COVID-19-Krise: Auswirkungen auf Forschung an den Hochschulen


Beschluss des HRK-Präsidiums vom 25.1.2021

Positionspapier

Ausgangslage

Mit Beginn der COVID-19-Pandemie im Frühjahr 2020 erfuhr nicht nur der Lehrbetrieb an den Hochschulen erhebliche Einschränkungen. Auch Forschungstätigkeiten mussten vielfach unter- oder gar abgebrochen werden oder hatten mit erschwerten Bedingungen zu kämpfen. Die Beschränkungen dauern im Wintersemester an und drohen auch das Sommerhalbjahr 2021 zu erfassen. Herausforderungen für die Forschung bestehen zum Beispiel, wenn Infrastrukturen nicht oder auf Grund der notwendigen Hygienekonzepte nur teilweise nutzbar sind. In diesen Fällen gilt es nicht zuletzt abzuwägen, ob und wann Forschungsarbeiten aus dem Frühjahr nachgeholt oder ob eher neue Projekte angestoßen werden sollen. Damit einher gehen Entscheidungen über die Fortsetzung oder Initiierung von Kooperationen mit externen Partnern, auch aus der Wirtschaft, sowie Auswirkungen auf die (Weiter-)Beschäftigung von hochqualifiziertem Personal. Vernetzung und Kooperation, insbesondere auf der internationalen Ebene, sind darüber hinaus negativ betroffen von den Mobilitätseinschränkungen sowie den Beeinträchtigungen, die für Veranstaltungen wie Kongresse und Workshops bestehen bzw. kurzfristig verhängt werden müssen. Die Zusammenarbeit mit Partnern aus der Wirtschaft droht darüber hinaus auch mittelfristig zu leiden, wenn diese auf Grund einer schlechten wirtschaftlichen Entwicklung die notwendigen Eigenmittel für Forschungskooperation mit Hochschulen nicht mehr aufbringen können.

Auswirkungen
Die pandemiebedingten Beschränkungen des Forschungsbetriebs haben nicht nur kurzfristig Auswirkung auf die Hochschulen, sondern drohen auch darüber hinaus negative Folgen nach sich zu ziehen. Die betrifft insbesondere die Forschungsfinanzierung sowie die Perspektiven des wissenschaftlichen Personals. Beides birgt zudem erhebliche Risiken für die mittel- und langfristige Entwicklung des Wissenschafts- und Innovationsstandorts Deutschland, weil wertvolle Kapazitäten und Kompetenzen verloren gehen könnten.

Die Finanzierung der Forschung an den Hochschulen gerät sowohl auf Grund von krisenbedingten Mehrkosten unter Druck als auch durch Einnahmeausfälle. Erstere fallen u.a. wegen erhöhter Personal- und Sachkosten an, die durch die Verzögerung von Vorhaben entstehen und etwa im Rahmen von Drittmittelprojekten nur teilweise kompensiert werden.[1] Einnahmeausfälle schlagen insbesondere dann zu Buche, wenn Projektpartner ihre Zahlungen einstellen oder sich von geplanten Vorhaben zurückziehen müssen.[2] 
Finanzierungsengpässe haben unmittelbare Auswirkungen auf die Beschäftigungssituation im Bereich Forschung. Besonders betroffen sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Drittmittel-finanzierten Projekten, die in der Regel befristet beschäftigt sind. Bei Abbruch ihrer Projekte bzw. bei einer Verlängerung ohne hinreichende Kompensationsmittel besteht häufig keine Möglichkeit, Arbeitsverträge zu verlängern.

Insgesamt haben die pandemiebedingten Einschränkungen vor allem auf Forscherinnen und Forscher in der Qualifizierungsphase negative Rückwirkungen – sowohl auf diejenigen, die aktuell eine Promotion oder darüberhinausgehende wissenschaftliche Qualifikation anstreben, als auch auf die folgende Generation. Da sich Qualifizierungszeiten vielfach verlängern, stehen für Nachrückende weniger Positionen zur Verfügung. Außerdem engagierten sich viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den letzten Monaten besonders stark in der Lehre. Die eigene Profilbildung musste für Forschende in einer frühen Karrierephase dabei oft zurückstehen. Zusätzlich erschwert wurde und wird diese für eine wissenschaftliche Karriere essentielle Aufgabe auch durch die geringeren Möglichkeiten, sich in der jeweiligen wissenschaftlichen Fachgemeinschaft (international) zu vernetzen und fachöffentlich Aufmerksamkeit für die eigene Arbeit zu gewinnen. Die angespannte wirtschaftliche Lage beeinträchtigt außerdem den Übergang in den außerwissenschaftlichen Arbeitsmarkt, so dass sich die Beschäftigungsperspektiven für die junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler insgesamt deutlich zu verschlechtern drohen. Es sei auch erwähnt, dass die beschriebenen Auswirkungen besonders Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit familiären Verpflichtungen treffen, die bei geschlossenen Betreuungseinrichtungen und Schulen auch in diesem Feld zusätzliche Aufgaben übernehmen (müssen).

