Management von Forschungsdaten - eine zentrale strategische Herausforderung für Hochschulleitungen


Empfehlung der 16. HRK-Mitgliederversammlung am 13.5.2014

Zusammenfassung

Das exponentielle Wachstum, die steigende Komplexität und der zunehmende Gebrauch von digitalen Forschungsdaten(1) haben in den letzten Jahren einen erheblichen Einfluss auf den Forschungsprozess genommen. Als Beispiele seien die Verwendung von Methoden zur Handhabung sehr großer Datenmengen aufgrund des exponentiellen Wachstums von digitalen Forschungsdaten und die Entwicklung von Werkzeugen zur besseren Integration heterogener Daten genannt. Das Management von Forschungsdaten, die Möglichkeiten ihrer  Vernetzung, ihre dauerhafte Verfügbarhaltung und ihr offener Zugang erfordern adäquate neue Infrastrukturen.
Für die strategische Steuerung dieser Prozesse sind die Hochschulleitungen gefragt. Sie sind gefordert, an ihren Hochschulen Leitlinien zum Umgang mit digitalen Forschungsdaten abzustimmen und Vereinbarungen mit anderen Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen sowie fachspezifischen Daten-Infrastrukturen zu unterstützen. Es ist an den Hochschulleitungen, die Informationskompetenz der Hochschulmitglieder zu stärken und die strukturellen Voraussetzungen für ein effizientes, institutionelles Forschungsdatenmanagement zu schaffen. Bund und Länder werden aufgefordert, übergreifende Abstimmungen und Maßnahmen zu koordinieren, die für den Aufbau tragfähiger Informationsinfrastrukturen über die Grenzen der Bundesländer hinweg unerlässlich sind. Außerdem wird an die Politik appelliert, zusätzliche finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Der von der GWK beschlossene Rat für Informationsinfrastrukturen sollte hier – in enger Zusammenarbeit mit der HRK – eine koordinierende Rolle übernehmen(2).

1. Forschungsdaten und ihre Veränderungen
Forschungsdaten sind seit einigen Jahren von beachtlichen Veränderungen betroffen.
- Der Anteil von digitalen Forschungsdaten wächst andauernd. Heute liegt   ein beträchtlicher Teil der Forschungsdaten ausschließlich in digitaler Form vor.
- Digitale Forschungsdaten werden in exponentiell wachsenden Volumina produziert („Big data“).
- Digitale Forschungsdaten werden mit Blick auf ihre Natur und ihre Verfügbarkeit immer heterogener.
- Digitale Forschungsdaten gewinnen in den meisten Wissenschaften, auch in den Geisteswissenschaften („E-Humanities“), zunehmend an Relevanz.
- Digitale Forschungsdaten eröffnen neue Forschungswege, indem sie eine stetig wachsende Zahl von IT-Werkzeugen zugänglich machen. 

