Micro-Degrees und Badges als Formate digitaler Zusatzqualifikation


Empfehlung der 29. HRK-Mitgliederversammlung vom 24.11.2020

Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung

B. Empfehlungen
I. Aktive Rolle der Hochschulen
II. Potenzialanalyse
III. Problemanalyse
IV. Identifikation von Anwendungsfeldern und Erfolgsfaktoren
V. Berücksichtigung von Ambivalenzen

C. Beschreibung der Formate
I. Micro-Degrees
1. Definition und Abgrenzung
2. Potenzielle Mehrwerte und Einsatzfelder
3. Herausforderungen
4. Einschätzungen
II. Badges
1. Definition und Abgrenzung
2. Potenzielle Mehrwerte
3. Herausforderungen
4. Einschätzungen

D. Zusammenfassung

Anlage: Zur Entstehung der Empfehlung

A. Einleitung
Im Nachgang zur Einführung von MOOCs (Massive Open Online Courses) haben sich mit Micro-Degrees und Badges neue Formate und Nachweise der digitalen Lehre entwickelt, die international bereits regelmäßig in zertifizierte Bildungsprozesse eingebunden sind. Micro-Degrees werden auch als „neue Währung des lebenslangen Lernens“[1] bezeichnet. Ähnlich verhält es sich mit Badges, die als potenzieller Standard für digitale Kompetenznachweise gesehen werden[2]. Angesichts dieser beschriebenen Potenziale und der intensivierten Digitalisierung anlässlich der Corona-Pandemie dient das Papier der Auseinandersetzung, inwieweit Micro-Degrees und Badges für die digitale Lehre im deutschen Hochschulsystem fruchtbar gemacht werden können.

Der erste Teil des Papiers besteht aus einordnenden Empfehlungen. Im zweiten Teil sollen die beiden Formate im Detail vorgestellt werden. Dazu gehören die jeweiligen Versuche einer Definition und Abgrenzung sowie die Beschreibung von möglichen Mehrwerten und Herausforderungen. Den Abschluss bilden abwägende Einschätzungen.

B. Empfehlung

I. Aktive Rolle der Hochschulen
Den Hochschulen wird empfohlen, sich proaktiv mit der Entwicklung von Micro-Degrees und Badges auseinanderzusetzen.

Nicht allein aufgrund ihres Alleinstellungsmerkmals der akademischen Lehre sehen sich die Hochschulen in der Rolle, innovative Lehre zu entwickeln und zu praktizieren. Darüber hinaus befinden sich die Hochschulen auch im Wettbewerb mit nicht-hochschulischen Anbietern. Da sich diese Wettbewerbssituation durch eine zunehmende Kommerzialisierung und gleichzeitiger Intransparenz auszeichnet, darf die Gestaltung dieser Konstellation nicht anderen Akteuren überlassen werden. Vielmehr müssen die Hochschulen diese Regeln maßgeblich mitbestimmen. Entgegen mancher Erwartung gibt es zwar noch keinen massiven Einführungsdruck seitens der Studierenden, jedoch aber das Interesse an angemessenen innovativen Lern- und Lehrformaten. Daher muss jede Hochschule für sich entscheiden, inwieweit Micro-Degrees und Badges Mehrwerte für ihr Lehrprofil leisten können.

Die HRK betont, dass es sich hierbei lediglich um eine weitere Option neben vollumfänglichen Studiengängen und Weiterbildungsangeboten handeln kann, diese aber nicht gesetzlich zum Auftrag der Hochschulen gemacht werden darf.

II. Potenzialanalyse
Den Hochschulen wird empfohlen, Potenziale von Micro-Degrees und Badges für ihre Hochschullehre zu prüfen.

Obwohl die Bezeichnungen stark variieren, besteht eine Grundidee von Micro-Degrees darin, dass Studieninhalte im Sinne von größtmöglicher Modularisierung und Aggregationsfähigkeit in Kleinstteile zerlegt und auch wieder zusammengesetzt werden können. Micro-Degrees zeichnen sich durch den Vorsatz aus, formalisierte Grade anzustreben. Badges hingegen zielen auf die Sichtbarmachung von Kompetenzen, die im Rahmen des Curriculums oder außerhalb erworben werden.

Micro-Degrees und Badges haben vielfältige Potenziale. Dies gilt in Bezug auf die Organisation des Lernens, die Steigerung der Motivation, die Unterstützung der Modularisierung, die Erhöhung von Transparenz, die Förderung von Durchlässigkeit, die Weiterentwicklung des Marketings sowie neue Ansatzpunkte der Kommunikation zwischen Lernenden und Lehrenden.

III. Problemanalyse
Den Hochschulen wird empfohlen, auch inhärente Probleme von Micro-Degrees und Badges zu thematisieren.

Bei der praktischen Umsetzung von Micro-Degrees und Badges bestehen zahlreiche Herausforderungen, die sich auf die Standardisierung bzw. die Entwicklung von Anrechnungsregeln, die Einbettung in Qualitätssicherungssysteme und nicht zuletzt die Mobilisierung erheblicher Ressourcen beziehen.

Über die praktischen Herausforderungen hinaus entsteht bei Micro-Degrees und Badges die Gefahr der Zerfaserung des Wissenskanons. Dabei orientiert sich eine Zerlegung von konventionellen Studienangeboten oft an der kommerziellen Verwertung der Kleinstteile. Hochschulische Studiengänge bestehen jedoch aus sorgfältig abgestimmten und zu vermittelnden wissenschaftlichen Fragestellungen und Inhalten, entsprechenden Methoden und Formaten sowie validen Prüfungen und Abschlüssen. Dementsprechend muss die Verantwortung für Anerkennung und Anrechnung nach wie vor bei den Hochschulen liegen. Zudem erwächst die akademische Persönlichkeitsbildung nur durch längere inhaltliche Auseinandersetzung mit komplexen fachlichen Inhalten und durch stetige Face-to-Face-Interaktion mit Lehrenden sowie Kommilitoninnen und Kommilitonen.

IV. Identifikation von Anwendungsfeldern und Erfolgsfaktoren
Den Hochschulen wird empfohlen, mögliche Anwendungsfelder für Micro-Degrees und Badges zu identifizieren und anhand von gegebenen Erfolgsfaktoren zu bewerten.

