„Weltrettung mit Musik“

Festakt zum 40. Jubiläum der akademischen Musiktherapie in Heidelberg.
Festakt zum 40. Jubiläum der akademischen
Musiktherapie in Heidelberg. © SRH Hochschule
Heidelberg

In einem großen Verbundprojekt beschäftigen sich Musiktherapeuten aus ganz Deutschland mit den Wurzeln ihres Faches – und erproben neue Formen der Zusammenarbeit, um ihre Disziplin auf ganz neue Herausforderungen vorzubereiten.

Ob sie sich nicht ein wenig zu weit herausgelehnt hätten aus dem Fenster? Bang fragten sich das die Organisatoren des musiktherapeutischen Symposiums in Heidelberg, die ihre große Veranstaltung mit Gästen aus aller Welt vollmundig überschrieben hatten mit dem Titel „Nur noch kurz die Welt retten – Musiktherapie und Digitalisierung“. Die Kombination der beiden Begriffe nämlich, Musiktherapie und Digitalisierung, sei bislang nicht besonders häufig betrachtet worden, räumt Josephine Geipel ein, eine der Organisatorinnen. Schließlich aber bestätigten sich die Befürchtungen nicht: „Wir alle haben sehr positive Eindrücke mitgenommen und ich bin überzeugt, dass wir viele Impulse für die weitere Entwicklung unserer Disziplin gewinnen konnten“, so Geipel.

Die neuen Impulse, auch ein Ausblick – das war eines der Kernanliegen bei dem Symposium, das nicht zufällig zum 40. Jahrestag der Gründung der akademischen Musiktherapie in Heidelberg stattfand. Der Rückblick auf die Entstehung einer Disziplin, die sich von Anfang an stets weiterentwickelt hat, war deshalb selbstverständlich Teil des Programms; aber nur mit der Vergangenheit wollten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht beschäftigen, sondern auch mit der Zukunft, die auch im Zeichen der Vernetzung mit benachbarten, aber auch weiter entfernten Disziplinen steht.

Das Symposium stellte gemeinsam mit einem Festakt zum 40. Jubiläum den Auftakt zu zahlreichen Veranstaltungen dar, die im Rahmen der Kleine Fächer-Wochen über das Semester verteilt bei den Musiktherapeuten stattfinden werden. „Musiktherapie im Spannungsfeld gesellschaftlicher Herausforderungen – ein Verbundprojekt zu Lehre, Forschung und Praxis“ heißt der Ansatz in bewusst weiter Formulierung. Beteiligt sind neben der federführenden SRH Hochschule Heidelberg, an der die Auftaktveranstaltung stattfand, außerdem die Universität Augsburg, die Universität der Künste Berlin, die Theologische Hochschule Friedensau, die Hochschule für Musik und Theater Hamburg sowie die Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt.

Musiktherapeutinnen und -therapeuten behandeln mit dem gezielten Einsatz von Musik Patienten, die unter psychischen, aber auch unter körperlichen Krankheiten leiden. Unter anderem steht die Musiktherapie als Fachwissenschaft in enger Wechselwirkung mit Medizin, Psychologie, Musikwissenschaft und Pädagogik. „Die Digitalisierung war für unser Fach im deutschsprachigen Raum bisher kein großes Thema, es gibt auch lediglich eine handvoll deutschsprachige Publikationen dazu“, sagt Josephine Geipel. Anders ist das beispielsweise in den USA oder auch in Australien, wo aufgrund der großen Entfernungen die digitalen Methoden viel rascher Eingang gefunden haben in die Disziplin – vor allem in der universitären Lehre werden beispielsweise Blended-Learning-Strategien und ähnliche Ansätze angewendet. In der Dokumentation und der Therapie selbst können digitale Methoden das Handwerkszeug der Therapeuten erheblich bereichern. Ein Erfahrungsaustausch mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern, aber auch anderen Bundesländern brachte hier wertvolle Einblicke auf verschiedenen Ebenen, wobei ein Schwerpunkt bewusst auf den Bereich der Therapie gelegt wurde. Hier zeigte sich beispielsweise, dass eine Zusammenarbeit mit Musiktechnologen gewinnbringend sein kann, etwa wenn es um den Einsatz von elektronischen Musikinstrumenten geht. „Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit, dass ein Mensch mit schwerwiegenden motorischen Einschränkungen über einen einzigen beweglichen Finger Musik machen kann – dafür sind neue, digitale Instrumente notwendig“, sagt Josephine Geipel.

Die Verzahnung mit anderen Fächern ist den Musiktherapeuten quasi in die Wiege gelegt: Als sich das Fach – die Berufsbezeichnung ist bis heute nicht geschützt – vor rund vier Jahrzehnten akademisierte, lag ihm in Heidelberg ein sozialpädagogisches Studium zu Grunde. Später dann entwickelten sich vielfach enge Partnerschaften mit Medizinern und Psychologen, die für die Musiktherapeuten später auch meistens die Ansprechpartner sind mit Blick auf den einzelnen Patienten. Wer im Feld der Musiktherapie promoviert, tut das bis heute häufig mit einem Doktorvater oder einer Doktormutter aus den Bereichen Medizin oder Psychologie. Nur die Studiengänge an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg und an der Universität Augsburg haben das Promotionsrecht sowie jetzt neu die Universität der Künste Berlin.

Eine neuere Entwicklung ist jetzt die verstärkte Verzahnung mit Tanz- und Bewegungstherapeuten, mit Theater- und Kunsttherapeuten. So entsteht derzeit etwa eine wissenschaftliche Fachgesellschaft für künstlerische Therapien – auch sie ist eine Plattform, auf der Entwicklungen wie die Digitalisierung mit allen ihren Auswirkungen auf den therapeutischen Alltag thematisiert werden können.

Abgesehen vom Austausch hatte das Auftakt-Symposium in Heidelberg noch eine weitere Wirkung: „Es sind Sponsoren und Stiftungen auf uns zugekommen, die uns bei konkreten Projekten unterstützen wollen“, bilanziert Josephine Geipel – ein guter Start also nicht nur in die Kleine Fächer-Wochen, sondern auch in die fünfte Dekade der akademischen Musiktherapie.

Text von Kilian Kirchgeßner.