Forschungsdaten sind unverzichtbar für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Durch ihren digitalen Charakter erlauben sie neue Bearbeitungsverfahren und verändern so die Möglichkeiten der wissenschaftlichen Erkenntnis und die Methodik der Forschung. Sie wirken durch Vernetzung innovativ im Dialog unterschiedlicher Disziplinen und stellen die Wiederholbarkeit und Verifizierbarkeit von Forschungsergebnissen auf eine völlig neue Grundlage. Deshalb haben sie maßgebliche Bedeutung für die „gute wissenschaftliche Praxis“.
Die effiziente Handhabung von digitalen Forschungsdaten ist ein wesentlicher Faktor der Attraktivität einer Hochschule. Daher sind die  Hochschulleitungen gefordert, künftig die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass die Forscherinnen und Forscher ihrer Hochschule und des gesamten deutschen Wissenschaftssystems eine Umgebung vorfinden, die ihnen ein effizientes, unkompliziertes und rechtlich abgesichertes Management der digitalen Forschungsdaten ermöglicht und damit die Grundlage für die wissenschaftliche Arbeit schafft. Daher sollten die Hochschulleitungen das Management digitaler Forschungsdaten als zentrale strategische Leitungsaufgabe auffassen.
Die HRK und ihre Mitgliedshochschulen betrachten Forschungsdaten und Forschungsdatenmanagement als eine besondere Herausforderung, mit der außeruniversitäre Forschungseinrichtungen in geringerem Maße konfrontiert sind. Im Unterschied zu diesen sind Hochschulen fachlich und organisatorisch von besonderer Heterogenität. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einer Hochschule haben jeweils spezifische Interessen, Bedarfe und Kenntnisse mit Blick auf die Anwendung von Forschungsdaten. Zugleich benötigt eine Hochschule ein ganzheitliches (IT-basiertes), harmonisiertes und integriertes Informationsmanagement, das auch auf den Umgang mit digitalen Forschungsdaten angewandt wird(3).
Die Herausforderung, zwischen Heterogenität und Notwendigkeit zur Vereinheitlichung zu vermitteln, kann nur gelöst werden, wenn sich die Hochschulleitungen dieser Verantwortung annehmen. Die notwendigen Schritte in Richtung auf ein zukunftsfähiges Forschungsdatenmanagement lassen sich allein aus der zentralen Leitungsposition anstoßen und nachhalten. Um Maßnahmen im stets offenen Dialog mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, den Fakultäten bzw. Fachbereichen, der Verwaltung und den Einrichtungen der Informationsinfrastruktur umzusetzen, bedarf es entsprechender Kommunikations- und Governance-Strukturen(4). Die primäre Verantwortung für Erzeugung, Aufbereitung und Sicherung ihrer Ergebnisse und Daten liegt bei den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Dies ändert nichts an der Verantwortung der Hochschulen für eine dauerhafte Bereitstellung der Daten (auch über das Ende von Forschungsprojekten hinaus) sowie für die Unterstützung der Vernetzung auch außerhalb der eigenen Hochschule.

2. Das Management von Forschungsdaten – eine Herausforderung für die Hochschulleitungen
Um die Entwicklung qualitätsvoller und nachhaltiger Grundlagen für das Forschungsdatenmanagement an der eigenen Hochschule voranzutreiben, dürften die folgenden vier Maßnahmen unverzichtbar sein:
  
- Abstimmung von Leitlinien zum Umgang mit digitalen Forschungsdaten
Damit Maßnahmen zur Implementierung eines integrierten Forschungsdatenmanagements erfolgreich sein können, hat es grundlegende Bedeutung, dass die beteiligten Akteure einer Hochschule (Forscherinnen und Forscher – namentlich auch in Verbünden, Infrastruktureinrichtungen, Verwaltung, Leitung) ein gemeinsames Verständnis von der Bedeutung und vom Umgang mit digitalen Forschungsdaten entwickeln. Deshalb empfiehlt es sich, eine entsprechende Selbstverpflichtung in Form von Leitlinien unter Beteiligung der genannten Akteure zu verabschieden(5).
 