Beispielhafte Anwendungsfelder könnten dem Studium vorgelagerte Orientierungsphasen und die wissenschaftliche Weiterbildung sein. Auch eignen sich Micro-Degrees und Badges zur Gewinnung von Studierenden und „High Potentials“. In der regulären Lehre bzw. in den Curricula sind Micro-Degrees oder Badges nur punktuell sinnvoll integrierbar. Ein zusätzliches Anwendungsfeld ist das Onboarding und die (interne) Fortbildung von Hochschulmitarbeiterinnen und -mitarbeitern.

Zu den maßgeblichen Erfolgsfaktoren gehören die zu konzipierende Polyvalenz von Micro-Degrees und Badges. Micro-Degrees sind dann polyvalent, wenn sie sich entweder direkt von den bestehenden Curricula im Sinne von Wahl- oder Vertiefungsfächern ableiten oder ohne weiteres in die Curricula integrierbar sind. Ähnliches gilt für Badges: Eine weitere Nutzung der durch Badges sichtbar gemachten Kompetenzen wird dadurch gefördert, dass sie sich eng an den bereits dokumentierten Kompetenzen der Modulbeschreibungen orientieren und ggf. standardisiert im Transkript oder im Diploma Supplement ausgewiesen werden können. Weitere Erfolgsfaktoren sind die Auswahl der Sprache (Deutsch oder Englisch) sowie der spezielle Zuschnitt im Rahmen von strategischen Hochschulprofilen, wie z.B. Digitalisierung, Internationalisierung, Migration, Inklusion oder Durchlässigkeit. Gerade aufgrund der Ressourcenintensität von digitalen Formaten und Nachweisen sind Kooperationen mit hochschulischen und außerhochschulischen Partnern erfolgskritisch.

V. Berücksichtigung von Ambivalenzen
Den Hochschulen wird empfohlen, Ambivalenzen von Micro-Degrees und Badges zu berücksichtigen.

Micro-Degrees und Badges bieten einerseits die Chance, mittels Akkumulierung die Durchlässigkeit der Hochschulen zu erhöhen. Andererseits kann Hochschulbildung nur begrenzt in Kleinstteile zerlegt werden, weil die Gesamtqualifikation nicht allein die Summe von Einzelnachweisen ist. Die Hochschulen sind weiterhin aufgefordert, die Kontinuität akademischer Inhalte, Methoden und Abschlüsse zu gewährleisten. Dies entspricht auch dem umfassenden Bildungsauftrag der Hochschulen, der gleichermaßen die Vermittlung von (Fach-)Wissenschaft, die Persönlichkeitsbildung und die Arbeitsmarktvorbereitung umfasst. Ein kohärentes Curriculum kann daher nur punktuell oder begleitend durch Micro-Degrees oder Badges unterstützt oder ergänzt werden.

Das Angebot von Micro-Degrees sowie Badges kann im Rahmen der normalen Studienangebote verankert werden. Handelt es sich um zusätzliche neue Angebote der Hochschulen, ist sicherzustellen, dass damit keinerlei Deputatseinbußen in den normalen Studiengängen einhergehen und diese kostenneutral (z. B. durch Studien- und Verwaltungsgebühren) zu erbringen sind.

C. Beschreibung der Formate

I. Micro-Degrees

1. Definition und Abgrenzung

Während die ersten Micro-Degrees unmittelbar als Abschlussgrade von MOOCs dienten, haben sich diese Formate zunehmend verselbständigt. Entsprechend der Vielzahl der Anbieter[3] variiert das Verständnis und auch die Begrifflichkeit[4] von Micro-Degrees. Die Grundidee von Micro-Degrees besteht darin, dass Studieninhalte im Sinne von größtmöglicher Modularisierung und Aggregationsfähigkeit in Kleinstteile zerlegt und auch wieder zusammengesetzt werden können[5]. Dabei erheben die meisten Micro-Degrees den Anspruch, zumindest eine Vorstufe eines formalisierten Abschlussgrades zu sein.

Die wissenschaftlichen Micro-Degrees werden fast ohne Ausnahme voraussetzungslos durch kommerzielle und nicht-kommerzielle Einrichtungen ohne Zertifizierungsagentur oder ein Prüfungsamt im Internet angeboten. Entsprechend stehen bisher zum Zweck einer möglichst großen Nachfrageorientierung Inhalte mit unmittelbar verwertbarem Lernergebnis im Vordergrund: Z.B. wissenschaftliches Arbeiten, Schlüsselqualifikationen, wissenschaftlicher Praxisbezug sowie berufsrelevante Zusatzausbildungen.

2. Potenzielle Mehrwerte und Einsatzfelder
Wie es bei digitaler Lehre generell der Fall ist, ergeben sich zunächst Mehrwerte hinsichtlich der Organisation des Lernens: Micro-Degrees sind ständig verfügbar und damit unabhängig von Ort und Zeit absolvierbar. Dies ist vor allem für Bildungsteilnehmende, die aufgrund familiärer, beruflicher und gesundheitlicher Faktoren Lernangebote zu festen Zeiten nur schwer nutzen können, ein wichtiger Vorteil.

Micro-Degrees haben in besonderer Weise das Potenzial zur Erhöhung der Durchlässigkeit. Dies gilt für die Heranführung insbesondere nichttraditioneller Studierender an die Hochschulen, die Gewinnung von beruflich Qualifizierten oder internationalen Studierenden sowie von Weiterbildungsinteressenten: Micro-Degrees können als Auszeichnungen für voraussetzungslos zugängliche Angebote den Einstieg in einen Studiengang erleichtern, Berufstätige an wissenschaftliche Inhalte und Methoden bzw. internationale Studierende an das deutsche Hochschulsystem heranführen sowie Ergänzungsqualifikationen für Weiterbildungsinteressierte anbieten[6].  

