„Der Verbund vieler Kleiner Fächer führt zu etwas Größerem“

Klaus-Dieter Barbknecht - Rektor der TU Bergakademie Freiberg
Klaus-Dieter Barbknecht - Rektor der
TU Bergakademie Freiberg.
© TU Bergakademie Freiberg/Detlev Müller
Silvia Rogler - Prorektorin für Bildung an der TU Bergakademie Freiberg
Silvia Rogler - Prorektorin für Bildung an der
TU Bergakademie Freiberg.
© TU Bergakademie Freiberg/Detlev Müller

Die TU Bergakademie Freiberg ist historisch aus zahlreichen Kleinen Fächern entstanden – zum Teil Fächer, die es in ganz Deutschland nur hier gibt. Welchen Einfluss hat diese besondere Konstellation heute auf die Forschung und auf die Studierenden? Ein Gespräch mit Rektor Klaus-Dieter Barbknecht und mit Silvia Rogler, Prorektorin für Bildung.

Frau Rogler, Sie selbst sind Wirtschaftswissenschaftlerin - wie ist es, an der Universität umgeben zu sein von so vielen Kleinen Fächern?
Silvia Rogler: Bei uns arbeiten auch die größeren Disziplinen in den vier Profillinien Geo, Material, Energie und Umwelt. Das betrifft natürlich auch uns Wirtschaftswissenschaftler. Unsere Inhalte sind abgestimmt auf die speziellen Schwerpunkte hier in Freiberg.

Von Ihren 89 Professoren stammen rund 23% Prozent aus den Kleinen Fächern. Wie ändert so eine spezielle Zusammensetzung das Gefüge innerhalb der Universität?
Rogler: Die Zusammenarbeit ist hervorragend. Meine Erfahrung ist: Die Kleinen Fächer bereichern mit ihren besonderen Blickwinkeln die größeren Studiengänge, die klassischeren Disziplinen können viel von den spezialisierteren Bereichen lernen.
Klaus-Dieter Barbknecht: Ich habe den Eindruck, dass die Kleinen Fächer viel frischen Wind in die interdisziplinäre Zusammenarbeit bringen. Wenn wir uns die Lehre anschauen, hat sich da ein sehr gutes Gefüge entwickelt. Und wenn Sie auf den Bereich der Forschung schauen: Die TU Bergakademie Freiberg ist eine der stärksten Forschungsuniversitäten Deutschlands. Und diese Stärke kommt gerade daher, dass wir eine Vielzahl von Spezialisten haben, die mit gebündelten Kräften etwas erforschen.

Haben Sie dafür ein Beispiel?
Barbknecht: Aber natürlich: In unserem Biohydrometallurgischen Zentrum etwa arbeiten Mineralogen, Lagerstätten-Experten, Geochemiker, Geophysiker, Metallurgen und viele weitere zusammen. Inhaltlich geht es beispielsweise um ein System, wie man die Gewinnung von Rohstoffen aus Bergwerkshalden deutlich verbessern kann oder dank biologischer Mittel Erzvorkommen deutlich besser und umweltschonender erschließen kann als auf herkömmlichen Wegen. Ein anderes Beispiel stammt aus dem Grünen Gewölbe in Dresden, dieser Schatzkammer der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden: Dort arbeiten Mineralogen, Chemiker und Physiker mit Kunsthistorikern zusammen, um Schmuckstücke und Edelsteine zu untersuchen. Es gibt jede Menge Großprojekte wie diese, wo das spezielle Know-How der Kleinen Fächer einfließt.

Wie können Sie im Rektorat diese Zusammenarbeit fördern?
Barbknecht: Zum einen durch Stiftungsmittel; wir haben zum Beispiel die größte Einzelstiftung an einer öffentlichen Universität in Deutschland, die uns ein großes finanzielles Volumen für Forschungsfragen zur Verfügung stellt. Das Biohydrometallurgische Zentrum ist darüber gefördert worden, und in solchen Fällen achten wir ebenso wie bei DFG-Vorhaben darauf, dass der Verbund vieler Kleiner Fächer zu etwas Größerem führt.

Soweit die technische Seite – aber wie klappt es konkret, die Professoren an einen Tisch zu bekommen?
Barbknecht: Bei unseren überschaubaren Strukturen treffen die Professoren zwangsläufig zusammen. Mit unserem Professoren-Club bieten wir zudem noch ein zusätzliches Instrument zur Kommunikation: In der Semesterzeit gibt es monatliche Treffen, wo Vorträge gehalten werden – gerade von Kolleginnen und Kollegen aus den Kleinen Fächern. Oft sind die Inhalte speziell, aber in der Vergangenheit sind genau dadurch immer wieder Kooperationen entstanden. Und nicht zu vergessen: Unser Förderverein gibt jährlich eine Zeitschrift heraus mit vielen Fachbeiträgen. Auch dadurch werden Forscher aus verschiedensten Disziplinen aufeinander aufmerksam.

Blicken wir auf die Studierendenschaft: Ändert sich deren Zusammensetzung dadurch, dass es bei Ihnen so viele Kleine Fächer gibt?
Rogler: Wichtig ist zunächst einmal, dass die Abbrecherquoten in den Kleinen Fächern deutlich niedriger sind. Erstens ist dort die Betreuung ausgesprochen eng, weil es ja nicht viele Studierende gibt. Die Studierenden selbst sind sehr engagiert – und sie haben sich bewusst für ihr Studium entschieden.
Barbknecht: Und unsere Universität ist sehr international. 30 Prozent der Studierenden stammen aus dem Ausland – gerade wegen der Kleinen Fächer, die bei uns gelehrt werden. Bei uns gibt es etwa das Studienfach Markscheidewesen – das gibt es als Diplomstudiengang in ganz Deutschland nur hier bei uns, und das sorgt natürlich dafür, dass die Studieninteressenten aus verschiedenen Ländern kommen.

Moment: Markscheidewesen – was genau ist das?
Barbknecht: Das ist eine wichtige Disziplin aus dem Bereich Vermessungstechnik. Stellen Sie sich einen Tunnel vor, der von zwei Seiten in einen Berg gebohrt wird – und beide Bohrungen treffen, oh Wunder, in der Mitte ganz exakt aufeinander. Messungen und Berechnungen, die Markscheider unter anderem machen. Es geht aber auch um Fertigkeiten der 3D-Navigation untertage und in Gebäuden oder 3D-Vermessungen von Hohlräumen. Diese finden auch in anderen Bereichen, beispielsweise  bei der Digitalisierung von Schlössern oder Burgen, ihre Anwendung.

Kam es schon vor, dass solche Fächer mangels Interessenten keinen neuen Jahrgang öffnen konnten?
Rogler: Das nicht, aber die Suche nach motivierten Studierenden spielt natürlich gerade bei Kleinen Fächern tatsächlich eine große Rolle. Dabei ist genau das das Faszinierende bei uns: Wir haben hier Fächer von der Mineralogie bis zur Gießereitechnik mit einer Tradition, die angepasst an die Herausforderungen der Zukunft, heute auf dem neuesten Stand der Technik und mit modernsten Geräten innovativ agieren. Das spezifische Wissen dieser Kleinen Fächer ist für sehr viele aktuelle Anwendungen und alltägliche Dinge notwendig. Das macht sie heute noch genauso wichtig und interessant wie früher.

Das Gespräch führte Kilian Kirchgeßner.

Zu den Personen:
Klaus-Dieter Barbknecht ist Rektor der TU Bergakademie Freiberg und seit 2017 Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz Sachsen. Silvia Rogler ist Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Prorektorin für Bildung an der TU Bergakademie Freiberg.