- Kooperation über die Grenzen der Hochschule hinweg
Damit die institutionellen Forschungsdatenmanagementsysteme miteinander kommunizieren können und  eine institutionen-übergreifende Forschung ermöglichen, ist eine Kooperation zwischen den Hochschulen unverzichtbar. Deshalb ist es erforderlich, dass die Hochschulleitungen in Verbünden gemeinsame Regelungen treffen, die das Management von Forschungsdaten über die Grenzen der Einrichtungen hinweg ermöglichen und bestehende Barrieren beseitigen. Darüber hinaus ist die Zusammenarbeit auch mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen sowie fachspezifischen Infrastrukturen sinnvoll. Dabei sollte angesichts der Aktivitäten außeruniversitärer Forschungsdienstleister darauf hingewirkt werden, dass die Hochschulen sich mit bestimmten zentralen Funktionen im Rahmen der nationalen und ggf. internationalen Informationsinfrastrukturen (Schwerpunktbildung) behaupten können(6). Einen günstigen Einfluss hat dabei die Tatsache, dass das Thema Forschungsdatenmanagement auch auf internationaler Ebene mit Nachdruck verfolgt wird. So hat bereits der Bericht einer High Level Expert Group an die Europäische Kommission mit dem Titel „Riding the Wave“ (2010) das Thema im Bewusstsein der wissenschaftlichen Öffentlichkeit verankert(7). Auch bekennt sich die Europäische Kommission ausdrücklich zu Open Data. Zu berücksichtigen sind außerdem die europaweiten strategischen Kongruenzprozesse mit Blick auf digitale Forschungsdaten, wie sie z. B. in den Aktivitäten des European Strategy Forum on Research Infrastructures (ESFRI) greifbar sind.

- Stärkung der Informationskompetenz
Die an den Hochschulen arbeitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten, wie die HRK bereits in ihrer Empfehlung „Hochschule im digitalen Zeitalter“ vom November 2012 gefordert hat(8), über grundlegende Kenntnisse des Datenmanagements verfügen. Teilweise lassen sich entsprechende Kompetenzen im selbstgesteuerten Umgang mit digitalen Forschungsdaten erwerben, teilweise werden sie durch Schulungen vermittelt, die von den Hochschulen selbst (Bibliotheken und Rechenzentren) oder auch von dritter Seite(9) angeboten werden.


- Ausbau institutioneller Infrastrukturen zum Forschungsdatenmanagement
Die Hochschulleitungen sind gefordert, die strukturellen Voraussetzungen für ein effizientes, den gesamten Lebenszyklus der Daten (Erzeugung, Verarbeitung, Speicherung, Erschließung und Archivierung) umfassendes Forschungsdatenmanagement zu schaffen. Dabei geht es nicht nur darum, die technischen Voraussetzungen bereit zu stellen. Ebenso wichtig ist es, die Abläufe und die Rollenverteilung an der Hochschule zu organisieren und transparent zu machen.

3. Forderungen an Bund und Länder
Angesichts der über föderale und nationale Grenzen hinausreichenden Bedeutung von digitalen Forschungsdaten sieht die HRK den Bund und die Länder in der Pflicht, den Ausbau der wissenschaftlichen Informationsinfrastrukturen und damit auch der Grundlagen des Forschungsdatenmanagements, engagiert zu unterstützen(10). Es erscheint weder möglich noch sinnvoll, dass einzelne Hochschulen strukturbildende Maßnahmen bereitstellen. Deshalb ist es am Bund und an den Ländern, zum einen Abstimmungen und Maßnahmen
(u. a. auch im Hinblick auf einheitliche rechtliche Regelungen) zu koordinieren, die für den Aufbau tragfähiger Informationsinfrastrukturen zunächst innerhalb der Bundesländer, sodann über die Grenzen der Bundesländer und Deutschlands hinweg unerlässlich sind. Außerdem wird an Bund und Länder appelliert, zusätzliche finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Hier wird dem durch die GWK beschlossenen Rat für Informationsinfrastrukturen – in Zusammenarbeit mit der HRK - eine koordinierende Rolle beigemessen.
Die HRK bereitet zurzeit eine Empfehlung vor, in der weiter gehende Vorschläge zur Entwicklung des Datenmanagements aus Sicht der Hochschulleitungen formuliert werden.