Eng verbunden mit dem Kriterium der Durchlässigkeit ist der Mehrwert für das Marketing. Micro-Degrees eignen sich als Marketing-Tool zur Gewinnung von Studienanfängerinnen und -anfängern, internationalen Studierenden, beruflich Qualifizierten oder Weiterbildungsinteressierten. Der Mechanismus der Gewinnung dieser Zielgruppen besteht meist darin, ein niedrigschwelliges Einstiegsangebot zu unterbreiten und dann auf die Möglichkeit der Weiterführung bzw. Anrechnung dieser Inhalte in Studiengängen oder Weiterbildungsangeboten hinzuweisen. Jenseits dieser personellen Gewinnungsstrategie kann ein Micro-Degree allein aber auch einen Mehrwert für die Außenwirkung einer Hochschule darstellen, wenn er beispielsweise im Rahmen eines gemeinsamen Labels oder einer gemeinsamen Plattform zusammen mit anderen renommierten Hochschulen erscheint.

3. Herausforderungen
Entsprechend der Grundidee der Aggregationsfähigkeit von Micro-Degrees erscheinen Standardisierung bzw. Anrechnungsregeln erstrebenswert, um Degrees verschiedener Anbieter anschlussfähig und im Idealfall eine Aggregation bis hin zu einem akademischen Abschluss möglich zu machen. Als ein solcher Versuch kann das Common Microcredential Framework des European MOOC Consortiums gesehen werden[7].  Allerdings ist oft eine anbieterübergreifende Standardisierung oder Anrechnung gar nicht gewollt, da es aus kommerzieller oder institutioneller Sicht gerade darauf ankommt, die Teilnehmenden an einen Anbieter, eine Hochschule oder eine Hochschulgruppe zu binden.

Derzeitige Praxis ist es eher, dass sich an einzelnen Hochschulen die Prüfungsämter im Zweifelsfall mit dem Anbieter austauschen oder dass ein Micro-Degree nicht ohne Weiteres außerhalb einer Hochschule oder einer definierten Hochschulgruppe anerkannt wird. In diesem Zusammenhang zeigt sich die besondere Rolle der Hochschulen, die mit einer Anrechnung außerhochschulisch erworbener Micro-Degrees eine Einbettung dieser Zertifikate in das Qualitätssicherungssystem der Studiengänge vornehmen. Hochschulen haben damit nicht nur eine Rolle als potentielle aktive Anbieter, sondern sind auch qualitätssichernde Gatekeeper für externe Micro-Degrees[8]. Grundsätzlich ist auch an wissenschaftliche Micro-Degrees die Anforderung der Qualitätssicherung zu stellen, denn Micro-Degrees sind Formate der Lehre im Allgemeinen und der digitalen Lehre im Besonderen. Deshalb gilt in gleicher Weise, dass das Qualitätsmanagement in der Lehre auf Kommunikation, Transparenz und Vertrauen sowie die Beteiligung aller Akteursgruppen angewiesen ist.

Hier könnten verbindliche Standardisierungen bzw. Anrechnungsregeln die Hochschulen in dieser Integrationsaufgabe unterstützen. Solche Prozessüberlegungen erscheinen aber zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht, da es erst einmal darum gehen muss, eine initiale Entwicklungsphase von Micro-Degrees an den Hochschulen zu ermöglichen. Eine kreative und innovative Entfaltung fach- und hochschulspezifischer Micro-Degrees scheint derzeit eher durch einen Bottom-Up-Prozess realisierbar zu sein.    

Insbesondere die Grenzfälle zwischen der Anerkennung hochschulischer und der Anrechnung außerhochschulisch erworbener Kompetenzen müssen eingehender betrachtet und eindeutig der Anerkennung oder der Anrechnung[9] zugeordnet werden, da sich die jeweiligen rechtlichen Grundlagen und Prüfkriterien unterscheiden.

Auch die Anbieter von Micro-Degrees sind in der Pflicht, die Sicherstellung der Qualität und die Vergleichbarkeit von Leistungen zu gewährleisten und Transparenz herzustellen. Dazu gehören z. B. inhaltliche und technische Prüfungsanforderungen sowie Zertifizierung und Verifizierung der Leistung. Hilfreich könnte ein ähnliches Instrument wie das Diploma Supplement sein. Denkbar wäre es zudem, an Micro-Degrees in der Weiterbildung Qualitätssiegel zu vergeben. Dies würde die Anerkennung oder Anrechnung an Hochschulen deutlich erleichtern.

Darüber hinaus müssen die Hochschulen Kriterien für die Anrechnung und Anerkennung digital erworbener Kompetenzen entwickeln, die insbesondere eine Verifizierung der Anbieter und ihrer Qualität sowie eine Einschätzung der angebotenen Programme ermöglichen. Hierfür sollten Mindeststandards und Qualitätskriterien als Empfehlung für alle Hochschulen entwickelt werden.

Allerdings hatte es bereits beim E-Learning in der ersten Dekade des
21. Jahrhunderts zunächst eine stark projektbezogene Phase gegeben, in der einige Projekte Konzepte zur Qualitätssicherung entwickelt haben (z.B. ISO-Normen oder Qualitätssiegel). Diese haben sich jedoch nicht flächendeckend etabliert. Da Qualitätssicherung nicht nur Kommunikation, sondern auch Ressourcen benötigt, ist in der Entwicklungsphase von Micro-Degrees Qualitätsmanagement noch kein essentielles Element geworden.

Dennoch gibt es im Zusammenhang mit MOOCs eine europäische Initiative, den Begriff „MOOQ for the Quality of MOOCs“ zu etablieren. National geht es weniger um allgemein gültige Qualitätssicherung z.B. nach ISO, sondern mehr um Community-zentrierte Standards wie z.B. bei e-teaching.org oder beim Hochschulforum Digitalisierung (HFD)[10]. In diesem Zusammenhang ist auch die Einbeziehung der Lernenden wichtig. Insgesamt sollte daher auch bei Micro-Degrees die Förderung von dynamischen Gestaltungsprozessen im Mittelpunkt stehen, die nicht von vornherein durch starre Qualitätssicherung konterkariert werden dürfen. Darüber hinaus sollte der Fehler vermieden werden, an digitale Formate höhere Qualitätsstandards anzulegen als bei der klassischen Präsenzlehre. Dementsprechend stellt sich in vielen Fällen dann kein gravierendes Qualitätssicherungsproblem, wenn Micro-Degrees direkt aus der Präsenzlehre entnommen und von Hochschullehrenden angeboten werden.  

