Für einen Wissenschaftstarifvertrag


Entschließung des 98. Senats vom 10. Februar 2004


Die gegenwärtige hochschulpolitische Entwicklung zielt auf ein Mehr an Hochschul-Autonomie ab. Eine steigende Anzahl von Hochschulen erhält Globalbudgets und soll mit den zugewiesenen Finanzmitteln eigenständig und flexibel wirtschaften können. Dies entspricht langjährigen Forderungen der HRK. Diese zunehmende Autonomie und Flexibilität in den hochschulspezifischen Aufgaben von Lehre und Forschung setzen besondere tarifrechtliche Rahmenbedingungen voraus, die dem Wissenschaftsbetrieb gerecht werden. Immerhin machen die Personalkosten der Hochschulhaushalte einen Anteil von 75 - 80 % aus.


In der Praxis sind die in den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes formulierten Beschäftigungsbedingungen und Entgeltfestlegungen von Rahmenbedingungen zu verbindlichen Festlegungen mutiert. Mit dem politischen Ziel gesteigerter Hochschul-Autonomie verträgt sich das überkommene System in keiner Weise.


Sowohl quantitativ als auch qualitativ sind besondere Tarifregeln für die Wissenschaft dringend erforderlich: Zum einen stellen die Beschäftigten an den Hochschulen einen wesentlichen Teil der im Bereich der Länder öffentlich Angestellten dar. Zum anderen stehen die Hochschulen - anders als Einrichtungen der allgemeinen Verwaltung - in einem immer intensiver werdenden internationalen Wettbewerb um die besten Studierenden und Wissenschaftler und um die besten Ergebnisse in Forschung und Lehre. Hinzu kommt der Wettbewerb der Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen mit der Wirtschaft.


Um hier bestehen zu können, bedarf es anderer Beschäftigungsbedingungen, als sie der BAT bisher vorsieht. Deshalb sollen u.a. Strukturen und Anreizsysteme, wie sie bereits für Professorinnen und Professoren eingeführt sind, auch für alle anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Universität Geltung haben.


Das "kreative System" Hochschule braucht einen eigenständigen Wissenschaftstarifvertrag, der für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gilt. Der wissenschaftliche Erkenntnisprozess wird durch gemeinsames, vernetztes Handeln aller in der Hochschule daran Beteiligten gefördert und gemeinsam zu einem optimalen Ergebnis geführt. Diesen Besonderheiten des Wissenschaftsbereichs kann nur mit einem solchen eigenständigen und einheitlichen Wissenschaftstarifvertrag Rechnung getragen werden. Hierbei spielen die folgenden spezifischen Momente eine Rolle:


- Hoher nationaler und internationaler Innovationsdruck erfordert in hohem Maße Kreativität. In einer wettbewerblich geprägten Hochschullandschaft müssen die Hochschulen auf bestmögliche Ergebnisse (Absolventen, Forschungsergebnisse etc.) abzielen. Diese Ergebnisse sind nicht im gleichen Maße qualifizierbar wie jene in den herkömmlichen Bereichen des öffentlichen Dienstes.

  • Die Gewinnung ausländischer Teams für Forschungsprojekte erfordert betonte Flexibilität bei der Gestaltung der tariflichen Arbeitsbedingungen.

  • Es besteht eine spezifische, in den herkömmlichen Tarifkategorien nicht erfassbare Arbeitssituation des wissenschaftlichen Nachwuchses (Doktoranden, hohe Fluktuation, etc.) sowie der Drittmittelbeschäftigten.

  • Die hohe Mobilitätsbereitschaft und -notwendigkeit der Mitarbeiter in Folge nationaler und internationaler Kooperationen sowie im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen Industrie und Hochschule (Wissenstransfer in Forschung und Entwicklung) erfordert die Optimierung der Übergänge von öffentlichen in private Systeme und zurück insbesondere im Bereich der Innovation.

  • Wissenschaftsunterstützendes Personal benötigt eine hohe Flexibilität, Kreativität und Offenheit für neue Aufgaben, Methoden und Wege.

Der Wissenschaftsbereich hat aufgrund seiner besonderen Aufgabenstellung gegenüber anderen staatlichen Einrichtungen Alleinstellungsmerkmale in den tatsächlich gegebenen Arbeitsbedingungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nur im rechtlichen Rahmen eines Wissenschaftstarifvertrages aufzufangen sind. Beispiele für diese besonderen Arbeitsbedingungen sind:

  • Hochleistung in Forschung und Management:
    Nicht-professorale Teilprojektleiter/innen in einem Sonderforschungsbereich (SFB) bewegen sich auf international hohem, wissenschaftlichem Niveau. Sie haben Managementaufgaben in der Koordinierung der Mitglieder der Arbeitsgruppe sowie Budget-Verantwortung. Diese Projektleiter/innen müssen - gegebenenfalls begrenzt auf die Laufzeit des SFB - über den Möglichkeiten des BAT besonders vergütet werden können.

