Empfehlungen der HRK zur Entwicklung von Doppeldiplomen und gemeinsamen Abschlüssen (1)


Empfehlung des Senats der HRK vom 15.2.2005


Warum Doppeldiplome und gemeinsame Abschlüsse?


Integrierte Studiengänge, die gemeinsam von Hochschulen aus verschiedenen Ländern angeboten werden und insbesondere Studiengänge, die zu Doppeldiplomen führen, haben in Deutschland vor allem durch die spezielle Förderung der deutsch-französischen Zusammenarbeit bereits Tradition [2]. Darüber hinaus entwickeln sie sich immer mehr zu einem wichtigen Element des Europäischen Hochschulraums.


Die europäischen Bildungsminister haben sich auf den Bologna-Nachfolgekonferenzen in Prag (2001) und Berlin (2003) explizit für die Schaffung solcher Programme ausgesprochen. Die Europäische Kommission verleiht der Idee derzeit zusätzlichen Schub durch ihr neu ausgeschriebenes Programm ERASMUS Mundus, mit dem herausragende europäische Masterprogramme gefördert werden sollen, die von mindestens drei Hochschulen in verschiedenen Ländern angeboten werden.Angesichts der zunehmenden Bedeutung von Doppeldiplomen und Gemeinsamen Abschlüssen (GA) wurde im Juni 2004 vom Europarat ein Zusatzdokument zum "Lissabonner Übereinkommen über die Anerkennung von Hochschulqualifikationen in Europa" von 1997 verabschiedet, das Empfehlungen für die Anerkennung von Joint Degrees enthält.


Im Übrigen bestätigte eine vom DAAD beim Institut der deutschen Wirtschaft in Auftrag gegebene Studie, dass Absolventen aus Doppeldiplomstudiengängen auf dem deutschen Arbeitsmarkt besonders gute Chancen haben [3]. Vor diesem Hintergrund besteht auch bei vielen Mitgliedshochschulen der HRK großes Interesse an der Entwicklung von Doppeldiplomen und Gemeinsamen Abschlüssen, aber Unsicherheit über die Herangehensweise und Realisierung solcher Projekte.


Warum Empfehlungen der HRK zu diesem Thema?


Im Oktober 2000 verwarf der Senat der HRK den Vorschlag, eine Liste von Merkmalen für "Internationale Studiengänge" zu definieren, weil eine solche Standardisierung die Freiheit der Hochschulen einschränke. Dieser Sachverhalt wird durch die vorliegende Empfehlung nicht berührt. An ein Studienprogramm, das zu einem Doppeldiplom oder einem Gemeinsamen Abschluss führt, müssen sehr viel höhere und präzisere Anforderungen gestellt werden als einen "internationalen" Studiengang. Diese Anforderungen finden sich in weitgehend identischer Weise in den verschiedenen Förderausschreibungen etc.


Die vorliegenden Empfehlungen stellen eine Synthese der Anforderungen von DFH, DAAD und ERASMUS MUNDUS dar und berücksichtigen außerdem die Empfehlungen eine Studie der EUA zu diesem Thema, die Schlussfolgerungen aus dem Joint Masters Projekt der EUA sowie das erwähnte Zusatzdokument zum Lissabonner Übereinkommen über die Anerkennung von Gemeinsamen Abschlüssen. Die HRK möchte den Hochschulen, die an der Entwicklung von Doppeldiplomen oder Gemeinsamen Abschlüssen arbeiten, mit diesen Empfehlungen Hilfestellung leisten.


Was sind Doppeldiplome und Gemeinsame Abschlüsse?


Doppeldiplom bzw. Gemeinsamer Abschluss bezeichnet einen Hochschulabschluss, der gemeinsam von zwei Hochschulen verliehen wird auf der Grundlage von Studiengängen, die alle oder zumindest mehrere der folgenden Merkmale aufweisen:

  • Die Studiengänge werden gemeinsam von den beteiligten Hochschulen entwickelt und/oder anerkannt
  • Studierende aus der einen Hochschule studieren Teile des Studienprogramms an der anderen Hochschule
  • Die Dauer der Studienaufenthalte an den beiden Einrichtungen sind von vergleichbarer Länge
  • Studienabschnitte und Examina, die an der einen Hochschule erbracht wurden, werden automatisch und vollständig von der anderen Hochschule anerkannt
  • Hochschullehrer der einen Hochschule unterrichten auch an der anderen Hochschule, arbeiten das Curriculum gemeinsam aus und bilden gemeinsame Kommissionen für Zulassung und Prüfungen

Der Unterschied zwischen einem Doppeldiplom und einem gemeinsamen Abschluss: Die Form der Dokumentierung


Grundsätzlich gilt, dass für eine wissenschaftliche Leistung nur ein einziger Grad verliehen werden darf. Der spezifische Charakter des absolvierten Studiengangs muss in der Dokumentierung deutlich werden:

  • Doppeldiplom: Jede Hochschule stellt eine Urkunde aus, wobei beide Urkunden dergestalt verzahnt sind, dass sie inhaltlich eine einzige Urkunde bilden
  • Gemeinsamer Abschluss: Beide Hochschulen stellen gemeinsam eine Urkunde aus.

