Zur Europäischen Charta für Forscher und zum Verhaltenskodex für die Einstellung von Forschern


Entschließung des 206. Plenums der HRK vom 23.11.2005



Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) als Vertretung der deutschen Hochschulen

  • begrüßt die zunehmende Aufmerksamkeit, die die Europäische Kommission der Forschung und insbesondere der Hochschulforschung im Kontext des Aufbaus des Europas des Wissens entgegenbringt;

  • unterstützt im Grundsatz die politischen Ziele der Europäischen Kommission, die mit der Empfehlung zur Europäischen Charta für Forscher und dem Verhaltenskodex für die Einstellung von Forschern verbunden sind;

  • schätzt die Charta als eine wichtige Empfehlung ein, die durch die Kraft ihrer Argumente wirken und von Forschern, Förderern und Arbeitgebern als eine ethische Orientierung auf freiwilliger Basis umgesetzt werden sollte;

  • weist darauf hin, dass die Mehrzahl der Ziele der Charta in Deutschland bereits umgesetzt oder, wie z.B. die Wertschätzung der interuniversitären Mobilität, Teil der deutschen Wissenschaftstradition sind;

  • präsentiert in dem anliegenden Umsetzungsprotokoll das Verständnis der Charta und des Kodex aus der Sicht der deutschen Hochschulen und weist auf potentielle Hindernisse und künftige Aufgaben bei der Umsetzung der Charta hin.

Die Hochschulrektorenkonferenz nimmt die Charta und den Kodex an und empfiehlt ihren Mitgliedshochschulen die Berücksichtigung der Empfehlungen der Charta und des Kodex, soweit sie nicht schon umgesetzt sind bzw. soweit einer Umsetzung nicht gesetzliche und andere rechtliche Bestimmungen im Wege stehen. Die HRK wird den Prozess der Umsetzung der Charta mit Empfehlungen und Informationsdienstleistungen an die deutschen Hochschulen im Rahmen ihrer Möglichkeiten begleiten. Sie wird hierzu einen Meinungsbildungsprozess unter den Mitgliedshochschulen insbesondere darüber anstoßen, welche einer Umsetzung der Empfehlungen hinderlichen Rahmenbedingungen geändert werden sollten.


Umsetzungsprotokoll zur Europäischen Charta für Forscher und zum Verhaltenskodex für die Einstellung von Forschern


Die nachfolgenden Punkte der Europäischen Charta für Forscher und des Verhaltenskodex für die Einstellung des Forschers bedürfen aus der Sicht der deutschen Hochschulen einer weitergehenden Diskussion und Behandlung, um die Umsetzung der Charta und des Kodex durch die Hochschulinstitutionen und durch die einzelnen Forscher zu erleichtern. Die Punkte beziehen sich in ihren Überschriften auf die Gliederungspunkte der Charta und des Kodex:


Abschnitt 3: Begriffsbestimmungen


Definition des Forschers


Das deutsche Wissenschaftssystem ist wie viele andere europäische Systeme durch eine große Verschiedenheit der Forscherprofile gekennzeichnet. Es bestehen deshalb Zweifel, ob die der Charta zugrunde liegende Definition des Forschers gemäß den Richtlinien des Frascati-Handbuchs (OECD 2002) nicht zu einer sachlich unangemessenen Nivellierung führt, die z.B. auch Wissenschaftsjournalisten zu Forschern macht. Dies widerspricht der Tradition, wie sie durch berufsständische Begriffsdefinitionen und tarifvertragliche Regelungen in Deutschland besteht.


Abschnitt 1: Die Europäische Charta für Forscher


Für Forscher geltende allgemeine Grundsätze und Anforderungen


Gesellschaftlicher Nutzen der Forschung


Die Charta betont mehrfach die notwendige gesellschaftliche Relevanz und den notwendigen Nutzen der Forschung. Dies ist ein für die Hochschulen besonders sensibles Thema. Forschung ist Grundlage der Weiterentwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft. Deshalb müssen die Hochschule in die Lage versetzt werden, sowohl durch die Grundlagenforschung als auch durch die angewandte Forschung entsprechende Innovationen zu fördern. Die Hochschulen betonen hier ausdrücklich die in Paragraph 13 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegte Bestimmung "Kunst und Forschung sind frei. Die akademische Freiheit wird geachtet."


Rechenschaftspflicht des Forschers (Berufsverhalten, vertragliche und rechtliche Pflichten, Rechenschaftspflicht, Arbeitsbeziehung zu Betreuern)


Die akademische Freiheit geht auch nach Auffassung der deutschen Hochschulen einher mit einer Rechenschaftspflicht des Forschers gegenüber der Gesellschaft und der Forschergemeinschaft. Sie darf jedoch nicht zu einer hochbürokratischen Detailkontrolle und zu übersteigerten Melde-, Aufschreib- und Buchführungspflichten führen, die das notwendige kreative Arbeiten erschweren.


Für Arbeitgeber und Förderer geltende allgemeine Grundsätze und Anforderungen Rechte an geistigem Eigentum


Das deutsche Arbeitnehmererfindungsgesetz von 2002 hat bewusst das Hochschullehrerprivileg aufgehoben und erlaubt der Hochschule die kommerzielle Verwertung der Erfindungen ihrer Hochschulangehörigen (Forscher). Diese sind verpflichtet, jede Publikation, die eine patentfähige Erfindung enthält, der Hochschule anzuzeigen. Dabei steht dem Erfinder eine 30 %ige Beteiligung an den potentiellen Bruttoeinnahmen der Hochschule im Falle einer Patentanmeldung zu.