Hinsichtlich der für Micro-Degrees erforderlichen Ressourcen müssen Infrastrukturen und finanzieller Aufwand berücksichtigt werden. Für die Einbettung, Vermarktung und Distribution von Micro-Degrees sind in der Regel Online-Plattformen erforderlich. Diese Plattformen können ggf. in bestehende Hochschulplattformen integriert werden, oder sie werden an externe Dienstleister bzw. kommerzielle Anbieter ausgelagert.

Trotz des begrenzten Umfangs von Micro-Degrees ist – wie auch bei anderen digitalen Formaten – der Aufwand zur Erstellung hoch. Konzeption, Produktion und Betrieb sind in der Regel nicht durch einzelne Lehrende leistbar, sondern müssen in interdisziplinärer Teamarbeit unter Einbringung fachlicher, methodisch-didaktischer und technischer Expertise gewährleistet werden. Idealerweise steht dafür ein internes oder externes Medienzentrum zur Verfügung. Der in jedem Fall entstehende Aufwand für Infrastruktur und besonders für Personal ist so hoch, dass einzelne spezifisch wissenschaftliche Micro-Degrees sich in der Regel nicht aus den Etats der beteiligten Bereiche finanzieren lassen. Daher überwiegen zumindest in Deutschland Modelle, wonach Pilotprojekte durch Projektmittel finanziert[11] oder aus strategischen Gründen zentrale Mittel eingesetzt werden.

4. Einschätzungen
Micro-Degrees sind Ausdruck von dynamischen Entwicklungen in der digitalen Lehre bzw. auf dem internationalen digitalen Bildungsmarkt. Welche Strukturen und Angebote sich auf diesem Markt nachhaltig etablieren werden, ist nicht abzusehen. Aus diesem Grund sollte in der Pionierphase eine Ermöglichungskultur im Vordergrund stehen, und strukturelle Regeln nach Standardisierung, Anrechnung und Qualitätssicherung sollten die experimentelle Entwicklung nicht überlagern.

Solche strukturellen Herausforderungen werden natürlich dadurch erschwert, dass einzelne weltweit agierende Anbieter auf dem Weg sind, eine Monopolstellung zu erreichen. Daher steht die strategische Frage im Raum, inwieweit sich die deutschen Hochschulen in einem zunehmend von US-amerikanischen Anbietern dominierten Wettbewerb positionieren wollen, um insbesondere die Zugänglichkeit und Durchlässigkeit dieser Formate zu sichern. Aber auch im nationalen Kontext könnte es eine Entwicklung von Hochschulen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten geben: Hochschulen, die sich Micro-Degrees finanziell leisten können und jene, denen die Ressourcen dazu fehlen. Als Antwort auf die Ressourcenfrage bieten sich hochschulübergreifende Kooperationen an. Angesichts dieser Perspektiven sollten sich die Hochschulen mit den Potenzialen von Micro-Degrees beschäftigen und prüfen, ob diese für die jeweiligen Hochschulstrategien einsetzbar sind.

II. Badges
Der Begriff der Badges ist sehr breit angelegt. Ein Zusammenhang von Micro-Degrees und Badges besteht darin, dass Badges neben einer eigenständigen Verwendung auch als Nachweise für Kompetenzen aus Micro-Degrees dienen können. Andere typische Anwendungsfälle von Badges beziehen sich auf MOOCs, vorgängig erworbene Kompetenzen und Bewerbungsprozesse[12].  

1. Definition und Abgrenzung
Grundsätzlich ergibt sich der Bedarf für Badges als digitale Kompetenznachweise aus der verstärkten Individualisierung von (akademischen) Bildungsverläufen: Neben der traditionellen Kompetenzvermittlung in Studiengängen, wissenschaftlichen Weiterbildungsangeboten sowie Promotionen gewinnen zunehmend non-formale und informelle Kompetenzen an Bedeutung. Dies gilt insbesondere für den Übergang zwischen den Bildungssystemen.

An diesen Übergangsstellen können durch Badges Informationen zu erworbenen Lernergebnissen hinterlegt und kodiert abgespeichert werden. Zu diesen Informationen zählen z.B. Prüfungsergebnisse, Hausarbeiten, Auszüge eines E-Portfolios und vor allem Schlüsselkompetenzen (Umgang mit digitalen Daten, soziales Engagement, Projekterfahrungen, Sprachkenntnisse sowie interkulturelle Erfahrungen). Ebenfalls sollte darüber nachgedacht werden, auch ein Engagement in der Forschung zu berücksichtigen. Über die Informationen zu den Studierenden hinaus können auch Angaben zu den Lehrenden und Ausbildenden sowie zur ausstellenden Institution durch Badges hinterlegt werden[13].  

Die Idee der Badges ist im Rahmen der verstärkten Digitalisierung in der Lehre bereits 2011 von der Mozilla Foundation mit dem Ziel eines „Open Badge Standards“ aufgenommen worden. Dieser gemeinsame Standard ermöglicht Interoperabilität, Validierung und Verifizierung der hinterlegten Belege. Dieser Open-Badge-Standard wird seit 2017 von IMS Global weiterentwickelt[14].  

Während in der Praxis – insbesondere bei Badges als Abschlussnachweise von MOOCs – die Grenzen zwischen Micro-Degrees und Badges unscharf sind, so gibt es doch Abgrenzungsmerkmale: Erstens zielen Micro-Degrees in der Regel auf das Erreichen formalisierter Grade ab, wohingegen Badges ihren Schwerpunkt bei nicht formal erworbenen Kompetenzen haben. Zweitens sind Micro-Degrees als Angebote von Bildungseinrichtungen eher institutionell orientiert, Badges dagegen erfolgen meist im Rahmen von freiwilligen Erweiterungen des persönlichen Portfolios und haben damit vielmehr eine individuelle Orientierung.

2. Potenzielle Mehrwerte
Ein offensichtlicher Mehrwert von Badges besteht in der Erhöhung der Transparenz von erworbenen Kompetenzen. Badges ermöglichen eine bestimmte Dokumentation und meist intuitiv verständliche Visualisierung der Leistungen, die erbracht worden sind. Neben den Angaben zu Lehrenden und Hochschulen können auch Informationen über (Vergabe-)Kriterien, Zeitraum und Art der erbrachten Leistungen hinterlegt werden[15].