Gestaltung der Curricula, Art der Abschlüsse


Doppeldiplome/Gemeinsame Abschlüsse lassen sich in Zusammenarbeit mit Hochschulen in aller Welt ausarbeiten. Sofern sie aber im Europäischen Hochschulraum angeboten werden, empfiehlt es sich, die im Rahmen des Bologna-Prozesses bisher entwickelten Prinzipien zu berücksichtigen:

  • Doppeldiplome/Gemeinsame Abschlüsse sollten auf der Ebene von Bachelor- oder Masterabschlüssen verliehen werden
  • Die Curricula sollten modular angelegt sein und ECTS verwenden
  • Abschlüsse auf Bachelor-Ebene sollten 180-240 ECTS-Credits erfordern, Abschlüsse auf Master-Ebene 60 bis 120 ECTS-Credits.

Bewerbung, Zulassung und Prüfungen


Studieninteressenten sollten die Möglichkeit haben, sich für die Aufnahme in ein klar definiertes Programm zu bewerben, mit gemeinsamen Standards für die Zulassung, einem gemeinsamen Zulassungsverfahren und einer gemeinsamen Bewerberauswahl. Prüfungen, die an der einen Hochschule abgelegt wurden, werden automatisch und vollständig an der anderen Hochschule anerkannt.


Verzahnung der Inhalte des Studienprogramms


Das Studienprogramm sollte gemeinsam von Hochschullehrern beider Institutionen ausgearbeitet werden, damit die Qualität der durch das Doppeldiplom/den Gemeinsamen Abschluss bescheinigten Qualifikation sichergestellt ist.


Mobilität


Das Studienprogramm sollte Aufenthalte an beiden Hochschulen möglichst von vergleichbarer Dauer vorsehen. Studienbewerber müssen zum Zeitpunkt der Bewerbung klar über die mögliche Abfolge bzw. die Kombinationsmöglichkeiten informiert werden.


Unterrichtssprache


Einer der Vorzüge von Studienprogrammen dieser Art besteht darin, dass den Studierenden normalerweise die Gelegenheit gegeben wird, mit zwei Unterrichtssprachen vertraut zu werden. Um diesen Vorteil tatsächlich wirksam werden zu lassen, empfiehlt es sich, beide Sprachen im Studienprogramm entsprechend zu verankern und auch die Abschlussprüfung und Examensarbeit entsprechend zu regeln (z.B. Abfassung der Bachelor-/Master-Arbeit in der einen Sprache mit kurzer Zusammenfassung in der anderen Sprache). Um die sprachliche und kulturelle Vielfalt des Europäischen Hochschulraums zu bewahren und zu fördern, sollten die Landessprachen nur in Ausnahmefällen gänzlich durch Englisch ersetzt werden.


Anerkennung, Qualitätssicherung


Um die Anerkennung zu erleichtern, sollten diese Studienprogramme ECTS verwenden. Außerdem sollten alle Absolventen eines solchen Programms ein Diploma Supplement erhalten.Das in Verbindung mit einem Doppeldiplom/Gemeinsamen Abschluss verliehene Diploma Supplement sollte die Bestandteile des Abschlusses ausführlich beschreiben und deutlich machen, an welchen Hochschulen und/oder in welchen Studienprogrammen die verschiedenen Teile des Abschlusses erworben wurden.


Aus staatlicher Sicht (KMK) ist die Anerkennung von Doppeldiplomen bereits seit vielen Jahren gewährleistet. Im März 2004 hat die KMK darüber hinaus festgestellt, dass § 18 Abs. 1 S. 5 HRG nach näherer Bestimmung des Landesrechtes zulässt, dass aufgrund einer Vereinbarung mit einer ausländischen Hochschule auch andere als die im HRG aufgeführten Grade verliehen werden können. Insofern wurden keine Bedenken gegen die Verleihung von Gemeinsamen Abschlüssen (Joint Degrees), etwa im Rahmen des ERASMUS Mundus-Programms, erhoben - vorausgesetzt, es handelt sich bei den beteiligten Einrichtungen um Hochschulen oder diesen gleichgestellten Einrichtungen entsprechend dem jeweiligen Länderrecht und es wird eine hinreichende Qualitätssicherung entsprechend den für die Hochschulen der beteiligten Länder geltenden nationalen Regelungen gewährleistet.