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(1) Nach einer Definition von Maxi Kindling und Peter Schirmbacher sind digitale Forschungsdaten „alle digital vorliegenden Daten, die während des Forschungsprozesses entstehen oder ihr Ergebnis sind. Der Forschungsprozess umfasst dabei den gesamten Kreislauf von der Forschungsdatengenerierung, z. B. durch ein Experiment in den Naturwissenschaften, eine dokumentierte Beobachtung in einer Kulturwissenschaft oder eine empirische Studie in den Sozial­wissenschaften, über die Bearbeitung und Analyse bis hin zur Publikation und Archivierung von Forschungsdaten. Digitale Forschungsdaten entstehen in allen Wissenschaftsdisziplinen und unter Anwendung verschiedener Methoden, abhängig von der Forschungsfrage. Dies hat zur Folge, dass sie in unterschiedlichen Medientypen, Aggregationsstufen und Datenformaten auftreten.“ (Maxi Kindling, Peter Schirmbacher, Die digitale Forschungswelt“ als Gegenstand der Forschung, in: Information. Wissenschaft & Praxis 2013, Bd. 64 (2-3), S. 137-148, hier S. 130, online: http://dx.doi.org/10.1515/iwp-2013-0020, alle Links in dieser Empfehlung zuletzt geprüft am 11.04.2014).
(2) Das vorliegende Papier wurde von der AG Zukunft der Digitalen Information in Lehre und Forschung unter Leitung von Vizepräsident Prof. Dr. Joachim Metzner erarbeitet. Die HRK dankt den Mitgliedern der AG herzlich für Ihr Engagement: Prof. Dr. Petra Gehring, Dr. Ulrike Gutheil, Dr. Martin Hecht, Prof. Dr. Wilfried Juling, Dr. Antje Kellersohn, Prof. Dr. Norbert Lossau, Prof. Dr. Joachim Schachtner, Prof. Dr. Peter Schirmbacher, Prof. Dr. Rolf Schwartmann, Prof. Dr. Uwe Schwiegelshohn, Dr. Beate Tröger und Prof. Dr. Martin Ullrich. Die redaktionelle Verantwortung hatte Dr. Ulrich Meyer-Doerpinghaus (Geschäftsstelle der HRK).
(3) HRK, Hochschule im digitalen Zeitalter: Informationskompetenz neu begreifen – Prozesse anders steuern, November 2012 (http://www.hrk.de/uploads/tx_szconvention/Entschliessung_Informationskompetenz_20112012_01.pdf), S. 13f.
(4) ebd., S. 13ff.
(5) Während in Deutschland bislang nur die Universität Bielefeld eine solche Richtlinie verabschiedet hat, verfügen in Großbritannien viele Universitäten über eine solche Vereinbarung: http://www.dcc.ac.uk/resources/policy-and-legal/institutional-data-policies/uk-institutional-data-policies
(6) In diesem Sinne hat der Wissenschaftsrat gefordert, „die Hochschulen in größerem Umfang als Träger von Informationsinfrastrukturen zu berücksichtigen, um auf diese Weise sicher zu stellen, dass es in allen Teilbereichen des Wissenschaftssystems Informationsinfrastrukturen gibt“ (Wissenschaftsrat, Übergreifende Empfehlungen zu Informationsinfrastrukturen, Berlin 2011, S. 9, online: http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/10466-11.pdf).
(7) Riding the Wave, How Europe can gain from the rising tide of scientific data. Final report of the High level Expert Group on Scientific Data. A submission to the European Commission (October 2010):  http://cordis.europa.eu/fp7/ict/e-infrastructure/docs/hlg-sdi-report.pdf
(8) HRK, Hochschule im digitalen Zeitalter, s. o., S. 13
(9) Wie  z. B. durch das Kompetenznetzwerk nestor (http://nestor.sub.uni-goettingen.de/education/index.php)
(10) Siehe auch die Forderung des Wissenschaftsrats an Bund und Länder vom Juli 2012,  „eine ausreichende Grundfinanzierung der von ihnen getragenen öffentlichen Informationsinfrastruktureinrichtungen, insbesondere auch an Hochschulen, sicher zu stellen“ (Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Informationsinfrastrukturen in Deutschland bis 2020, Juli 2012, S. 8, online: http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/2359-12.pdf).