„Wir möchten die Zugänge zur Beratung so niederschwellig wie möglich gestalten“

Die Hochschule Esslingen will nachhaltige Antidiskriminierungsstrategien etablieren. Ein Gespräch mit Prof. Monika Götsch und Andrea Zug aus dem Projektteam.

Frau Prof. Götsch, Sie forschen als Soziologin zu den Themen Gender, Intersektionalität und heteronormative Geschlechterverhältnisse. Jetzt leiten Sie das Projektteam, das sich für nachhaltige Antidiskriminierungsstrategien einsetzt. Wie stark können Sie dabei von Ihren Erfahrungen aus der Forschung profitieren?

Götsch: Meine Forschungen zeigen, wie vergeschlechtlichte und intersektionale soziale Ungleichheiten beispielsweise von Jugendlichen oder Erwerbstätigen hergestellt, erlebt und legitimiert werden. Dies findet ebenso im Hochschulkontext statt, der ja nicht außerhalb der Gesellschaft ist. Folglich setzen unsere Antidiskriminierungsstrategien genau dort an, wo (nicht) bzw. auf eine bestimmte Weise (nicht) über Diskriminierung gesprochen wird, mit dem Ziel zunächst über die Diskriminierung begünstigenden Machtverhältnisse an der Hochschule sowie Diskriminierungsmuster aufzuklären und für Diskriminierungsrisiken zu sensibilisieren. Letztendlich geht es aber nicht wie in der Forschung nur darum, Diskriminierungen zu erkennen und aufzuzeigen, sondern auch in konkreten Diskriminierungsfällen aktiv zu werden. 

Sie haben auch ein Monitoring durchgeführt, die ersten Ergebnisse liegen inzwischen vor. Welche Befunde stechen hervor?

Götsch: Besonders auffällig war, dass die unterschiedlichen Ansprechpersonen an der Hochschule kaum bekannt sind und in Diskriminierungsfällen nicht in Erwägung gezogen wird, sie zu kontaktieren. In den offenen Antworten wurde zudem kritisiert, dass es kein transparentes Beschwerdeverfahren an der Hochschule gibt. Auf beides haben wir mit unserem Projekt nun reagiert. Zudem wurden insbesondere sexistisch und rassistisch motivierte Diskriminierungsbeobachtungen und -erfahrungen sowie die teilweise geringe Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderung deutlich.

Frau Zug, wie wollen Sie konkret das Thema der Antidiskriminierung angehen?

Zug: Uns liegt daran, die Menschen zu unterstützen, die Diskriminierungserfahrungen machen oder diskriminierungsgefährdet sind und auch dazu beizutragen, dass Diskriminierung so wenig wie möglich vorkommt. Um dies zu ermöglichen, braucht es an der Hochschule mehr Sensibilisierung zum Thema Antidiskriminierung, Vernetzung zwischen den Beauftragten und Ansprechpersonen und ein transparentes Beschwerdeverfahren. Wir wollen dafür sorgen, dass Menschen geschützt sind – dass sie sich jederzeit auf unterschiedlichen Ebenen melden können, ohne irgendwelche Konsequenzen befürchten zu müssen.

Wie wollen Sie das erreichen?

Zug: Wir möchten die Zugänge zur Beratung so niederschwellig wie möglich gestalten. Vor allen Dingen möchten wir regelmäßig sowohl Studierende, Mitarbeitende als auch Professor:innen über Diskriminierung, Diskriminierungsrisiken und Diskriminierungsschutz und über Beratungsmöglichkeiten und das Beschwerdeverfahren informieren und zudem Schulungen anbieten.

Götsch: Dafür braucht es eine breite Unterstützung, weshalb wir nicht zuletzt einen Vertrauensrat gegründet haben, den wir perspektivisch als offizielles Gremium der Hochschule etablieren wollen. Der Vertrauensrat besteht aus allen Ansprechpersonen, aus Mitgliedern aller Statusgruppen der Hochschule sowie einem Mitglied des Personalrats und der Fachschaftsvertretung.