Die Frage der grenzüberschreitenden Qualitätssicherung ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt wohl der schwierigste Aspekt bei der Ausarbeitung von Doppeldiplomprogrammen und insbesondere von Gemeinsamen Abschlüssen, die in einer Vielzahl europäischer Länder nach gegenwärtiger Rechtslage gar nicht zulässig sind. Die europäischen Bildungsminister haben bei der Berlin Konferenz im September 2003 verschiedenen europäischen Organisationen den Auftrag erteilt, Vorschläge für gemeinsame Standards und Richtlinien bei der grenzüberschreitenden Qualitätssicherung in der europäischen Zusammenarbeit auszuarbeiten und zugesagt, ihre eigene Hochschulgesetzgebung ggf. an die Erfordernisse von Doppeldiplomen und Gemeinsamen Abschlüssen anzupassen.


In Erwartung von akzeptierten und funktionierenden europäischen Verfahren empfiehlt sich eine pragmatische Herangehensweise an den Einzelfall. Dies bedeutet, dass die deutsche Hochschule die Akkreditierung des geplanten Programms von deutscher Seite sicherstellen muss, während die Partnerhochschule dafür Sorge tragen muss, dass den in ihrem Lande geltenden Anforderungen an die Qualitätssicherung Rechnung getragen wird. Dabei sollte die deutsche Hochschule sich über die Akkreditierungs- und Qualitätsstandards im Partnerland informieren und insbesondere auf Klärung der Frage achten, ob die Verleihung von Doppeldiplomen und insbesondere von Gemeinsamen Abschlüssen im Partnerland überhaupt zulässig ist.


10 Goldene Regeln für die Ausarbeitung von Programmen, die zu gemeinsamen Abschlüssen führen [4]


1. Seien Sie sich über Ihre Motivation im Klaren


Vor der Schaffung eines neuen GA-Programms sollten Sie sich über folgende Fragen klar werden: Füllt das Programm eine Lücke auf nationaler oder europäischer/internationaler Ebene? Ist ein GA-Programm dafür die am besten geeignete Form? Worin besteht der zu erwartende akademische Mehrwert?


2. Wählen Sie Ihre Partner sorgfältig aus


Partnerhochschulen können auf vielfältige Weise ausgewählt werden und die Entscheidung kann zu sehr wichtigen Konsequenzen führen, die weit über die ursprünglichen Gründe für die Einführung des Programms hinausführen. Gute Kommunikation und wechselseitiges Vertrauen sind wesentliche Voraussetzungen für die Entwicklung gemeinsamer Lernziele und Standards sowie für die Anerkennung der Studienphasen an der Partnerhochschule. Wie ähnlich bzw. wie unterschiedlich sollten die Partnerhochschulen sein, um optimale Effekte in dem Programm zu erzielen?


3. Entwickeln Sie mit Ihrem Partner klare Zielsetzungen für das GA-Programm und für die von den Studierenden zu erreichenden Lernziele


Um das Programm ausgewogen zu gestalten, sollten die Zielsetzungen gemeinsam ausgearbeitet werden. Dies führt auch zu einer stärkeren Identifikation mit dem Programm bei der Teilnahme an einem von der Partnerhochschule ausgearbeiteten Programm. Erforderlich ist ein für den speziellen Zweck maßgeschneidertes Curriculum.


4. Sichern Sie die notwendige institutionelle Unterstützung für das Programm


Volle institutionelle Unterstützung durch beide Hochschulen von Anfang an ist wesentlich, wenn das Programm eine langfristige Zukunft haben soll. Als absolutes Minimum sollten Schreiben der Hochschulleiter ausgetauscht werden, in welchen die konkreten Verpflichtungen der jeweiligen Hochschule für das Gelingen des Programms ausgeführt werden, vor allem hinsichtlich der benötigten Lehrkräfte und finanzieller Unterstützung. Dieses Schreiben sollte in regelmäßigen Abständen erneuert werden.


5. Sorgen Sie dafür, dass genügend akademische und administrative Personalkapazitäten für das Programm bereitgestellt werden


Die Arbeitsbelastung sollte nicht ausschließlich auf den Schultern einer engagierten kleinen Gruppe ruhen. Die Einbeziehung eines größeren Personenkreises aus der Hochschule wird das institutionelle Engagement stärken. Da die Mobilität der beteiligten Hochschullehrer ein wesentliches Element eines Doppeldiplomprogramms ist, planen Sie die entsprechenden Abwesenheiten und die Auswirkungen auf die normalen Studienprogramme ein. Bedenken Sie auch die möglichen Auswirkungen, wenn einer der Hauptakteure in dem Doppeldiplomprogramm den Arbeitsplatz wechseln sollte. Bliebe das institutionelle Engagement bestehen? Falls nicht, deutet dies darauf hin, dass die Personalbasis des Programms zu schmal für eine nachhaltige Programmentwicklung ist.