  • Hohe Anforderungen an wissenschaftsakzessorisches Personal an allen Hochschularten:
    Laboringenieurinnen und -ingenieure an Universitäten und Fachhochschulen übernehmen die Pflege und Wartung hochwertiger Geräte, einschließlich Software, Ersatz- und Neubeschaffungen, DV- Support einschließlich Server- und Netzwerkadministration, die Betreuung der Studierenden in Praktika, die Beratung und Unterstützung der Diplomanden bei der Anfertigung von Diplomarbeiten. Außerdem erfolgt die Mitarbeit in Forschungsprojekten. Dennoch lässt der starre Bezug auf Bildungsabschlüsse des BAT eine gleiche tarifliche Behandlung / Bezahlung nicht zu.

  • Wissenschaftsspezifische Anforderungen an Mischarbeitsplätzen:
    Institutssekretärinnen haben wissenschaftsbezogene Anforderungen zu erfüllen, die sich aus der deutlich unterschiedlichen Struktur der Hochschulen gegenüber herkömmlicher Verwaltungsstruktur mit hierarchischen Abläufen ergeben. Eine Institutssekretärin hat stets mehrere Berufe, deren konkrete Ausgestaltung abhängig von der Ausrichtung des Instituts ist, z. B. Sekretärin, Sachbearbeiterin und "Leiterin" der Institutsbibliothek. Dieses vielfältig zusammengesetzte Aufgabenspektrum kann der BAT nicht zutreffend beschreiben.

In den Fakultäten und Fachbereichen zeichnet sich ein Wandel der Kompetenzanforderungen für Teile der bisherigen Sekretariatstätigkeiten ab. Angesichts der wachsenden Bedeutung und des steigenden Umfangs von Drittmittelforschung einerseits, der deutlich aufwändigen Lehrorganisation andererseits, erhalten Kompetenzen des dezentralen Lehr- und Forschungsmanagements eine neue und wachsende Bedeutung. Absehbar sind Mischarbeitsplätze, an denen zum Teil Sekretariatstätigkeiten und in zunehmendem Umfang Managementtätigkeiten in allen Bereichen der Forschung, Lehre, wissenschaftliche Weiterbildung und Wissenstransfer anfallen werden, die der BAT nicht erfasst.


Hochschulspezifische Tätigkeitsprofile in Universitätsklinika: Oberärztinnen / Oberärzte in einer Universitätsklinik haben mindestens vier Berufe: Ärztin/Arzt, Forscher/in, akademische/r Lehrer/in und Laborleiter/in. Die Unterschiede der Position einer klinischen Oberärztin / eines klinischen Oberarztes in einem Universitätsklinikum können im Gegensatz zur Position in einem nicht-universitären Krankenhaus im BAT nicht abgebildet werden.


Eckpunkte eines Wissenschaftstarifvertrages sind insbesondere:

  • Die bisherigen Vergütungsgruppen des BAT werden ersetzt durch eine deutlich reduzierte Zahl von (maximal 8) Entgeltbändern, denen bestimmte hochschulspezifisch geprägte Funktionsgruppen zugeordnet sind; im Vordergrund stehen Funktion und Leistung, nicht wie bisher Bildungsabschlüsse und Lebensaltersstufen.

  • Eine leistungsbezogene Bezahlung, die mindestens die Komponenten Grundvergütung, Zulagen für Funktionen, sowie besondere Leistungen umfasst und Marktzulagen erlauben muss.

  • Öffnung für wissenschaftsspezifische Anreizsysteme, z. B. in Verbindung mit Drittmittelforschung, wissenschaftlicher Weiterbildung sowie Wissens- und Technologietransfer.

  • Tarifvertragliche Regelungen lediglich für den allgemeinen Bedarf, was die Möglichkeit spezifisch betriebsbezogener Regelungen einschließt.

  • Aufnahme spezifischer Befristungsgründe und Beendigungsmodalitäten für die Beschäftigungsverhältnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Wissenschaftssystem, wissenschaftsspezifische Arbeitszeitregelungen wie studienjahrbezogene Arbeitszeitbudgets, mobilitätsfördernde Gestaltungen.