„Den Osten im Blick“

Podium im Rahmen der Kleinen Fächer-Wochen
Podium im Rahmen der Kleine Fächer-Wochen

Die Lehrenden in den Osteuropastudien der Universitäten Potsdam und Frankfurt an der Oder haben schon immer gut zusammengearbeitet. Neue Formen der Kooperation erproben sie jetzt im Rahmen der Kleine Fächer-Wochen – und für die gibt es gute Gründe.

Ihr Aha-Erlebnis hatte Annette Werberger vor einigen Tagen: Da saß auf einer Veranstaltung im Rahmen der Kleine Fächer-Wochen ein Student mit auf dem Podium, der eigentlich an der Universität Potsdam eingeschrieben ist. „Er erzählte, dass er regelmäßig zwischen Potsdam und Frankfurt an der Oder pendele, wenn es dort interessante Seminare oder Veranstaltungen gebe“, sagt Werberger. Sie selbst ist Professorin an der Viadrina in Frankfurt, lehrt über osteuropäische Literaturen – und ist eine der Koordinatorinnen der Projekte, die die Osteuropa-Experten in Frankfurt an der Oder und Potsdam bei den Kleine Fächer-Wochen gemeinsam auf die Beine stellen.

Dass die Studierenden zwischen beiden Städten pendeln, ist eine Entwicklung, von der Werberger in jüngster Zeit öfter gehört hat. Das Semesterticket gilt in ganz Brandenburg, das erleichtert die Reisen; vor allem aber ist es inhaltlich spannend für alle, die sich in ihrem Studium mit Osteuropa beschäftigen. Wegen der Zuschnitte der Professuren hat die Viadrina ihre Schwerpunkte in kulturwissenschaftlich-historischen Zusammenhängen, während die Universität Potsdam eher philologisch interessierte Studierende anlockt. „Die Zusammenarbeit ist schon länger recht eng, vor allem in der gemeinsamen Betreuung von Doktor- und Masterarbeiten in Kolloquien“, sagt Annette Werberger, „aber im Bereich der Forschungszusammenarbeit etablieren wir gerade einige neue gemeinsame Projekte.“ Das Gleiche gilt für die Lehre: Bei den Kleine Fächer-Wochen gab es Schnupper-Sprachkurse, die üblicherweise nur an der jeweils anderen Universität angeboten werden – so konnten die Frankfurter Studierenden einen Tag lang Jiddisch lernen, die Potsdamer wiederum Ukrainisch. „Für die nächsten Semester erwarte ich einen spürbaren Effekt“, sagt Annette Werberger: Bei den Kleine Fächer-Wochen sollen den Studierenden gezielt die Augen geöffnet werden für die Möglichkeiten, spezialisierte Seminare auch an der jeweils anderen Universität wahrzunehmen und anrechnen zu lassen.

„Osteuropastudien sind mehr als nur Slawistik“, betont Werberger und weist damit auf die Vielseitigkeit der Regionalstudien hin. Bei der Viadrina gehört der Blick auf den Osten zum Gründungsauftrag; auch wenn sich der Fokus in jüngster Zeit ein wenig verschiebt. „Wir erweitern den ursprünglichen deutsch-polnischen und russischen Schwerpunkt in Richtung Ukraine, Litauen, Belarus auch hin zum Sorbischen“, sagt Annette Werberger. Diese Änderungen gehen einher mit einer Veränderungen in den gesamten Osteuropastudien, die immer eine enge Parallele zur Politik aufwies – im Kalten Krieg bekam sie eine Schlüsselstellung, „ich selbst bin ein Kind der Perestroika“, sagt Werberger mit Blick auf ihr Studium während der Wendejahre, und heute sei das Fach zunehmend geprägt von Studierenden mit familiären Wurzeln in einem der mittel- oder osteuropäischen Länder. Trotzdem sei der Rückgang der Studierendenzahlen in den vergangenen Jahren spürbar: Groß sei zwar die Zahl derer, die von anderen Fächern aus einmal hereinschnuppern, aber eigene Masterstudierende, die sich auch auf den anspruchsvollen Spracherwerb einlassen, gebe es weniger. „Es gilt deswegen, auf die Förderung der Nachwuchses zu achten. Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft und Politik benötigen gegenwärtig dringend Personen mit Osteuropa-Kompetenz und Absolventen finden ausgesprochen schnell Stellen und Jobs “, sagt Annette Werberger.

Das alles sind Gründe für die Osteuropa-Professoren aus Frankfurt an der Oder und Potsdam, sich an den Kleine Fächer-Wochen zu beteiligen. Die Werbung um Nachwuchs spielt ebenso eine Rolle wie die Kooperation inner- und außerhalb der Universitäten und die sehr gute internationale Vernetzung. Allein schon aus ganz praktischen Gründen, betont Werberger: Bei manchen Master- oder Doktorarbeiten sei es schwierig, an der eigenen Universität die richtigen Co-Betreuer oder Zweitgutachter zu finden. Mit Kollegen aus anderen Standorten zusammenzuarbeiten, werde deshalb immer stärker zur Notwendigkeit.
Wie diese Kooperation in der Praxis aussehen kann, zeigen die gemeinsamen Aktivitäten der beiden Brandenburger Universitäten während der Kleine Fächer-Wochen in vielerlei Hinsicht.

Text von Kilian Kirchgeßner.