Transfer und Kooperation als Aufgaben der Hochschulen


Entschließung der HRK-Mitgliederversammlung vom 14.11.2017

Inhaltsverzeichnis

I.     Facetten von Transfer und Kooperation   
II.    Kernkompetenzen der Hochschulen und ihr Bezug zu Transfer und Kooperation
1.    Forschung       
2.    Lehre       
III. Schlussfolgerungen   


I. Facetten von Transfer und Kooperation
„Die Hochschulen entwickeln und definieren ihre zentrale Rolle im steten Dialog mit allen gesellschaftlichen Kräften. In Ausfüllung dieser Rolle erbringen sie Leistungen, die für die wissenschaftliche, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung Deutschlands von entscheidender Bedeutung sind.“ So hat der Senat der HRK im Oktober 2016 das Verhältnis von Hochschule und Gesellschaft als Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Aufgabenerfüllung der Hochschulen beschrieben.

Forschung und Lehre in allen Erscheinungsformen sind dabei die Kernkompetenzen der deutschen Hochschulen. In der Zusammenarbeit der Fächer und Disziplinen befruchten und erneuern sie sich gegenseitig. Sie schaffen so neues Wissen, neue Fähigkeiten und wissenschaftliche Erkenntnisse. Zudem erwerben pro Jahr über 450.000 Studierende einen Hochschulabschluss, fast 30.000 schließen ihre Promotion ab[1]; sehr viele von ihnen schlagen außerakademische Karrierewege ein. Hochschulen sind außerdem in der wissenschaftlichen Weiterbildung aktiv. Dies macht sie zu wichtigen Impulsgebern für die Gesellschaft und zu Partnern der Wirtschaft, des öffentlichen Sektors, der organisierten Zivilgesellschaft und der Kultur. Diese wissenschaftsbasierten Beziehungen können zusammenfassend als Wissens- bzw. Erkenntnis- und Technologietransfer durch die Hochschulen bezeichnet werden.[2] 

Die Hochschulen profitieren von der ständigen Auseinandersetzung mit den Problemen und Fragestellungen von Gesellschaft und Wirtschaft. Durch die Zusammenarbeit mit Partnern jenseits der akademischen Welt entwickeln sich Lehre und Forschung kontinuierlich weiter. Vor diesem Hintergrund ist das Verhältnis inhaltlich als Austausch und Interaktion und begrifflich zusammenfassend als „Transfer und Kooperation“ richtig beschrieben.[3] Die Hochschulgesetze der Länder legen Elemente dieses Austauschs als gesetzliche Aufgaben fest.

Viele Hochschulen haben außerdem ihre Unterstützung für Unternehmensgründungen ausgeweitet und erproben neue Formate, um Forschungsaktivitäten von Bürgerinnen und Bürgern stärker einbeziehen zu können. Transferstellen und selbständige Transfer-Gesellschaften haben sich an den Hochschulen etabliert, die mit ihren Aktivitäten zur Übertragung von Forschungsergebnissen in unternehmerische und gesellschaftliche Anwendungen beitragen. Durch Interaktion mit der Praxis können wiederum neue Forschungsthemen erschlossen werden. Neue gesellschaftliche und ökonomische Entwicklungen wie die fortschreitende Digitalisierung oder die wachsenden Ansprüche in Bezug auf Nachhaltigkeit erfordern darüber hinaus neue Formen des Handelns der Hochschulen. So betreiben Hochschulen z.B. Technologiezentren für Industrie 4.0, um mit Wirtschaft und Gesellschaft den bevorstehenden Wandel voranzutreiben.

Hochschulen sind außerdem Teil des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens in ihrer Region und gestalten im Zusammenwirken mit Kunst und organisierter Zivilgesellschaft Kulturentwicklungsprozesse. Sie setzen sich für ein verbessertes Verständnis von Wissenschaft und Kunst in der Öffentlichkeit ein. Wissenschaftskommunikation durch Beiträge in den Medien, öffentliche Veranstaltungen und Diskussionsrunden spielt dabei seit Langem eine wichtige Rolle. Verstärkt setzen Hochschulen heute außerdem auf den gezielten Einsatz von sozialen Medien und anderen Online-Formaten. Durch diese Aktivitäten können die Hochschulen ihre Außenwirkung im gesellschaftlichen Umfeld – mitunter auch bei bildungsferneren Gruppen – positiv beeinflussen, Wissen vermitteln, und so auch Teilhabechancen verbessern. Dieses gesellschaftliche Engagement der Hochschulen entwickelt sich im Dialog mit der Gesellschaft ständig weiter. So ist die Kooperation mit lokalen Partnern vielfach Teil hochschulischen Handelns geworden, um gesellschaftlich unmittelbar relevante Aufgaben zu bearbeiten und zielgerichtet Erkenntnistransfer voranzutreiben.[4] 