Wie oft soll der Vertrauensrat zusammentreten?

Zug: Aktuell wird er nach Bedarf einberufen. Wir haben keine zusätzlichen Ressourcen und treffen uns deshalb nur dann, wenn es ein konkretes Anliegen gibt.

Götsch: Der Vertrauensrat hat eine doppelte Aufgabe. Zum einen ist ein solches Gremium auf der strategischen Ebene sehr wichtig, um den Diskriminierungsschutz an der Hochschule zu planen, durchzusetzen und zu verbessern. Im Rahmen der HRK-Initiative sind das konkret bspw. die Peer-to-Peer-Schulungen und andere Aktivitäten zur Sensibilisierung aller Hochschulangehörigen. Zum anderen ist der Vertrauensrat am formalen Beschwerdeverfahren beteiligt, die Beschwerdekommission wird aus Mitgliedern des Vertrauensrates gebildet. 

Auf welchem Weg sollen die Beschwerden eingereicht werden?

Zug: Eine formale Beschwerde wird über die neu eingerichtete, offizielle Beschwerdestelle eingereicht, wir empfehlen aber zunächst eine vertrauliche Beratung durch eine Ansprechperson in Anspruch zu nehmen. Um das Beschwerdeverfahren zu regeln haben wir eine Satzung zum Schutz vor Benachteiligung, Diskriminierung, (sexualisierter) Belästigung und Gewalt, Stalking und Mobbing erstellt, die bereits im Herbst vom Senat verabschiedet wurde. Zugleich haben wir im Rahmen der HRK-Initiative Flyer zum Diskriminierungsschutz erstellt und eine entsprechende Intranetseite aufgebaut, die auch über die Beschwerdemöglichkeiten informieren. 

Ein weiteres Ihrer Ziele ist die Gründung von diskriminierungserfahrenen Gruppen.

Zug: Genau, da sind wir auch ein großes Stück weitergekommen. Ursprünglich hatten wir überlegt, mehrere Gruppen analog zu den verschiedenen Diskriminierungsdimensionen ins Leben zu rufen, aber es hat sich dann gezeigt, dass es praxistauglicher ist, eine gemeinsame Gruppe anzubieten. Anders als geplant, konnten wir dafür bisher nur Studierende und nicht Mitarbeitende oder Professor:innen ansprechen. In der Gruppe treffen sich Studierende, die entweder Diskriminierungserfahrungen machen oder davon bedroht sind. Sie sollen einen geschützten Raum vorfinden. Die Gruppe trifft sich aktuell nur an einem der drei Hochschulstandorte. Inzwischen gibt es aber Interesse am 30 km entfernten Standort der Hochschule eine ähnliche Gruppe für Studierende zu initiieren. Zudem hat sich parallel – unabhängig von unserem Projekt – eine weitere Gruppe von engagierten Studierenden gegründet, die sich mit dem Thema „Studieren mit psychischer Erkrankung“ auseinandersetzt.

Wie haben Sie sich da organisatorisch beteiligt?

Zug: Wir haben beim Start geholfen, indem wir eine studentische Mitarbeiterin hinzugezogen haben, die die Gruppenkoordination übernommen hat. Im späteren Verlauf hat zudem eine Studierende ihr ehrenamtliches Engagement angeboten. Beide haben maßgeblich dazu beigetragen, dass sich die Gruppe zwischenzeitlich verselbständigen konnte. Das heißt, wir haben uns zurückgezogen und die Beteiligten organisieren sich nun selbst. Im nächsten Schritt ist eine Rückkopplung zum Vertrauensrat geplant: Wir verfolgen einen partizipativen Ansatz und werden zukünftig einem Gruppenmitglied die Möglichkeit geben, an den Vertrauensratssitzungen teilzunehmen und sich somit themenbezogen aktiv in die Weiterentwicklung des Diskriminierungsschutzes an der Hochschule einzubringen.

Das Interview führte Kilian Kirchgeßner.