Daher unterstützen Badges auch die Modularisierung von Lernformaten im Sinne einer Unterteilung in Lernpakete: Komplexe Kompetenzen können in Stufen eingeteilt und feingranular abgebildet werden[16]. Zudem ist eine Zusammenführung von unterschiedlichen Badges derselben Hochschule oder auch von externen Anbietern möglich. Dazu dient auch das Konzept eines ePortfolios bzw. „Backpacks“, eines virtuellen Rucksacks[17]. Badges leisten damit einen Beitrag zur onlinebasierten Skalierung von Lehr- und Lernformaten.

Ein zentraler Mehrwert ergibt sich durch die Funktion von Badges als extrinsischem Motivationsfaktor. Statt Druck zu erzeugen, wird Ehrgeiz geweckt, den Badge zu erlangen und die damit verbundenen Anforderungen zu meistern[18]. Studien belegen, dass Badges sowohl der Erhöhung als auch der Aufrechterhaltung der Lernmotivation dienen[19]. Darüber hinaus fungieren sie als Inspiration für neue Ziele z. B. in der wissenschaftlichen Weiterbildung[20]. Somit sind Badges ein Instrument zur Förderung des selbstgesteuerten Lernens.  

Badges können die Durchlässigkeit insbesondere zwischen Wissenschaft und Berufswelt fördern. Für Berufstätige kann der Ausweis niederschwelliger wissenschaftlicher Fertigkeiten und Fähigkeiten ein erster Schritt hin zu einem wissenschaftlichem Weiterbildungsformat oder zu einem Studium sein. Umgekehrt können gerade für Hochschulabsolventinnen und -absolventen berufsbezogene Leistungen und Erfahrungen, z. B. der Umgang mit digitalen Daten oder Projekterfahrungen durch Badges in einem Bewerbungsverfahren sichtbar gemacht werden.

Ein besonderer Einsatzbereich für Badges sind Studierende mit Migrationshintergrund. Diese Studierenden haben oft viele Kompetenzen, die man niedrigschwellig anerkennen kann. Auch der Erwerb der deutschen Sprache kann so unterstützt werden. Solche Angebote von Badges stoßen regelmäßig auf eine hohe Nachfrage seitens der Studierenden.

Auch der Aspekt des Marketings kann durch Badges unterstützt werden. Dies gilt – wie bereits beschrieben – für das individuelle Marketing in eigener Sache, also der Selbstrepräsentation der Studierenden. Darüber hinaus können Badges aber auch dem Marketing von Lehrenden, Studiengängen oder Hochschulen dienen, wenn dies auf Grundlage eines abgestimmten Marketingkonzeptes erfolgt.

Akademische Badges können auch zu flexibleren Studienverläufen bzw. zur Verringerung von Studienabbrüchen von Teilzeitstudierenden beitragen, wenn einzelne auch praxisbeziehbare Kompetenzen bereits im Studium nachgewiesen und für höherwertige Beschäftigungsverhältnisse genutzt werden.

Aber auch jenseits strategischer Marketinginstrumente bieten Bagdes Ansatzpunkte zur Kommunikation. Hierbei geht es vor allem um die Kontaktaufnahme zu Menschen mit ähnlichen Interessen und Fähigkeiten mit dem Ziel des Austausches[21].

3. Herausforderungen
Eine Herausforderung bei der Etablierung von Badges besteht in der Standardisierung. Erste basale Standards, z.B. für „Open Badges“ sind bereits entwickelt worden. Auch existieren bereits Werkzeuge zur Erstellung von Badges, und es gibt schon erste Design-Richtlinien. Einige Lernmanagementsysteme ermöglichen die Vergabe von Badges, die kompatibel mit anderen Standards sind und sowohl im Nutzerprofil angezeigt als auch auf entsprechenden Plattformen veröffentlicht werden können. Allerdings gibt es nur wenige nichtkommerzielle Plattformen für Badges[22].  

Das Erfordernis der Standardisierung geht jedoch weit über die verfügbaren Software-Standards hinaus: Wichtig sind vor allem die Beschreibung von Workflows zur Vergabe von Badges. Ein maßgeblicher Regelungsbedarf besteht darin, wer die Lernergebnisse und Anforderungen eines Badges festlegt. Wie auch bei anderen innovativen Lernkonzepten ist es bei Badges notwendig, das Rollenverständnis zwischen Lernenden und Anbietern zu klären. Eine Synthese zwischen der Festlegung durch den einzelnen Nachfragenden und einem Anbieter sind Peer-to-Peer-Bewertungsprozesse. Die Abstimmung der Vergabekriterien bleibt in jedem Fall zentral und zeitintensiv.

Eng verbunden mit der Herausforderung der Standardisierung ist die zentrale Frage der Anrechnung. Dabei ist zu beachten, dass die Spannbreite der für Badges erbrachten Leistungen sehr groß ist: Manche Badges werden aufgrund von rekapitulierbaren Prüfungsleistungen – etwa bei Abschlussarbeiten oder Sprachtests – erteilt, andere Badges beziehen sich lediglich auf das Lesen von Texten und das Nachvollziehen von Lernvideos. Letzteres ist dabei schwer überprüfbar[23]. Bei einer flächendeckenden Etablierung von Badges, die auch für geforderte Studienleistungen angerechnet werden, müsste ein System von Qualitätskriterien und Qualitätskontrollen etabliert werden[24].  

Angesichts dieser Herausforderung ist es weitgehend offen, inwieweit Badges auch von Dritten als Leistung anerkannt werden[25]. Gerade in Bezug auf die Rezeption des Arbeitsmarktes besteht eine beträchtliche Unsicherheit: Personalabteilungen der Arbeitswelt weisen auf große Probleme in Bezug auf den Umgang mit insbesondere nicht-hochschulischen Zertifikaten hin[26]. Diesem Defizit bei der Standardisierung und der Zertifizierung können die Hochschulen begegnen, weil sie sowohl die Erfahrung in solchen Prozessen als auch öffentliche Reputation haben.  

Als Lösungsansatz wird der Aufbau eines digitalen Systems zum Nachweis von Kompetenzen genannt[27]. Allerdings geht es bei Badges wegen ihrer Ausrichtung auf individuelle Sammlungsaktivitäten meist gerade nicht um das Einbringen eines abgeschlossenen (kleinen) Zertifikats in ein größeres, sondern zunächst um eine Feststellung der Äquivalenz der erworbenen Kompetenz zu denjenigen eines Zertifikats. Daher müsste jedes Badge einzeln auf die inhaltliche Passung geprüft werden. Diese Prüfung müsste durch eine dritte Person erfolgen und im positiven Fall sowohl sichtbar als auch nachvollziehbar gemacht werden.