Eine zurückhaltende Einstellungspraxis von Unternehmen kann – zusätzlich zu den unmittelbaren negativen Folgen durch den Einbruch bei Forschungskooperationen zwischen Industrie und Hochschulen – mittelfristig außerdem der Innovationsfähigkeit des Standorts schaden. Die große Mehrheit der Promovierten nimmt letztlich eine Beschäftigung außerhalb der Hochschulen und öffentlichen Forschungseinrichtungen auf und sorgt so für einen steten Wissenstransfer in Wirtschaft und Gesellschaft. Ähnlich fatal für den Wissenschafts- und Innovationsstandort wären Einschnitte in die Förderung der Grundlagenforschung. Deren Erkenntnisse sind nicht nur unverzichtbar für zukünftige technologische Durchbrüche und neue Produktentwicklungen, sondern auch für sozialen Fortschritt, mehr Nachhaltigkeit und bessere Resilienz gegenüber Krisen.

Schlussfolgerungen und Handlungsbedarfe
Aus dieser Problembeschreibung leiten sich verschiedene Handlungsbedarfe sowohl für die Hochschulen selbst als auch für Bund und Länder sowie weitere mittelgebende Einrichtungen ab.

Für die Hochschulen

-    Um erneute Schließungen im Forschungsbetrieb zu verhindern,
ist auf eine strikte Umsetzung der Hygienekonzepte zu achten. Dies geht auch damit einher, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Studierenden zu motivieren, die entsprechenden Regeln auf und abseits des Campus zu beachten.

-    zur Verhinderung von Karrierebrüchen sollten die Hochschulen
die vorhandenen rechtlichen und finanziellen Spielräume bestmöglich nutzen.

-    Gleichwohl müssen bei Personalentscheidungen wie
Einstellungen oder Tenure-Evaluationen die Qualitätsstandards beibehalten werden. Pandemie-bedingte Beeinträchtigungen sind dabei angemessen zu berücksichtigen.

-    Insbesondere die Übernahme zusätzlicher Sorgeaufgaben
während der Pandemie muss in eine faire Leistungsbewertung eingehen. Eine Möglichkeit hierfür ist die gendergerechte Berücksichtigung solcher Zeiten bei der Ermittlung des akademischen Alters.[3]

Für Bund und Länder sowie weitere Forschungsförderer

-    Die Praxis in den Bundesländern, in Abstimmung mit den
Hochschulen Möglichkeiten zur dauerhaften Aufrechterhaltung eines sicheren Forschungsbetriebs auch unter Pandemiebedingungen zu finden, sollte beibehalten werden.

-    Die Kompensation von Einnahmeausfällen zur Sicherung von
Projekterfolgen sowie Forschungskompetenz ist auch weiterhin erforderlich.

-    Auch die Gegenfinanzierung von Mehrbedarfen bleibt
notwendig, um Karrierebrüche zu verhindern und das Ziel der verbesserten Planungssicherheit für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einer frühen Karrierephase nicht zu konterkarieren. Bei lediglich kostenneutralen Verlängerungsoptionen stoßen die Hochschulen zunehmend an ihre Grenzen.

-    Die Finanzierung auch von erkenntnisgetriebener Forschung
muss national und europäisch dauerhaft sichergestellt sein. Nur so lässt sich die Innovationsfähigkeit erhalten und gesellschaftliche Resilienz in zukünftigen Krisen durch breites Wissensreservoir stärken.

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[1] Da Unternehmen aktuell bei ihren Eigenleistungen z.T. Stundungen vornehmen und die Hochschulen nach Möglichkeit in Vorleistungen treten, lassen sich Mehrausgaben und Einnahmeausfälle aktuell nicht abschließend (trennscharf) bilanzieren. Eine Abfrage der HRK bei verschiedenen Hochschulverbünden deutet darauf hin, dass insbesondere für Qualifikationsarbeiten Lösungen gefunden werden müssen.
[2] Die genannte HRK-Abfrage ergab, dass an Hochschulen innerhalb der Verbünde bereits jetzt Schäden im zweistelligen Millionenbereich anfallen. Überdies besteht große Unsicherheit über die weiteren Entwicklungen (Stand: Oktober 2020). Ein Abbruch laufender oder geplanter Kooperationen kann langfristig eine Störung institutioneller Forschungsprogrammatiken mit sich bringen und zu Vertrauensverlusten führen, die eine Zusammenarbeit in der Zukunft erschweren könnten.
[3] “European Women in Mathematics” macht in einen offenen Brief beispielsweise folgenden Vorschlag: „Women with dependent children should be automatically eligible (although not required) to subtract up to 12 months from their academic age – for the purpose of hiring, grant eligibility, tenure deadlines, etc – due to disruptions from the COVID-19 pandemic. Men with minor children or researchers involved in eldercare during the crisis will be eligible if they can demonstrate that they were responsible for caregiving.” (EWM 2020, www.europeanwomeninmaths.org/ewm-open-letter-on-the-covid-19-pandemic/).