Zur Koalitionsvereinbarung von SPD und Bündnis 90 / Die Grünen vom 16. Oktober 2002


198. Plenum am 5.11.2002



Die Hochschulrektorenkonferenz begrüßt eine Reihe der in der Koalitionsvereinbarung genannten Ziele. Die Förderung von Schlüsseltechnologien ist ein gutes Beispiel für zukunftsweisende Forschungspolitik. Indessen geben einige Ausführungen auch Veranlassung, zu konstruktiver Kritik:


1. Ausweitung der Studierendenzahl auf 40% eines Jahrgangs


Die Notwendigkeit, junge Menschen für einen zunehmend globalisierten Wettbewerb durch eine qualifizierte Ausbildung bestmöglich zu rüsten, wird von der HRK nachhaltig unterstrichen. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass eine Vielzahl von Arbeitsplätzen immer höhere Anforderungen stellen, die nur mit einer kompetenten und wissenschaftlich basierten Ausbildung bewältigt werden können. Dieses Ziel kann aber nur dann erreicht werden, wenn die Struktur des Bildungssystems hinreichend differenziert ist und die Ressourcen eine adäquate Betreuung und Ausbildung gewährleisten. Das duale System der Berufsbildung bedarf ebenfalls einer ständigen Verbesserung und einer verstärkten Ausweitung in den Tertiärbereich.


Die Hochschulrektorenkonferenz hat wiederholt darauf hingewiesen, dass schon jetzt in vielen Hochschulfächern die nach internationalem Maßstab erforderliche Betreuung nicht gewährleistet ist. Es kann bei der bestehenden Unterfinanzierung nicht gelingen, 40% eines Jahrgangs ein wissenschaftsadäquates Hochschulstudium zu ermöglichen (von einem derzeitigen Stand von 32%). Dies ist nur vorstellbar, wenn die Hochschulfinanzierung auf das Niveau z. B. der USA, Kanadas und vergleichbarer Länder angehoben wird und gleichzeitig wirksame, qualitätsbezogene Auswahlmechanismen installiert würden. Die HRK erinnert in diesem Zusammenhang an die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers von 1998, in der er die Hochschulen zurecht als "Zukunftswerkstätten der Gesellschaft" bezeichnet. Mit der Schaffung derartiger Rahmenbedingungen ist jedoch in den nächsten 4 Jahren kaum zu rechnen, insbesondere fehlt in der Koalitionsvereinbarung hierzu eine Aussage.


2. Ranking aller deutschen Hochschulen


Die HRK befürwortet durchaus die Initiative zur Durchführung von Leistungsvergleichen der jeweiligen Fächer an den Hochschulen, weil sie die notwendige Transparenz der Leistungen und der Leistungsfähigkeit erlaubt. Ein Ranking der Hochschulen als Institutionen selbst wäre nicht wissenschaftsangemessen, es bietet auch für Studienbewerber bezogen auf das individuelle Fachstudium keine Orientierung. Insgesamt sind jedoch fachbezogene Ranking-Verfahren ein nützliches Element innerhalb eines umfassenden Systems zur Qualitätsentwicklung und -sicherung.


Allerdings wird von der Koalition der Anschein erweckt, als würden Ranking-Verfahren in Deutschland noch nicht praktiziert. Die HRK hat schon vor 10 Jahren mit ihrem Projekt Profilbildung Ansätze entwickelt, die vom CHE (Centrum für Hochschulentwicklung) zu einem auch im Ausland beachteten Verfahren weiterentwickelt wurde. Das Rad muss in Deutschland auf diesem Gebiet nicht vom Staat neu erfunden werden.


Auch Verfahren des internationalen Benchmarkings können einen Beitrag zu Qualitätsentwicklung leisten. In Zeiten des Bologna-Prozesses und des Entstehens eines Europäischen Hochschulraums können auf diese Weise Leistungsvergleiche auf eine nicht nur auf Deutschland begrenzte Basis gestellt werden. Die HRK strebt längerfristig auch Kompetenz-Tests bei Hochschulabsolventen im OECD-Vergleich an.


3. Einführung gestufter Studiengänge


Die Einführung von Bakkalaureus/Bachelor und Magister-Master-Studiengängen wurde bereits durch das HRG von 1998 ermöglicht. Einer "Einführung" durch den Bund bedarf es angesichts von über 1000 BA/MA Programmen nicht mehr. Die Hochschulrektorenkonferenz plädiert allerdings für ein offenes, differenziertes und flexibles System von Studiengängen, das sich auch am Arbeitsmarkt orientiert, dessen kurzfristigen Bedarf jedoch nicht einfach abbildet. Die (Wieder-) Einführung gestufter Studiengänge bildet ein zentrales Ziel des sogenannten Bologna-Prozesses, welcher primär von den Hochschulen ausgegangen ist. Entsprechend würdigt auch das Communiqué, das die europäischen Bildungsminister 2001 in Prag unterzeichnet haben, die aktive Rolle, die die European University Association (EUA) als europaweite Vertretung der Hochschulen bei der Einleitung und Gestaltung des Bologna-Prozesses übernommen hat. Um die Ausrichtung der nächsten Konferenz der Europäischen Bildungsminister, bei der eine europäisch geprägte Studienreform im Mittelpunkt stehen wird, hat sich bekanntlich Deutschland erfolgreich bemüht, so dass diese im September 2003 in Berlin stattfinden wird.


