„Schwung für die ganze Universität“

Gemeinsame Ausstellung der Kleinen Fächer an der Philipps-Universität Marburg. © Henrik Isenberg
Gemeinsame Ausstellung der Kleinen Fächer an der
Philipps-Universität Marburg. © Henrik Isenberg

In Marburg wird deutlich, wie die gesamte Hochschule vom Know-How der Kleinen Fächer profitieren kann. Auch dank der Kleine Fächer-Wochen wurden sie dort als eine der Prioritäten in der Strukturentwicklung verankert.

Als der Spezialist des Bundeskriminalamts vorne am Rednerpult stand, war es mucksmäuschenstill im Saal. „Der Vortrag hat eine Dreiviertelstunde gedauert“, erinnert sich Kati Hannken-Illjes, „aber die Zeit kam einem vor wie fünf Minuten.“ Um forensische Phonetik drehte sich die Veranstaltung; darum, wie Experten es schaffen, bei Entführern und Erpressern ihren exakten Herkunftsort anhand von kleinsten Dialektfärbungen einzugrenzen. Sogar Aufnahmen aus seiner Praxis spielte der Experte vor und zeigte exemplarisch, wie man beispielsweise eine kleine Region in Brandenburg oder Baden-Württemberg umreißen und so die Ermittlung von Tätern gewaltig erleichtern kann.

„Die Resonanz auf diese Veranstaltung war großartig“, sagt Kati Hannken-Illjes, Professorin für Sprechwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg. Dabei ging es an dem Nachmittag nicht nur um kriminalistische Fragen: Alle denkbaren Facetten der Kleinen  Fächer aus dem Bereich der germanistischen Sprachwissenschaften wurden vor Bachelorstudierenden und zahlreichen Abiturientinnen und Abiturienten erörtert – fünf solcher Fächer gibt es allein in Marburg, von Deutsch als Fremdsprache über Phonetik, klinische Linguistik und Sprechwissenschaft bis hin zur Neurolinguistik. Im Rahmen eines Messetags stellten sich diese Fächer vor.

Der Ansatz der Kleine Fächer-Wochen in Marburg ist aber wesentlich breiter: „Wir haben 24 geisteswissenschaftliche Kleine Fächer an der Universität, und alle sind in irgendeiner Form beteiligt“ – so fasst Hannken-Illjes, die zugleich Leiterin der Aktivitäten ist, das Konzept zusammen. Unterschiedlichste Formate für unterschiedlichste Zielgruppen werden angeboten; ein  Seminar zum Thema Übersetzen zwischen unterschiedlichen Wissenskulturen etwa richtete sich eher nach Innen an ein Fachpublikum, während eine Dokumentarfilmreihe bewusst alle Bürgerinnen und Bürger ansprach. Diese Filmreihe entpuppte sich übrigens als einer der großen Erfolge der Kleine Fächer-Wochen in Marburg: „Bilder der Revolution – Revolution der Bilder? Filme über die populären Aufstandsbewegungen im Mittleren Osten und Nordafrika seit 2009“ ist sie überschrieben, und sie zog schon bei den ersten Filmvorführungen so viele Interessenten an, dass die Kinobetreiber für die Folgeveranstaltungen einen größeren Saal anboten.

Die Beiträge zu den Kleine Fächer-Wochen betreffen in Marburg allerdings nicht nur die Fächer selbst, sondern nicht zuletzt dank der Kleine Fächer-Wochen die ganze Universität. „Das Präsidium wird in diesem Jahr eine neue Entwicklungsplanung verabschieden“, erläutert Katrin Berwanger vom Dezernat für Strukturentwicklung an der Philipps-Universität. Die Kleinen Fächer mit ihrem wertvollen Wissen, aber auch ihren besonderen methodischen Zugängen finden dabei auch gesonderte Berücksichtigung; sie sollen stärker sichtbar werden als Pfund für die gesamte Uni. „Von Seiten des Präsidiums war es deshalb ausdrücklich gewünscht, dass sich alle geisteswissenschaftlichen Kleinen Fächer auch an den Kleine Fächer-Wochen beteiligen“, betont Berwanger. Zwei konkrete Ergebnisse dieses übergreifenden Engagements sind schon jetzt greifbar: Erstens entstanden bereits in der Vorbereitungsphase Kontakte zwischen Wissenschaftlern, die bislang nichts voneinander und übereinander wussten – und zweitens wurde ein spezieller Absatz zum Erhalt der Kleinen Fächer in die Entwicklungsplanung aufgenommen; ein klares Bekenntnis zu den vermeintlichen Nischendisziplinen.

Dass dieses Bekenntnis weit mehr ist als nur eine wohlfeile Absichtserklärung, wird in Marburg ebenfalls deutlich. „Bei uns ist eine Reform der Bachelorstudiengänge im Gange“, erläutert Kati Hannken-Illjes. „Darin wollen wir zu einer Haupt- und Nebenfachkonstellation zurückehren. Das stärkt die Kleinen Fächer deutlich, wenn sie wieder als Nebenfach gewählt werden können.“ Und, ein zweiter Aspekt: Im Rahmen des Nachwuchspaktes hat die Philipps-Universität 21 Tenure Track-Professuren bewilligt bekommen. „Schon jetzt steht fest, dass auch die Kleinen Fächer dabei berücksichtigt werden“, sagt Katrin Berwanger.

Text von Kilian Kirchgeßner.