„Das kulturelle Wissen bewahren, das in den Kleinen Fächern gepflegt wird“

Mechthild Dreyer
© Thomas Hartmann

Was bedeutet es für Forschende, in einer kleinen Disziplin zu arbeiten? Und warum werden die Kleinen Fächer eigentlich besonders gefördert? Teil 2 des Interviews mit Mechthild Dreyer von der Arbeitsstelle Kleine Fächer an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Frau Dreyer, Sie haben sich mit Ihren Gutachter-Kollegen durch einen Stapel von 39 Anträgen gearbeitet, um die 17 Projekte an den Kleinen-Fächer-Wochen der Hochschulrektorenkonferenz auszuwählen. Wie schwer fiel Ihnen die Entscheidung?
Das war wirklich nicht einfach, allein schon, weil die Projektanträge eine große Bandbreite von Möglichkeiten gezeigt haben, wie man Kleine-Fächer-Wochen umsetzen kann. Das reicht von ein bis zwei Wochen, in denen solche Fächer präsentiert werden, bis hin zu Programmen, die sich über ein ganzes Semester erstrecken oder den runden Geburtstag einer Fachdisziplin zum Anlass für eine Reihe von Aktivitäten nehmen.

Warum ist es denn überhaupt nötig, Kleine Fächer gesondert zu unterstützen? Die mittelgroßen oder großen Fächer fördert ja auch niemand.
Dafür gibt es mehrere gute Gründe. Erstens sind viele der Kleinen Fächer schlicht nicht so gut sichtbar, so dass es wichtig ist, ihre gesellschaftliche und wissenschaftliche Relevanz zu betonen. Zweitens haben viele der Fächer inzwischen Schwierigkeiten, qualifizierten Nachwuchs zu gewinnen. Oft sind die Studierendenzahlen in Kleinen Fächern rückläufig, etwa wenn diese anspruchsvolle sprachliche Voraussetzungen haben. Wenn wir aber über die nächsten Jahrzehnte hinweg das kulturelle Erbe, das kulturelle Wissen bewahren möchten, das in den Kleinen Fächern gepflegt wird, dann brauchen wir dringend wissenschaftlichen Nachwuchs. Deshalb ist es ja explizit eines der Ziele der Kleine-Fächer-Wochen, potenzielle Studieninteressierte anzusprechen.

Ist es etwas Neues, dass Kleine Fächer gezielt gefördert werden?
Fest steht, dass die Unterstützung der Kleinen Fächer in den vergangenen Jahren eine größere Bedeutung erhalten hat. Das ist eine Entwicklung, die ich für sehr positiv halte. Die gemeinsame Initiative der Kleine-Fächer-Wochen der Hochschulrektorenkonferenz und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung steht deshalb nicht alleine da. Sie fügt sich in eine Reihe von Förderinstrumenten ein: Das BMBF etwa hat eine eigene Förderlinie namens „Kleine Fächer – große Potenziale“; bei der VW-Stiftung gibt es ein entsprechendes Programm unter dem Titel „Weltwissen – Strukturelle Stärkung ‚kleiner Fächer‘“, in Baden-Württemberg gab es ein eigenes Förderformat, in Rheinland-Pfalz waren die Kleinen Fächer über Jahre von einer indikatorengesteuerten Budgetierung ausgenommen, Hessen hat das Konzept der Zentrenbildung verfolgt. Das zeigt, wie vielfältig die Förderinitiativen in Deutschland sind.

Gibt es etwas, das sich die großen Fächer bei den Kleinen Fächern abschauen können?
Oh ja, und das in mehrerlei Hinsicht. Schauen wir doch konkret auf die Kleine-Fächer-Wochen: Da gibt es etliche Antragsteller, die Kooperationen schließen mit Fachgesellschaften, mit Berufsverbänden, mit Museen oder anderen Einrichtungen. Diese Verbindungen mit Akteuren außerhalb des eigenen Campus’ sind etwas, wovon die ganze Universität profitieren kann. Ein zweites Beispiel ist die Vernetzung zwischen verschiedenen Universitäten, die durch die Kleine-Fächer-Wochen in vielen Fällen unterstützt wird; diese Partnerschaften und dieser Austausch können durchaus größere Kreise ziehen. Und schließlich dürfen wir den Faktor der öffentlichen Wahrnehmung nicht vergessen: Auch andere Disziplinen stehen vor der Herausforderung, sichtbarer zu werden, beispielsweise in den Medien. Die Erfahrungen, die die Teilnehmer an den Kleine-Fächer-Wochen auf diesem Gebiet sammeln, lassen sich problemlos auf die größeren Fächer übertragen, ganz klar.

Sie selbst forschen zur Philosophie des Mittelalters. Empfinden Sie es als Fluch oder Segen, in einer kleinen Disziplin zu arbeiten?
(lacht) Das ist eine gute Frage. Mein Lehr- und Forschungsgebiet fällt zwar nicht unter die Definition eines Kleinen Faches, weil es ein Teilgebiet der Philosophie ist – aber ohne Frage ein Gebiet, das in Deutschland nicht sehr verbreitet ist. Insofern weiß ich sehr gut, was es bedeutet, wenn das eigene Fach in der Wissenschaftslandschaft nicht oft vertreten ist. Das fängt bei ganz einfachen Dingen an: Ich erinnere mich etwa daran, dass ich mir als wissenschaftliche Mitarbeiterin die Frage gestellt habe, welcher Fachgesellschaft ich eigentlich angehöre. Für mich war es ganz natürlich, dass ich mich der internationalen Fachgesellschaft angeschlossen habe, weil alle Kongresse zu meinem Thema per se international sind. Das ist übrigens etwas, was wir auch bei den Kleinen Fächern oft beobachten: Die Orientierung in Richtung des internationalen Umfelds ist sehr ausgeprägt, einfach weil es im eigenen Land nur wenige Kollegen und Kolleginnen gibt.

Gibt es mit Blick auf die Kleine-Fächer-Wochen eine Initiative, auf die Sie sich besonders freuen?
Mir ist bei mehreren Anträgen aufgefallen, dass es sich um wunderschöne Unikate handelt. Sie sind perfekt an ihren jeweiligen Hochschulstandort angepasst, weil sie genau maßgeschneidert sind auf örtliche Gegebenheiten, auf Kooperationspartner oder die dortige Forschungslandschaft. Das macht es schwer, ein konkretes Beispiel herauszugreifen. Aber innerhalb der Gutachtergruppe haben wir immer wieder einhellig festgestellt, wie hoch der Standard einzelner Projekte ist – und freuen uns darauf, dass sie jetzt auch umgesetzt werden können.

Das Interview führte Kilian Kirchgeßner.

Zur Person:
Mechthild Dreyer ist Professorin für Philosophie des Mittelalters und ihre Wirkungsgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Viele Jahre lang war sie dort Vizepräsidentin für Studium und Lehre. Seit 2012 leitet sie gemeinsam mit Uwe Schmidt die Arbeitsstelle Kleine Fächer, die an der Mainzer Universität angesiedelt ist und in ganz Deutschland die Kleinen Fächer kartiert.