4. Wohnraum für ausländische Studierende


Die Bereitschaft, die Wohnraumsituation für ausländische Studierende in Ballungsgebieten zu verbessern, wird von der HRK begrüßt. Sie hat eine entsprechende Forderung selbst schon lange gemeinsam mit DAAD und DSW erhoben. Den freundlichen Worten müssen aber endlich Taten folgen. Erfreulicherweise hat sich inzwischen auf allen Ebenen die Einsicht durchgesetzt, dass der Wissenschaftsstandort Deutschland auch der Mitwirkung ausländischer studierender Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler bedarf. Wenn aber, was leider häufig berichtet wird, junge ausländische Menschen mit Hoffnungen und Erwartungen zu uns kommen, dann aber feststellen, dass sie noch nicht einmal adäquate Unterkünfte erhalten, so schadet dies dem Ansehen Deutschlands mehr, als alle Marketing-Bemühungen nützen. Obwohl die Hochschulrektorenkonferenz, DAAD und das DSW praktische Schritte nun schon seit einem Jahr anmahnen, liegt angesichts fehlender Finanzierungsbereitschaft noch kein umsetzungsfähiges Konzept vor.In diesem Zusammenhang sollte darauf geachtet werden, dass im Sinne eines den Austausch fördernden Miteinanders von deutschen und ausländischen Studierenden eine ausgewogene Belegung der Studentenwohnheime erfolgt. Darüber hinaus sollten für private Vermieter Anreize gegeben werden zur Vermietung an Studierende.


5. Wissenschaftstarifvertrag


Die Hochschulrektorenkonferenz sieht in dem Abschluss eines Wissenschaftstarifvertrags einen weiteren notwendigen Schritt der Personalrechtsreform für die Wissenschaft. Insofern wird die Bereitschaft der Koalition, den Abschluss eines Wissenschaftstarifvertrags zu unterstützen, nachdrücklich begrüßt. Damit würde auch die Möglichkeit eröffnet, die von der HRK wiederholt geforderte Ausdehnung der befristeten Beschäftigungsverhältnisse im Drittmittelbereich auf eine tragfähige Rechtsgrundlage zu stellen. Die HRK ist bereit, zusammen mit den anderen Wissenschafts­organisationen an der Ausarbeitung mitzuwirken.


6. GATS


Die HRK unterstützt die Bundesregierung in ihrer Position, dass im Rahmen der Konkretisierungsverhandlungen des "General Agreements on Trade in Services" (GATS) die Struktur des öffentlich finanzierten Bildungssystems in Deutschland nicht zur Disposition steht. Öffentlich verantwortete Bildung und somit auch Hochschulbildung ist kein gewöhnliches "Handelsgut" wie sonstige Dienstleistungen. In den Strukturen der Bildungssysteme bilden sich kulturell geprägte Werte ab, die sich einer ausschließlich handelspolitischen Betrachtungsweise entziehen. Bildungspolitik darf daher nicht dem Primat der Handelspolitik unterworfen werden.Die HRK hält für die anstehenden Verhandlungen vor allem zwei Grundsätze für zentral:

a. Maßstäbe für Qualität in der Hochschulbildung dürfen nicht losgelöst vom kulturellen Anspruch einer Gesellschaft festgelegt werden. Sie zu entwickeln gehört zu den Kernaufgaben öffentlich verantworteter Bildungseinrichtungen und sie müssen zudem unabhängig von Verpflichtungen nach GATS festgelegt werden können.

b. Die Regeln zur "Inländerbehandlung" gemäß Art. 12 des Vertrages können keinesfalls eine generelle Verpflichtung zu staatlicher Subventionierung privater Anbieter von Bildungsdienstleistungen rechtfertigen, die diese dann privilegiert. Die Sicherung der verfassungsmäßigen Freiheit von Forschung, Lehre und Studium, die Sicherung internationaler Qualitätsstandards bei der Anerkennung ausländischer Bildungsanbieter und der faire Zugang aller Geeigneten zum Studium an solchen Einrichtungen gehören ebenso zu den Voraussetzungen einer evtl. staatlichen Förderung wie nachweisbare Kostenvorteile für die öffentliche Hand. In diesem Zusammenhang begrüßt die HRK, dass das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie als Verhandlungsführer die Position Deutschlands zu den erneut anstehenden GATS-Verhandlungen nur in enger Kooperation mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung unter Einbeziehung der Hochschulen entwickelt.