„Ich habe das als enorm gewinnbringend für mein ganzes Leben empfunden“

Christian van den Kerckhoff war lange Jahre für die UN in der Welt unterwegs und ist jetzt Geschäftsführer des Bonner Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelles Lernen. Ein Gespräch über romantische Vorstellungen von der Feldforschung – und darüber, wie ihm das Studium eines Kleinen Fachs im Beruf noch immer hilft.

Sie waren auf den unterschiedlichsten Positionen in verschiedenen Ländern unterwegs. Wie oft haben Sie in Ihrem Job zurückgedacht an das, was Sie im Ethnologie-Studium – damals noch ein Kleines Fach – gelernt haben?
Ich habe immer wieder an das Studium zurückgedacht. Einer meiner Professoren sprach früher gern vom Verfügungswissen – also von Fakten, die man speichert – und vom Methodenwissen, das einen begleitet und das man bewusst oder unbewusst immer wieder anwendet. Während meines Studiums habe ich den Luxus genossen, den Universitas-Gedanken auch tatsächlich auszuleben – deshalb habe ich immer wieder Veranstaltungen besucht, die nicht unmittelbar mit meinem Studium zusammenhingen, etwa aus der Geschichte, der Philosophie, der Geographie. Das hat mir ohne Frage sehr geholfen.

Ihre Karriere sieht im Rückblick sehr geradlinig aus – vom Praktikum bei der UN über den Flüchtlingsschutz-Beauftragten in Krisengebieten bis hin zum Geschäftsführer des Bonner Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelles Lernen. Sind Sie schon so zielstrebig an die Studienwahl gegangen?
Nein, überhaupt nicht. Das hat sich alles erst im Laufe der Zeit ergeben. Ich hatte vor dem Abitur ursprünglich darüber nachgedacht, Betriebswirtschaftslehre oder Jura zu studieren. Im Grundwehrdienst hatte ich dann aber Zeit, darüber nachzudenken – und ich hatte einen von mir sehr geschätzten Hauptmann, der Ethnologe war. Als er mir vom Fach und vom Studium erzählte, war ich begeistert von der Vorstellung, fremde Kulturen kennenzulernen und mich in völlig andere Denkwelten hineinbewegen zu können.

Wie war denn dann die Realität in einem Kleinen Fach?
Ich habe natürlich ganz andere Erfahrungen gemacht als Freunde, die sich für BWL oder Jura entschieden haben. Ich genoss es sehr, in kleinen Gruppen zu arbeiten; in manchen Seminaren waren wir nur acht oder auch mal 14 Teilnehmer. Irgendwann bin ich dann auch in die Fachschaft gekommen, wo ich viel mit den Professorinnen und Professoren zu tun hatte. Für mich war das eine sehr schöne Sache, auch mal in die Sprechstunde gehen zu können, ohne ein Dreivierteljahr auf einen Termin zu waren.

Nun sprachen Sie vorhin schon vom Verfügungs- und vom Methodenwissen. Lassen Sie uns doch einmal konkret werden: Was genau haben Sie anwenden können in Ihrer Praxis?
In der Ethnologie dreht sich alles darum, das Fremde zu verstehen – gibt es Möglichkeiten, sich da reinzudenken? Man hat also nicht den Absolutheitsanspruch an seine eigene Kultur und sein eigenes Denken; man hinterfragt zum Beispiel auch die Sprache, den Wortgebrauch. Diese Fähigkeit, sich ein bisschen zurückzunehmen, sich selbst zu relativieren und offen zu sein für andere Kulturen und Denkansätze – das war bei meiner Arbeit immer wieder sehr wichtig. Ich habe immer noch einen Moment im Gedächtnis von einem Einsatz für die UN, an dem auch drei kanadische UN-Polizisten beteiligt waren. Und jeder dritte Satz von denen war: „In Kanada machen wir das aber so und so.“ Das fand ich völlig abwegig; solche Vergleiche haben sich eigentlich von vornherein verboten.

Ist das, was Sie machen, eigentlich so etwas wie ein Traumjob für einen Ethnologen?
Für mich persönlich auf jeden Fall. Es gibt in der Ethnologie auch heute noch natürlich die romantische Vorstellung vom Zelt im Dorf – irgendwo hinzugehen in ein möglichst entferntes und fremdes Land, sein Zelt aufzubauen und mit den Menschen dort zu leben, zu lernen. Mein eigener Einstieg bei der UN war in Osttimor. Ich habe dort in einem kleinen District gelebt, mit einem Kollegen sind wir in einer timoresischen Familie untergekommen, acht Monate lang ohne Strom und ohne fließendes Wasser – das war schon nah dran an der Feldforschungsromantik. Nur hatte ich keine Zeit, ethnologische Studien durchzuführen; ich war als electoral adviser für die UN vor Ort.

Wenn Ihnen heute ein Abiturient gegenübersitzt und sich für Ihre Arbeit interessiert – würden Sie dem zu einem Ethnologie-Studium raten, um sich auf die Aufgaben vorzubereiten, die Sie machen und gemacht haben? Oder gibt es ein anderes Fach, das da besser geeignet ist?
Ich würde auf jeden Fall zur Ethnologie raten. Ohnehin habe ich den Eindruck, dass immer weniger Menschen bereit sind, sich auf andere und anderes einzulassen; das besorgt mich durchaus. Es müssen ja nicht nur fremde Kulturen sein; es gibt ja inzwischen zum Beispiel auch Stadtethnologie. Man kann also Ethnologie vor der eigenen Haustür betreiben, und ich habe das als enorm gewinnbringend für mein ganzes Leben empfunden.

Das Interview führte Kilian Kichgeßner.

Zur Person:
Christian van den Kerckhoff ist Geschäftsführer des Bonner Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelles Lernen (BIM) e.V. Er studierte Ethnologie und vergleichende Religionswissenschaft in Bonn und wechselte dann zu den Vereinten Nationen, wo er verschiedene Positionen innehatte; unter anderem war er als Flüchtlingsschutz-Beauftrager im Kosovo, in Afghanistan und als Kinderschutzbeauftragter in Uganda tätig. Im Rahmen der Kleine Fächer-Wochen berichtete er an der Universität Marburg über seinen Werdegang und seine Erfahrungen.