Vergabe von Forschungsstipendien (Stabilität und Beständigkeit der Beschäftigung, Finanzierung und Gehälter)


Die Hochschulen halten weiterhin die Vergabe von Forschungsstipendien für ein unabdingbares Element der Förderung und der Personalentwicklung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Stipendien erlauben dem Wissenschaftler, sich auf ihre Aufgabe in der Forschung zu konzentrieren, ohne durch andere Arbeitsaufgaben belastet zu sein. Eine Information des Arbeitgebers über die sozialrechtlichen Folgen an die Stipendiaten bei Stipendienvergabe ist unabdingbar. Die Hochschulen begrüßen auch die in der bisherigen Diskussion über die Charta definierten Mindestabsicherungen für Stipendiaten in Form einer obligatorischen Kranken- und Unfallversicherung und einer Mutterschaftsabsicherung. Diese Forderungen werden durch die wichtigen deutschen Stipendiengeber bereits umgesetzt.


Nichtdiskriminierung


Das Gebot der Nichtdiskriminierung wegen der nationalen Herkunft sollte nicht ausschließen, dass national finanzierte Stipendienprogramme Angehörigen des Heimatstaats oder Bewerbern aus einzelnen Ländern vorbehalten bleiben.


Wertschätzung von Mobilität


Die Hochschulen teilen ausdrücklich die hohe Wertschätzung, die die Charta der geographischen, sektorüberschreitenden, interdisziplinären, transdisziplinären und virtuellen Mobilität sowie der Mobilität zwischen dem öffentlichen und dem Privatsektor beimisst. Sie teilen ebenso die Auffassung, dass die mangelnden Möglichkeiten zur Mitnahme von Sozialversicherungsansprüchen, insbesondere der Ruhegehaltsansprüche, die Mobilität vor allem zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor und die geographische Mobilität in Europa stark behindert. Hier sind die europäischen Regierungen dringend aufgefordert, gegen diesen Wettbewerbsnachteil der deutschen und der europäischen Forschung vorzugehen und innovative Lösungen zu schaffen.


Beurteilungssysteme


In Deutschland ist zum 1.1.2005 die leistungsorientierte Professorenbesoldung umgesetzt worden, die eine Leistungsbeurteilung einschließt. Für den Bereich der wissenschaftlichen Mitarbeiter bietet sich zum Beispiel das Werkzeug der Zielvereinbarung an, um eine transparente Beurteilung zu ermöglichen. Bei entsprechender Größe eines Landes und einer Fachgemeinschaft von Forschern ist Transparenz auch innerhalb eines Landes und ohne Hinzuziehung von ausländischen Experten erreichbar.


Laufbahnentwicklung/Möglichkeit einer Laufbahnberatung


Der Entwicklung einer Laufbahnentwicklungsstrategie für Forscher an Hochschulen widerspricht die deutsche Tradition des Verbots der Hausberufung, die in den Landesgesetzen festgelegt worden ist und die die Mobilität der Wissenschaftler sicherstellen will. Den deutschen Hochschulen ist außerdem die kontinuierliche Erneuerung des Nachwuchses ein wichtiges Anliegen, und sie sehen mit Sorge die Gefahr einer Petrifizierung der Personalstruktur der Hochschulen. Für erfahrene Forscher, die keine Professorenstelle erhalten können, wird zurzeit nach Wegen gesucht, ihnen eine Dauerbeschäftigung unter Einräumung von Sonderkündigungsrechten für den Arbeitgeber zu ermöglichen. Die deutschen Hochschulen sehen in jedem Falle die Notwendigkeit, die Beratung der Forscher über mögliche Karrierewege innerhalb und außerhalb der Hochschule zu verstärken.


Betreuung


Die deutschen Hochschulen sehen es als ihre Aufgabe an, die Betreuung von Nachwuchsforschern und Doktoranden weiter zu intensivieren und sind im Dialog mit den europäischen Partnern dabei, verschiedene Modelle zu entwickeln, um dieses Ziel zu erreichen.


Möglichkeit zur Weiterbildung in der Forschung


Die deutschen Hochschulen halten die Entwicklung von Weiterbildungsangeboten für die Hochschulmitglieder für eine wichtige Aufgabe und haben unterschiedliche Modelle entwickelt. Sie sehen hier durchaus noch weiteren Entwicklungsbedarf, dessen Erfüllung zurzeit vor allem finanzielle Restriktionen entgegenstehen.


Abschnitt 3: Der Verhaltenskodex für die Einstellung von Forschern


Die deutschen Hochschulen begrüßen grundsätzlich den vorgelegten Verhaltenskodex für die Einstellung von Forschern als Leitlinie für Arbeitgeber bei der Ernennung oder Einstellung von Forschern. Es erscheint dabei wichtig, dass die vorgeschlagenen Kriterien immer gleich und nicht von Fall zu Fall angewandt werden. Für die Hochschulen als Arbeitgeber gilt dabei als Grundprinzip, dass die Eigenständigkeit der Entscheidung des Arbeitgebers und die Stärkung von Wissenschaft und Forschung im jeweiligen konkreten Fall als Hauptziel der Entscheidung berücksichtigt werden muss.