Vorstufen zu einem solchen Verfahren könnten die Schaffung von Vertrauen, die geeignete Dokumentation von Kompetenzen und das Erreichen einer Mindestreichweite sein. Dabei ist es sinnvoll, bereits etablierte Kompetenzmodelle oder Qualifikationsrahmen[28] nicht zu ignorieren, sondern in ein sinnvolles Verhältnis zu neuen digitalen Systemen zu setzen. Auch hier wird übereinstimmend kein Top-Down-System, sondern die Entwicklung eines sich von unten entwickelnden fach- oder branchenspezifischen Systems empfohlen[29].  

Im Hinblick auf die notwendige Mindestreichweite sind unterschiedliche Szenarien zur Diskussion gestellt worden. Einem Minimal-Szenario zufolge wird ein Anerkennungssystem innerhalb des Hochschulsektors etabliert, d.h. es werden in Hochschulen erworbene Badges auch von anderen Hochschulen anerkannt. Dieses System wird sich vermutlich aus individuellen und pauschalen Anrechnungsverfahren zusammensetzen. Hilfreich kann hier auch die Einrichtung eines Anrechnungsregisters sein[30]. Ein Medium-Szenario beschreibt einen Anerkennungsstandard, der die Nutzung von Badges sowohl in der Hochschulbildung als auch in der Arbeitswelt möglich macht[31]. In einem Maximal-Szenario erstreckt sich der Anerkennungsrahmen umfassend, d.h. auf die Schul- und Hochschulbildung, die Arbeitswelt, die Weiterbildung und die Berufsbildung. Idealerweise werden bei der Realisierung eines solchen Szenarios z. B. angezeigt, welche Badges den Zugang zu einer Arbeitsstelle eröffnen[32].

Badges und Micro Degrees erfordern für den digitalen Nachweis der Leistungen technische Standards und entsprechende digitale Zertifikate, mit denen der Erwerb von Kompetenzen digital und rechtssicher nachvollzogen werden kann. Die sich hieraus ergebende Automatisierbarkeit hat das Potenzial für wesentliche Veränderungen von Personal- und Projektvorgängen. So ergeben sich durch digitale Zertifikate z. B. neue Möglichkeiten, um Profile von Aufgaben oder Stellen bzw. Bewerberinnen und Bewerbern sehr zielgerichtet automatisiert abzugleichen.

Neben der Standardisierung und Anrechnung gilt es auch, eine Qualitätssicherung zu entwickeln, die eine entsprechende Überprüfung des erreichten Wissensstandes sicherstellt. Darüber hinaus müssen Minimumstandards für die Zugänglichkeit überprüft werden.

Die EU möchte mit dem Micro Credential Framework[33] die Vergabe digitaler Zertifikate auch an Hochschulen unterstützen und entwickeln. Im Rahmen des Open Badges Standards[34] entwickelt sich eine große Anzahl von Unternehmen, die bei der Ausgabe und Qualitätssicherung von Badges unterstützen[35]. Neben etablierten Signaturverfahren für Dokumente oder zentralen Nachweisdatenbanken bieten auch Blockchains eine Technologie für dezentral verwaltete, transparente und fälschungssichere digitale Zertifikate. Hierbei verbleibt die Ausgabe der Zertifikate dezentral, die Ausgabe wird jedoch öffentlich einsehbar und unveränderlich dokumentiert. Das deutsche Konsortium DigiCerts z. B. widmet sich der Frage, wie Fälschungssicherheit sowie sicherer Zugang und sichere Verwaltung von digitalen Bildungsnachweisen und Zertifikaten bedarfsgerecht und langfristig gewährleistet werden können[36].      

Aufgrund dieser vielfältigen Herausforderungen kommt auch der Kommunikation über Badges eine Bedeutung zu. Da Badges ein erklärungsintensives Konzept sind, ist gerade bei perspektivisch größeren Einführungsprozessen eine öffentliche Kommunikation notwendig. Im Rahmen einer Kommunikationsstrategie zu Badges müssen vor allem die Mehrwerte sehr gut kommuniziert werden. Diese öffentliche Kommunikation kann von einer Vereinigung übernommen werden oder durch einzelne Einrichtungen erfolgen[37].

4. Einschätzungen
Badges haben ein hohes Potenzial für Open Education sowie lebenslanges und selbstgesteuertes Lernen. Auch der Mehrwert in Bezug auf die Erhöhung der Motivation zum Lernen erscheint erwiesen[38]. Die ersten Ansätze zur Standardisierung von Badges durch Software oder Plattformbetreiber ermöglichen punktuelle Ansätze zur Erhöhung der Transparenz, zur Förderung der Modularisierung und der Durchlässigkeit. Gerade im Hinblick auf Studierende mit Migrationshintergrund können Badges ein niederschwelliges Instrument zur Motivation und zur Dokumentation des Spracherwerbs sowie zur Heranführung an die akademische Bildung sein. Weitere Mehrwerte ergeben sich für die Bereiche Marketing und Kommunikation. Allerdings sollte beachtet werden, dass es sich bei der Akkumulierung von Badges nicht um ein rein spielerisches Sammeln handelt.

Zentrales Problem von Badges ist die Frage der Anrechnung. Waren Anrechnungsfragen bereits bei nicht-digitalen Formaten eine große Herausforderung, so sind sie dies im Zusammenhang mit Badges in besonderer Weise, weil Badges zumeist an individuelles und kleinteiliges Lernen anknüpfen und entstandene Kompetenzen nur sehr schwer auf zu entwickelnde übergreifende Kompetenz- oder Anerkennungsrahmen bezogen werden können. Diese Feststellung gilt auch im Hinblick auf die geschilderten Verbreitungsszenarien: Bereits das Minimal-Szenario der Anerkennung innerhalb des Hochschulsektors erscheint sehr ambitioniert.  

