Zur Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG)


Entschließung des 153. HRK-Senats am 21.3.2023

Der Senat der HRK begrüßt, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung nunmehr in Vorbereitung einer Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) wesentliche Eckpunkte der geplanten Änderungen bekannt gegeben hat. Das Ministerium versucht dabei zwar, die Funktions- und Leistungsfähigkeit des deutschen Hochschulsystems und dessen internationale Wettbewerbsfähigkeit zu berücksichtigen und sie mit den berechtigten Interessen der Wissenschaftler:innen in frühen Karrierephasen abzuwägen.

Dennoch erinnert der Senat der HRK auch in diesem Stadium der Beratungen noch einmal an den folgenden Punkt: Die Novellierung des WissZeitVG wird nicht mehr unbefristete Stellen schaffen, und das WissZeitVG regelt auch nicht die Ausdifferenzierung von hochschulischen Karrierewegen neben der Professur. Mehr unbefristete Stellen erfordern in erster Linie mehr dauerhafte Mittel für die Grundfinanzierung der Hochschulen und eine veränderte Finanzstruktur der Hochschulen (insbesondere Verhältnis von Grundfinanzierung zu Drittmitteln). Der Bund ist bereits gemeinsam mit den Ländern aktiv geworden, beispielsweise durch den Zukunftsvertrag Studium und Lehre, das Professorinnenprogramm oder das Tenure-Track-Programm, das gemäß Koalitionsvertrag neu aufgesetzt werden soll. Das WissZeitVG regelt lediglich das notwendige Sonderbefristungsrecht der Wissenschaft. Die unterschiedlichen Interessenlagen werden dabei gerade in dem komplexen Zusammenspiel der einzelnen Regelungsvorschläge gewahrt. Vor diesem Hintergrund besteht aus Sicht des Senats bei einigen der vorgelegten Änderungsvorschläge Anlass zu erheblicher Besorgnis. Hervorzuheben sind besonders die folgenden Aspekte:

  • Die vorgeschlagene Regelung zur Höchstbefristungsdauer in der Postdoc-Phase (drei Jahre) ist eindeutig zu kurz, um Wissenschaftler:innen in frühen Karrierephasen über alle Fächer hinweg zu innovativen Forschungsvorhaben zu ermutigen; Qualitätsverluste in der Forschung, Abwanderung der Besten in das Ausland und negative Folgen für die individuellen Karrieremöglichkeiten und Qualifizierungsoptionen (z.B. Habilitation) sind absehbar. Zudem verhindert diese Regelung den Karriereweg zu einer Professur im Rahmen von Tandemprogrammen an Hochschulen für Angewandte Wissenschaft, die im Zuge des Bund-Länder-Programmes „Gewinnung von professoralem Personal“ etabliert wurden. Darüber hinaus hebelt sie die bestehenden Modelle von gemeinsamen Nachwuchsgruppen mit der außerhochschulischen Forschung aus. Schließlich wird sie absehbar zu einer weiteren Benachteiligung von Frauen bei der Verwirklichung wissenschaftlicher Karrieren führen. Lediglich die erhaltenen Übertragungsmöglichkeiten von ersparten Promotionszeiten können diese Problematiken etwas dämpfen und sind schon deshalb unverzichtbar.


  • Der generelle Vorrang der Qualifizierungsbefristung bei Drittmittelprojekten gefährdet den von der Politik geforderten Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in Wirtschaft und Gesellschaft und damit technologische und soziale Innovation. Nicht jedes Drittmittelprojekt, vor allem mit Partnern aus der Wirtschaft, wird mit Blick auf seine Laufzeit die gewünschte Mindestlaufzeit der Qualifizierungsbefristung umfassen; vielfach dienen diese Projekte ohnehin nicht der Qualifizierung im engeren Sinn. Hier kann der auch künftig weite Qualifizierungsbegriff aushelfen, aber nicht verhindern, dass die Neuregelung insgesamt die gesellschaftliche Funktion und gesetzliche Aufgabe der Drittmittelforschung verkennt.


  • Schon die beschränkte Tariföffnungsklausel führt absehbar zu einer Zersplitterung und erneuten Versäulung des Wissenschaftssystems. In der Folge würden die Wechselmöglichkeiten innerhalb des Hochschulsystems und zu außerhochschulischen Forschungseinrichtungen grundlegend erschwert und unter den Vorbehalt der schwankenden Laufzeiten und Inhalte von Tarifverträgen gestellt. Transparenz und Planbarkeit von Karrieren werden auf diese Weise nachhaltig verringert und nicht erhöht.


  • Schließlich ist die in den Eckpunkten vorgesehene Mindestvertragslaufzeit für die studienbegleitende Beschäftigung als wissenschaftliche Hilfstätigkeit nach dem WissZeitVG nicht abgestimmt auf die hochschulischen Bedarfe, die sich häufig semesterweise bzw. zur Unterstützung von zeitlich befristeten wissenschaftlichen Vorhaben ergeben.