeit von Nachwuchswissenschaftlern bei gleichzeitiger professioneller Betreuung insbesondere der Doktoranden sind zu schaffen. Die Karriereberatung der ortsgebundenen, aber insbesondere auch der mobilen Wissenschaftler deutscher oder aus-ländischer Nationalität müssen verbessert und entsprechende Strukturen an den Hochschulen ausfinanziert werden. Im Zusammenhang mit den bereits angelaufenen Maßnahmen zur Anwerbung ins Ausland migrierter deutscher und hervorragender ausländischer Wissenschaftler kann so die Basis geschaffen werden, um die Wettbewerbsfähigkeit des Forschungsstandorts Deutschland zu verbessern.


6. Bund und Länder verpflichten sich, die Internationalisierungsstrate-gien der Hochschulen zu unterstützen.


In der Hochschulbildung liegt der Schlüssel für die Möglichkeiten des Einzelnen, aber auch der Gesellschaft, die Balance zwischen den Risiken und Chancen des Globalisierungsprozesses herzustellen. Die deutschen Hochschulen müssen in diesem Globalisierungsprozess, der die Hochschullandschaft weltweit ändern wird, eine aktive Rolle spielen können. Dabei wird es darauf ankommen, dass die Hochschulen in der Lage sind, Lernen in offen zugänglichen Lernquellen und in virtuellen Organisationen zu ermöglichen, durch Ausgründungen den Zugang zu der von ihnen angebotenen Bildung auch in Ent-wicklungs- und Schwellenländern zu erleichtern und den Export höherer Bildung durch off-shore-Gründungen und durch kollaborative Arrangements, wie die Anerkennung fremder Angebote, die Durchführung fremd entwickelter Studienangebote oder Doppeldiplom-programmen zu unterstützen. Dieser Prozess zur Profilierung als transnationale Hochschulen muss von Bund und Ländern unterstützt werden.


7. Bund und Länder verpflichten sich zur Weiterentwicklung der Exzellenzinitiative.


Die Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder zur Förderung der Wissenschaft und Forschung muss fortgeführt und weiterentwickelt werden, um die Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Hochschulen nachhaltig zu sichern. Das Ortsprinzip für Antragssteller sollte im Falle der Exzellenzcluster durch ein Regionalprinzip ersetzt werden und das finanzielle Projektvolumen sollte variieren können. Die Einführung der Programmpauschale war ein erster wichtiger Schritt für die finanzielle Ausfinanzierung der Hochschulen und zur Modernisierung ihrer Governance. Sie muss erhöht werden, um die realen Kosten ab-zudecken. Angesichts der Notwendigkeit, die hochschulspezifische Verbindung von Forschung und Lehre zu stärken, sollten die Zukunftskonzepte breiter nutzbar gemacht werden. Dazu sollten die Konzepte die gesamte Hochschule und ihre forschungsbezogene Ausbildung einbeziehen.


8. Bund und Länder verpflichten sich, die Handlungsspielräume der Hochschulen zu erweitern.


Damit die Hochschulen in der Lage sind, die an sie gestellten Erwartungen zu erfüllen, müssen sie in allen Handlungsbereichen autonom handeln können. Sie benötigen die institutionelle Autonomie in akademischer sowie in finanzieller, personeller und organisatorischer Hinsicht (einschließlich der Berufungszuständigkeit, der Dienstherrenfähigkeit, der Immobilienkompetenz und der Bauherreneigenschaft).Die Hochschulen benötigen für eine moderne und effiziente Lehre im Rahmen des Bologna-Prozesses ein flexibleres Kapazitätsrecht. Dies gilt ebenso für die Notwendigkeit, ihre Ausbildungskapazitäten flexibel auf sich verändernde Nachfragen anzupassen oder für neue Schwerpunktsetzungen umzustellen. Das hochschuleigene Qualitätsmanagement und die Akkreditierung müssen von staatlichen Struktur- und Detailvorgaben befreit werden. Die von den Finanzministern vorgegebene Kostenneutralität der Professorenbesoldung (Vergaberahmen) muss zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen aufgegeben werden. Die Hochschulen müssen aus der kameralistischen Haushaltssystematik entlassen werden, damit sie ein betriebswirtschaftliches Instrumentarium entwickeln und wirtschaftlich begründet handeln können. Zielvereinbarungen müssen dazu genutzt werden, dass der Staat sich auf die ergebnisorientierte Kontrolle zurückzieht, den Hochschulen finanzielle Planungssicherheit gewährt und im Übrigen die Hochschule autonom entscheiden und handeln lässt.


9. Bund und Länder müssen über die künftig bestmögliche Art und Weise der Finanzierung des Hochschulsystems entscheiden.


Zur Bewältigung der vorstehend genannten Aufgaben müssen zum einen Länder und Bund sich - jedenfalls so lange, wie die Länder nicht bereit oder in der Lage sind, die Hochschulen adäquat zu finanzieren - schneller und unkomplizierter, vor allem aber im größeren Umfang als geplant über die Mitfinanzierung des Bundes im Hochschulbereich verständigen. Auch nach der Föderalismusreform stehen dafür praktikable Verfahren zur Verfügung. Ihre Kooperation ist jedenfalls in höherem Maße geboten als sie bisher angedacht ist. Zum anderen sollten Ausgaben für die Wissenschaft als Investitionen im Sinne des Artikels 104b GG anerkannt werden. Damit kann der Handlungsspielraum des Bundes mit Zustimmung einzelner Länder erhöht werden. Nicht zuletzt muss die traditionelle Hochschulfinanzierung um nachfrageorientierte Elemente ergänzt werden, insbesondere weil das jetzige System diejenigen Länder belohnt, die wenige Studierende ausbilden und Hochschulabsolventen importieren.


Die HRK appelliert an die Regierungschefs von Bund und Ländern, die mit dem Bildungsgipfel verbundenen Chancen auch tatsächlich zu nutzen.