Daher scheint es sinnvoll, Badges zunächst für die Nutzung von Lücken oder Ergänzungen zum formalen Hochschulbildungssystem einzusetzen. Einsatzbereiche könnten sich beispielsweise ergeben bei der Unterstützung der Zulassung von Personen ohne formale Hochschulzugangsberechtigung, bei Berufsgruppen, die auf Quereinstiege angewiesen sind und bei der Kompetenzentwicklung in der Weiterbildung sowie bei der Anerkennung von Lernen am Arbeitsplatz. Hier können Badges als agile Lösungen im Bereich der Kompetenzanerkennung und als Ergänzung zum formalen System fungieren[39].

D. Zusammenfassung
Micro-Degrees und Badges sind Ausdruck der Teilung von Bildung in kleinstmögliche sinnvolle Lerneinheiten. Daher bieten sie beide viele Potenziale in Bezug auf die Paradigmen Individualisierung, Modularisierung und Durchlässigkeit. Allerdings ist (Hochschul-)Bildung nur bis zu einer gewissen Grenze in Kleinstteile zerlegbar, weil die Gesamtqualifikation nicht allein die Summe von Einzelnachweisen ist. Insbesondere erwächst die akademische Persönlichkeitsbildung nur durch längere inhaltliche Auseinandersetzung mit komplexen fachlichen Inhalten und durch stetige Face-to-Face-Interaktion mit Lehrenden sowie Kommilitoninnen und Kommilitonen. Insofern greift das Szenario, wonach Micro-Degrees und Badges als eine „neue Währung des lebenslangen Lernens“ bezeichnet werden, zu kurz. Micro-Degrees und Badges können nur eine sinnvolle Ergänzung der sonstigen curricularen Angebote sein.

Die HRK empfiehlt daher den Hochschulen, sich mit Micro-Degrees und Badges auseinanderzusetzen und zu prüfen, inwieweit im Rahmen einer am jeweiligen Hochschulprofil ausgerichteten Strategie der Einsatz von Micro-Degrees und Badges sinnvoll ist. In Betracht kommen dabei vor allem die Bereiche Marketing, Studieneingangsphase, wissenschaftliche Weiterbildung und Personalfortbildung. Wegen der Ressourcenintensität empfiehlt es sich, Kooperationen mit anderen Hochschulen oder externen Partnern zu suchen. Ein solches Vorgehen kann auch ein erster Schritt zu gemeinsamen Standards sein. Eine flächendeckende Standardisierung von Micro-Degrees und Badges kann sicher erst am Ende einer nationalen und internationalen Entwicklung stehen.

Anlage: Zur Entstehung der Empfehlung

Die vorliegende Empfehlung ist in der Ständigen HRK-Kommission für Digitalisierung erstellt worden. Geleitet wird die Kommission von der HRK-Vizepräsidentin für Digitalisierung und wissenschaftliche Weiterbildung, Frau Professorin Dr. Monika Gross. Der Kommission gehören als ständige Mitglieder Frau Leonie Ackermann, Herr Malte Dreyer, Herr Professor Dr. Hannes Hartenstein, Herr Professor Dr. Wolfram Horstmann, Herr Professor Dr. Michael Jäckel, Frau Dr. Antje Kellersohn, Frau Professorin Dr. Evelyn Korn, Herr Professor Dr. Norbert Lossau, Herr Jens Andreas Meinen, Herr Dr. Hans Pongratz, Herr Professor Dr. Joachim Schachtner, Herr Professor André Stärk und Frau Dr. Beate Tröger an. Betreut wird die Kommission von Herrn Dr. Elmar Schultz von der HRK-Geschäftsstelle.

Ausgangspunkt der Arbeiten waren Anhörungen am 17. Mai 2019 und am 10. Oktober 2019. Angehört wurden Frau Professorin Dr. Ilona Buchem, Herr Professor Dr.-Ing. Heribert Nacken, Herr Dr. Jochen Robes, Frau Lisa Schleker und Frau Dr. Julia Sonnberger.