Die Summe der beschriebenen Aktivitäten in den Bereichen Weiterbildung, Wissens- bzw. Erkenntnis- und Technologietransfer sowie gesellschaftliches Engagement wird häufig auch als „Dritte Mission“ der Hochschulen bezeichnet.[5] Diese „Mission“ ist dabei nicht eigenständig, sondern entwickelt sich durchweg auf Basis der und synergistisch zu den Kernkompetenzen Forschung und Lehre. Sie ist somit Teil des Aufgabenspektrums der Hochschulen, deren Erfüllung insgesamt eine verlässliche Grundfinanzierung voraussetzt.[6]

II. Kernkompetenzen der Hochschulen und ihr Bezug zu Transfer und Kooperation

1. Forschung

In der derzeitigen europäischen Forschungs- und Innovationsförderung und in der globalen Diskussion um die Potenziale von Forschung wird unter dem Schlagwort „Impact“ („Wirkung“) vielfach die direkte „Verwertbarkeit“ von Forschungsergebnissen eingefordert. Die Wissenschaft soll sich stärker als früher in den Dienst der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung stellen. Gefordert werden technische und gesellschaftliche Innovationen für die großen Herausforderungen unserer Zeit, die sich möglichst umgehend und nachweisbar in Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze umsetzen lassen.[7]

Die Leistungen der deutschen Hochschulen über alle Fächergrenzen hinweg sind im Bereich der angewandten Forschung international sichtbar und unverzichtbarer Bestandteil und Erkennungsmerkmal des Innovationssystems in Deutschland.[8] Zu den Stärken des deutschen Wissenschaftssystems gehört in besonderer Weise auch die Grundlagenforschung sowohl in den Geistes- und Sozial­wissenschaften, als auch in den Natur- und Technikwissenschaften. Die HRK betont die Notwendigkeit, an der beschriebenen Breite festzuhalten, die nicht mehr in allen europäischen Ländern politisch unterstützt und gefördert wird. Die HRK befindet sich hier in Übereinstimmung mit der Allianz der Wissenschafts­organisationen.[9] Die Erfahrung lehrt, dass Grundlagenforschung immer wieder große Innovationen hervorbringt. Weitere gezielte Programme für Forschung und Entwicklung, die auf bestimmte Herausforderungen reagieren, müssen darüber hinaus Akzente setzen und zusätzliche Ressourcen mobilisieren, um Innovationen zu beschleunigen oder durch spezifische Fördermaßnahmen Kooperationen stärken, z. B. mit kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) oder Kultureinrichtungen.

Derzeit wird zusätzlich über eine stärkere Berücksichtigung gesellschaftlicher Interessen und Fähigkeiten von Bürgerinnen und Bürgern in Forschungsprozessen diskutiert. Ansätze von „Bürgerwissenschaft“ (oft auch als engaged research oder citizen science bezeichnet) verfolgen die Zielstellung, enger mit Freiwilligen- und Non-Profit-Organisationen zusammenzuarbeiten, zu einer größeren Transparenz im Forschungsbereich beizutragen und die Erkenntnisse von Laien stärker in die Forschung einzubeziehen.[10] So könnten u. a. Fragestellungen und Sichtweisen in die Forschung Eingang finden, die von Experten nicht wahrgenommen werden. Dieser Beteiligung gesellschaftlicher Akteure stehen die Hochschulen offen gegenüber, solange sie nicht zur Verlagerung der Entscheidungen über die Auswahl von Forschungsfragen und -methoden in den öffentlichen Raum führt. Forschung an Hochschulen möchte rezeptiv sein, muss aber unabhängig bleiben.