6. Stellen Sie sicher, dass eine nachhaltige Finanzierungsplanung für das Programm existiert


Diese Planung sollte nicht nur das Ressourcenmanagement an der einzelnen Hochschule, sondern die Finanzierung des Programms in seiner Gesamtheit berücksichtigen. Mit der Frage der nachhaltigen Finanzierung steht und fällt das gesamte Programm, die Wichtigkeit dieses Aspekts kann nicht überschätzt werden.


7. Sorgen Sie dafür, dass Informationen über das Programm leicht zugänglich sind


An beiden Hochschulen sollten Studieninteressenten mit vergleichbaren Informationen versehen werden. Eine elektronische Bereitstellung garantiert leichten Zugang und einfache Aktualisierbarkeit. Die Websites und Broschüren sollten nicht nur Informationen über den Inhalt des Programms, über Bewerbungs- und Zulassungsmodalitäten enthalten, sondern auch Informationen über die erwartete Mobilität (Unterbringungsmöglichkeiten an der Partnerhochschule) etc. sowie eine deutliche Erläuterung des zu verleihenden Doppeldiploms. Auch die Bedürfnisse von finanziell schlechter gestellten sowie körperbehinderten Studierenden sollten berücksichtigt werden.


8. Planen Sie genügend Treffen mit den Partnern ein


Die Entwicklung eines Doppeldiplomprogramms nimmt viel Zeit in Anspruch. Eine hinreichende Zahl von gemeinsamen Treffen der Partner für die gemeinsame Entwicklung von Ideen und die gemeinsame Beurteilung der Kohärenz des Curriculums sollte vorgesehen werden. Stellen Sie sicher, dass Einigkeit über die angestrebten Lernziele, die Verwendung von ECTS (einschließlich der Wertigkeit eines Credit) und die Vergabe des Diploma Supplement besteht. Sofern Zweifel hinsichtlich der richtigen Anwendung dieser Instrumente bestehen, stellen Sie sicher, dass entsprechende Lernprozesse stattfinden und die notwendigen Informationen zur Verfügung gestellt werden.


9. Entwickeln Sie eine gemeinsame Sprachstrategie für das GA-Programm und ermutigen Sie das Erlernen der lokalen Sprache(n)


Die Organisatoren des Programms müssen Regelungen hinsichtlich der Unterrichtssprache(n) treffen und den Studierenden die Gelegenheit einräumen, während des Studiums ihre Fremdsprachenkenntnisse zu vertiefen. Sprachliche Aspekte sollten nicht nachrangig zur Curriculumsgestaltung behandelt werden, sondern von Anfang an im Mittelpunkt der Überlegungen stehen. Die sprachliche Vorbereitung von Aufenthalten an der Partnerhochschule ist eine gute Gelegenheit, andere Kollegen und Fachbereiche der Hochschule in das Programm zu involvieren.


10. Definieren Sie klare Zuständigkeiten zwischen den Partnern


Für ein gutes Funktionieren des Programms ist eine klare Aufteilung von Aufgaben und Zuständigkeiten unerlässlich. Es ist nicht nötig, dass beide Partnerhochschulen in allen Programmteilen in gleicher Weise engagiert sind. Eine Aufteilung der Zuständigkeiten erlaubt es den Partnern, ihre spezifischen Stärken zum Einsatz zu bringen. Eine eindeutige Arbeitsteilung hilft, Doppelarbeit zu vermeiden und Zeit und Kosten zu sparen. Die Einsetzung einer gemeinsamen Programmkommission zur Verteilung und Koordination der Aufgaben kann hilfreich sein.





Anmerkungen


[1] Der Ausdruck "Doppeldiplom" wird in diesem Text stellvertretend für andere, von mehr als zwei Hochschulen angebotene und verliehene Abschlüsse verwendet. "Joint Degrees" werden mit "Gemeinsame Abschlüsse" übersetzt.
[2] Siehe die Förderprogramme der deutsch-französischen Hochschule, aber auch die des DAAD für Doppeldiplomprogrammen mit ausgewählten anderen Ländern
[3] Siehe www.daad.de/de/download/doppeldiplom/2004_tagung/1, "Internationale Doppelabschlüsse",
[4] In Anlehnung an die im Abschlussbericht der EUA zu ihrem Joint Masters Project formulierten Empfehlungen. www.eua.be/eua/jsp/en/upload/Joint_Masters_report.1087219975578.pdf