Teilnehmende des Podiums
Auf dem Podium (v.l.n.r.): Prof. Michael Hallek (Uniklinik Köln, MItglied des Wissenschaftsrates), Dr. Viola Priesemann (Leiterin einer Forschungsgruppe beim Max-Planck-Institut, Göttingen), Prof. Otmar D. Wiestler (Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft), Johannes Boie (Vorsitzender der BILD-Chefredaktion), Prof. Michael Meyer-Hermann (Leiter der Abteilung System-Immunologie am Helmholtz-Zentrum für Infekionsforschung, Braunschweig), Blanka Weber (Moderation). Foto: Wolf Lux

BILD und Wissenschafts­organisationen im Dialog zur Rolle des Boulevardjournalismus in der Pandemie

Statement des HRK-Präsidenten im Anschluss an das Gespräch zwischen BILD, Helmholtz-Gemeinschaft, Max-Planck-Gesellschaft und HRK

Berlin, 28.1.2022 – "Die heutige gemeinsame Veranstaltung war angesichts der großen Distanz zwischen Wissenschaft und Boulevardjournalismus zweifellos ein Wagnis. Entsprechend hat sie im Vorfeld neben Zuspruch auch viel Kritik an den beteiligten Wissenschafts­organisationen ausgelöst. Ich glaube, heute hat sich jedoch gezeigt, dass das Gespräch ein naturgemäß begrenzter, aber richtiger Schritt war. Wissenschaftler:innen und Medienschaffende schauen kritisch aufeinander und das soll und darf sich nicht ändern. Aber beide gehören zu jeweils tragenden Bereichen unseres demokratischen Gemeinwesens und dürfen sich daher nicht gegenseitig ignorieren.

Die Allianz der Wissenschafts­organisationen hat mit ihrem „Aufruf zu mehr Sachlichkeit in Krisensituationen“ im vergangenen Dezember eine rote Linie aufgezeigt und sich aus Anlass des BILD-Artikels „Die Lockdown-Macher“ vom 4.12.21 scharf gegen die Diffamierung von Wissenschaftler:innen gewandt.

Es ist heute noch einmal klar geworden, dass ein solcher Titel erheblichen Schaden auslöst und gerade auf jüngere Wissenschaftler:innen abschreckend wirkt. Ich bin erleichtert, dass BILD, wie wir deutlich hören konnten, zumindest auf diesen konkreten Fall selbstkritisch blickt.

Die Diskussion sollte aber auch zukunftsorientiert sein und hat tatsächlich Ansätze aufgezeigt, wie Wissenschaft und Medien ihr Verhältnis im Sinne ihrer jeweils großen gesellschaftlichen Verantwortung besser gestalten können. Wichtig scheint mir festzuhalten: Der Boulevardjournalismus hat eine enorme Verantwortung und kann mit seinem nach wie vor großen Konsumentenkreis als wichtiges Korrektiv zu den sozialen Medien wirken. Als Wissenschaft sollten wir ihn daher ernstnehmen und nicht ignorieren. Aber der Boulevard muss seinen Einfluss anhand klarer ethischer Grundsätze reflektieren. Faktentreue und respektvoller Umgang mit Forscher:innen – wie mit allen anderen Personenkreisen – müssen gewährleistet sein.

Wissenschaft und Medien müssen sich gerade in angespannten Zeiten als lernende Systeme bewähren. Deshalb sind sie in der Pflicht, sich immer wieder selbst und gegenseitig kritisch zu betrachten und ihre Strategien wo nötig nachzujustieren. Ich denke, heute ist dazu eine generelle Bereitschaft deutlich geworden. Ich freue mich, dass die Wissenschaftler:innen auf dem Podium sich dazu bekannt haben, über ihr Wissen und ihre Arbeitsprozesse auch weiter mit den Medien zu kommunizieren und sich in öffentlichen Debatten zu engagieren.

Wir befinden uns in tiefgreifenden gesellschaftlichen Debatten – nicht nur im Zusammenhang mit der Pandemie, sondern etwa auch beim Klima-Wandel. Die Wissenschaft kann und muss dazu unbestritten wesentliche Beiträge leisten. Wenn Wissenschaftler:innen sich in diesem Sinne engagieren, müssen sie auch mit kritischer Resonanz umgehen. Es darf jedoch nicht sein, dass sie befürchten müssen, diskreditiert und an den Pranger gestellt zu werden, und sich in der Konsequenz nicht mehr öffentlich äußern oder brisante Forschungsthemen meiden. Wir verlieren auf diese Weise wichtige Stimmen für eine sachliche öffentliche Debatte.

Die heutige Veranstaltung ging auf eine Initiative der Präsidenten von Helmholtz-Gemeinschaft, Max-Planck-Gesellschaft und HRK zurück, die sich vor die drei konkret von dem Artikel vom 4. Dezember betroffenen Wissenschaftler:innen gestellt haben. Die BILD-Chefredaktion hat sich gesprächsbereit und problembewusst gezeigt. Dieses Signal aufzugreifen, war den Wissenschafts­organisationen ein Anliegen und entspricht dem grundlegenden wissenschaftlichen Prinzip des offenen Diskurses.  Wir werden die heutige Veranstaltung bilanzieren und sehen, inwieweit wir daran anknüpfen können."