Zur Pflicht der Hochschulen und der Wissenschaft allgemein gehört auch, die Grenzen der eigenen Erkenntnisfähigkeit und Problemlösungskompetenz durch Forschung klar und realistisch gegenüber der Öffentlichkeit zu benennen. Wissenschaft kann Probleme analysieren und verständlich machen, aber sie kann nicht aus sich heraus über die anzuwendenden Maßnahmen und deren Priorisierung entscheiden. Die Bewältigung großer Herausforderungen, wie z. B. des Klimawandels, erfordert umfassende gesellschaftliche und globale Veränderungsprozesse. Die Hochschulen können mithelfen, diese zu entwickeln und voranzutreiben, aber nicht die Verantwortung für Entscheidungen über konkrete Anpassungsleistungen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sowie für deren Umsetzung übernehmen. Das bleibt Aufgabe der Politik.

2.    Lehre
Hochschulische Lehre muss grundsätzlich auf den Erkenntnissen und Ergebnissen des aktuellen Forschungsstands basieren. Ein Studium ist daher mehr als die Vermittlung praktischer Erfahrung oder Berufsausbildung. Die wissenschaftliche Reflexion von Theorien und Methoden und eine möglichst breite fachliche Qualifizierung müssen im Vordergrund stehen. „Die Hochschulen haben die Aufgabe, die drei zentralen Dimensionen akademischer Bildung – (Fach-)Wissenschaft, Persönlichkeitsbildung und Arbeitsmarktvorbereitung – jeweils angemessen zu berücksichtigen. Als vierte Dimension tritt die Befähigung und Anregung zum gesellschaftlichen Engagement hinzu.“[11] Diese Elemente gehören zum Kernbestand der Idee eines Studiums und dürfen nicht aufgeweicht oder marginalisiert werden.

Neben bewährten Formaten der Verzahnung von Lehre und beruflicher Praxis begrüßen die Hochschulen ausdrücklich neue Ansätze, die das Umfeld jenseits der bereits entwickelten Kooperation mit der Wirtschaft und dem öffentlichen Sektor stärker in das Studium einbeziehen. Beispielsweise kann hochschulische Lehre auch mit konkreten Praxisprojekten im Rahmen von gesellschaftlichen Initiativen verbunden werden. Studierende vermitteln Sprachkenntnisse, begleiten benachteiligte Gruppen zu Behördengängen und unterstützen Migranten, beispielsweise durch Unterstützung in rechtlichen Fragen oder durch Projekte, die Zugang zu Musik und Kunst geben. Sie helfen gemeinnützigen Organisationen bei rechtlichen oder organisatorischen Fragen und wirken am Aufbau von Webseiten oder Datenbanken mit. Studierende können außerdem durch Unternehmensgründungen selbst als (soziale) Unternehmer aktiv werden, unternehmerisches Denken entwickeln und zu gesellschaftlichen Innovationen beitragen. Einige Hochschulen haben mittlerweile Anlaufstellen gegründet, die solche Aktivitäten bündeln, Partnerschaften mit öffentlichen oder ehrenamtlichen Trägern vermitteln und die Anerkennung entsprechender Projekte im Rahmen des Studiums regeln. All diese Ansätze fördern auch den Lernerfolg, verbessern die Berufsbefähigung und die weitere Persönlichkeitsentwicklung der Absolventinnen und Absolventen.[12]

III. Schlussfolgerungen

1.    Hochschulen sind Teil der Gesellschaft und ihr verpflichtet. Sie pflegen seit Langem den Austausch mit Akteuren außerhalb der akademischen Institutionen. Es gilt, diesen Austausch vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen weiter voranzutreiben. Die Ausgestaltung der Aktivitäten steht dabei in engem Zusammenhang mit dem jeweiligen Profil der Hochschule und muss von der Hochschulleitung als eigenständige Strategieentscheidung getroffen werden.
2.    Verschiedene neue Ansätze, gesellschaftliche Anliegen stärker in die Forschung einzubeziehen, können interessante neue Fragen aufwerfen und Innovationen herbeiführen. Sie unterliegen dabei aber stets den Qualitätskriterien wissenschaftlichen Arbeitens. Gute Forschung ist durch entsprechende wissenschaftlichen Ansätze und Methoden gekennzeichnet, nicht durch das Versprechen kurzfristiger Nützlichkeit.
3.    Im Mittelpunkt des Hochschulstudiums stehen der Erwerb von Fachwissen und Kompetenzen, die wissenschaftliche Reflexion von Theorien und Methoden sowie eine breite Qualifizierung. Wissenschaftliche Weiterbildungsangebote und Lehrangebote, die das zivilgesellschaftliche Engagement fördern, sind zu begrüßen, sollten einen ergänzenden Charakter haben und die Wahlmöglichkeiten der Studierenden erweitern.
4.    Die wissenschaftsbasierte Interaktion mit der Wirtschaft, dem öffentlichen Sektor und der organisierten Zivilgesellschaft bildet einen wichtigen Teil der Aktivitäten von Hochschulen. Dieser Austausch basiert auf ihren Kernkompetenzen Forschung und Lehre und sollte diese stärken. Er setzt eine angemessene Grundfinanzierung der Hochschulen voraus.