Die HRK dankt allen Beteiligten für ihre Beiträge.
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[1] Thrun, Sebastian, zit.n. Schenkel, Ronald: „Häppchenlernen mit Nano-Degrees“, Handelszeitung, 24.1.19 (https://alice.ch/de/informiert-bleiben/newsroom/detail/haeppchenlernen-mit-nano-degrees). Das Jahr 2018 wird auch als „zweite Welle des MOOC-Hypes“ oder „das Jahr der MOOC-basierten Degrees“ bezeichnet. Shah, Dwahl: „By The Numbers: MOOCs in 2019”, 2.12.19 (https://www.classcentral.com/report/mooc-stats-2019). Ent-sprechend hat die EFI-Kommission auch mit Blick auf Micro-Degrees die Zu-rückhaltung deutscher Hochschulen bei der systematischen Entwicklung und Bereitstellung innovativer digitaler Bildungs- und Weiterbildungsangebote bedauert, EFI – Expertenkommission Forschung und Innovation (2019): „Gut-achten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2019“, Berlin: EFI, S. 98f. (https://www.e-fi.de/fileadmin/Gutachten_2019/EFI_Gutachten_2019.pdf). Aktuell werden „Micro-Credentials“ von der EU-Kommission als möglicher wichtiger Bestandteil der „European Universities Initiative“ genannt (http://sgroup.be/news/eu-universities-stakeholders-meeting).  
[2] Vgl. Buchem, I., Orr, D., Brunn, C. (2019): „Kompetenzen sichtbar machen mit Open Badges – Abschlussbericht der HFD Community Working Group Kompe-tenzbadges“. Arbeitspapier Nr. 48. Berlin: Hochschulforum Digitalisierung S. 11f., Version: 2.0. DOI: doi.org/10.5281/zenodo.3478510.
[3] Aktive Anbieter sind Coursera (https://de.coursera.org), edX (https://www.edx.org), FutureLearn (https://www.futurelearn.com), iversity (https://iversity.org/de), Lecturio (https://www.lecturio.de), oncampus (https://www.oncampus.de), openHPI (https://open.hpi.de), Udacity (https://www.udacity.com), Udemy (https://www.udemy.com).
[4] Die Bezeichnungen variieren nach Anbieter: Nanodegrees von Udacity (https://www.udacity.com/nanodegree), Microcredentials von Certif-ID (https://certif-id.com), Specializations von Coursera (https://learner.coursera.help/hc/en-us/articles/208280296-Specializations) und XSeries von edX (https://www.edx.org/xseries).  
[5] Vgl. Shah, Dhawal: „MOOCWatch #18: Making Sense of Microcredentials”, 27.8.2018 (https://www.classcentral.com/report/making-sense-of-microcredentials).
[6] Im Bereich der wissenschaftlichen Weiterbildung sehen einzelne Landeshoch-schulgesetze schon heute die Vergabe von thematisch fokussierten Zertifikaten vor. Entsprechende Zertifikatskurse werden in unterschiedlichem zeitlichen Umfang angeboten und stellen die am häufigsten angebotene Form hochschu-lischer Weiterbildung dar. Sie führen nicht zu einem Hochschulabschluss, kön-nen aber mit dem Erwerb von ECTS-Punkten verbunden sein, die grundsätzlich im Rahmen eines kumulativen Studienmodells auf ein späteres Studium ange-rechnet werden können. (Wissenschaftsrat 2019, Drs. 7515-19, Empfehlungen zu hochschulischer Weiterbildung als Teil des lebenslangen Lernens, S. 47) Zertifikatsangebote der Hochschulen weisen daher Ähnlichkeiten mit Micro- Degrees auf. Es sollte somit für den Weiterbildungsbereich geprüft werden, inwieweit die gesetzlichen Grundlagen für Zertifikate auch für Micro-Degrees genutzt werden können.
[7] about.futurelearn.com/press-releases/the-european-mooc-consortium-emc-launches-a-common-microcredential-framework-cmf-to-create-portable-credentials-for-lifelong-learners.
[8] In diesem Zusammenhang ist auf die „Standards and Guidelines for Quality Assurance in the European Higher Education Area (ESG)“ zu verweisen, deren Anwendungsbereich umfassend ist: “The ESG apply to all higher education offered in the EHEA regardless of the mode of study or place of delivery. (…) In this document the term “programme” refers to higher education in its broad-est sense, including that which is not part of a programme leading to a formal degree” Standards and Guidelines for Quality Assurance in the European High-er Education Area (ESG), 2015, S. 7 (https://enqa.eu/wp-content/uploads/2015/11/ESG_2015.pdf). 
[9] Definition siehe www.hrk-nexus.de/glossar-der-studienreform.
[10] hochschulforumdigitalisierung.de/de/hfdcert. 
[11] Z.B. wird die Virtuelle Akademie Nachhaltigkeit der U Bremen durch das BMBF finanziert (https://www.uni-bremen.de/nm/forschung/forschungsprojekte/virtuelle-akademie-nachhaltigkeit). 
[12] Hoyer, Helmut et al. (2018). Anrechnung digitaler Lehrformate – Entwicklun-gen und Empfehlungen. Arbeitspapier Nr. 35. Berlin: Hochschulforum Digitali-sierung beim Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V., DOI: zenodo.org/record/2602545, S. 12.
[13] Vgl. Buchem/Orr/Brunn, Kompetenzen, S. 10ff. und 39ff. 
[14] Hoyer et al., Anrechnung, S. 11.
[15] e-teaching.org zu Badges (https://www.e-teaching.org/lehrszenarien/pruefung/pruefungsform/badges_pattern). 
[16] Lorenz, Anja/Meier, Stefan: „Digital Badges zur Dokumentation von Kompe-tenzen: Klassifikation und Umsetzung am Beispiel des Saxon Open Online Courses (SOOC) (http://ceur-ws.org/Vol-1227/paper52.pdf), S. 259.
[17] backpack.openbadges.org
[18] Ebenda, S. 255.
[19] Roy Sherre/Clark, Damien: „Digital badges, do they live up to the hype?”, British Journal of Educational Technology, Vol. 00, No 0, 2018, (https://doi.org/10.1111/bjet.12709), S. 15.
[20] Schettler, Juliane: Studentisches Statement zu digitalen Kompetenzabzeichen (https://prof.beuth-hochschule.de/buchem/abschlussarbeiten/digitale-auszeichnungen-fuer-bestleistungen).  
[21] Vgl. Schettler, Statement. 
[22] www.openbadges.me; www.onlinebadgemaker.com; www.digitalme.co.uk; www.hastac.org/blogs/dthickey/2012/10/08/introducing-dml-design-principles-documentation-project.
[23] e-teaching.org zu Badges. 
[24] Siehe ESG, Fußnote 7 und e-teaching.org zu Badges.
[25] Vgl. e-teaching.org zu Badges. 
[26] Vgl. Buchem/Orr/Brunn, Kompetenzen, S.16.
[27] Vgl. Buchem/Orr/Brunn, Kompetenzen, S.18.
[28] Für die Hochschulen ist auf den „Qualifikationsrahmen für Deutsche Hoch-schulabschlüsse“ (HQR) als Referenzmodell zu verweisen. (https://www.hrk.de/fileadmin/redaktion/hrk/02-Dokumente/02-03-Studium/02-03-02-Qualifikationsrahmen/2017_Qualifikationsrahmen_HQR.pdf). 
[29] Vgl. Buchem/Orr/Brunn, Kompetenzen, S. 18, S. 35. 
[30] Hoyer et al., Anrechnung, S. 17, S. 21.
[31] Im Zusammenhang mit diesem Szenario wird auf die europäische Klassifikation von Fähigkeiten, Kompetenzen, Qualifikationen und Berufen (ESCO ) ESCO (European Skills, Competences, Qualifications and Occupations), (https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=1326&langId=de) verwiesen. Vor-zuziehen wäre  eine einheitliche Dokumentationsstruktur auf der Grundlage des Konzepts EUROPASS (https://www.europass-info.de), das sich allerdings bisher auf die Berufliche Bildung konzentriert.
[32] Buchem/Orr/Brunn, Kompetenzen, S. 28ff.
[33] microcredentials.eu.
[34] openbadges.org
[35] badge.wiki/wiki/Badge_platforms.
[36] www.digicerts.de.
[37] Buchem/Orr/Brunn, Kompetenzen, S. 24.
[38] Roy/Clark, Digital badges, S. 15; Buchem/Orr/Brunn, Kompetenzen, S. 17, 20.
[39] Buchem/Orr/Brunn, Kompetenzen, S. 14f.