Dieses Papier spiegelt eine Momentaufnahme wider. Gerade der Bereich Transfer und Kooperation ist einer dynamischen Entwicklung unterworfen und wird daher kontinuierlich analysiert und weiterentwickelt.
---------------------------------------------------------------
[1] Statistisches Bundesamt (2015): Bildung und Kultur. Prüfungen an Hochschulen, Fachserie 11, Reihe 4.2, S. 10. www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/BildungForschungKultur/Hochschulen/PruefungenHochschulen2110420157004.pdf
[2] vgl. die sehr breite Definition von Wissens- und Technologietransfer durch den Wissenschaftsrat (2016): Wissens- und Technologietransfer als Gegenstand institutioneller Strategien. Positionspapier, S. 7; sowie die Definition des Erkenntnistransfers durch die DFG, www.dfg.de/foerderung/grundlagen_rahmenbedingungen/erkenntnistransfer/index.html
[3] vgl. Hightech-Forum (2017): Gute Ideen zur Wirkung bringen. Umsetzungsimpulse des Hightech-Forums zur Hightech-Strategie, 8.
[4] In der öffentlichen (Fach-)Debatte werden diese Ansätze häufig mit englischsprachigen Begriffen wie service learning, social entrepreneurship oder community outreach bezeichnet.
[5] Hier seien nur bespielhaft genannt: Conway, Cheryl; Humphrey, Lynne; Benneworth, Paul; Charles, David; Younger, Peter (2009): Characterising modes of university engagement with wider society. Newcastle upon Tyne; Henke, Justus; Pasternack, Peer; Schmid, Sarah (2016): Third Mission von Hochschulen. Eine Definition. In: Das Hochschulwesen, 1+2, S. 16-22. Henke, Pasternack und Schmid definieren die „Dritte Mission“ als „Aktivitäten einer Hochschule, die im Kontext von Lehre und Forschung stattfinden, ohne selbst oder ohne allein Lehre bzw. Forschung zu sein“ (ebd., S. 21).
[6] Besondere Leistungen gehen mit einem erhöhten Finanzierungsbedarf einher. Daher haben Bund und Länder spezielle Förderprogramme ins Leben gerufen, z. B. das Programm „Innovative Hochschule“ oder die „EXIST“-Förderung für Gründungen aus der Wissenschaft. Bei zusätzlichen Anforderungen an die Hochschulen sind entsprechende Instrumente auch weiterhin notwendig.
[7] Europäische Kommission (2014): Guidance for evaluators of Horizon 2020 proposals. Version 1.1, p. 2.
[8] www.timeshighereducation.com/world-university-rankings/funding-for-innovation-ranking-2016: Tabelle “Average industry income per academic by country”
[9] www.hrk.de/fileadmin/redaktion/hrk/02-Dokumente/02-05-Forschung/2016_07_13_Allianz_ZwischenEval_Horizon2020_dt.pdf
[10] Baden-Württemberg hat beispielsweise ein Programm zur Förderung sogenannter „Reallabore“ aufgelegt, in dem Hochschulen, Verbände, Unternehmen und andere Interessierte zusammenarbeiten, u. a. bei der Entwicklung neuer Mobilitätskonzepte.
[11] vgl. Gemeinsame Erklärung von BDA, DGB und HRK (2016): Beschäftigungsfähigkeit von Hochschulabsolventinnen und -absolventen weiter verbessern. www.hrk.de/positionen/beschluss/detail/beschaeftigungsfaehigkeit-von-hochschulabsolventinnen-und-absolventen-weiter-verbessern/
[12] Über 30 Hochschulen haben sich deshalb in dem Netzwerk „Bildung durch Verantwortung“ zusammengenschlossen; vgl. www.bildung-durch-verantwortung.de/mitglieder