Primärqualifizierende Studiengänge in Pflege-, Therapie- und Hebammenwissenschaften


Entschließung der HRK-Mitgliederversammlung vom 14.11.2017

Zusammenfassung
•    Tiefgreifende Veränderungen in Gesellschaft und Gesundheitswesen stellen zunehmend höhere Anforderungen an die Qualifizierung im Gesundheitswesen. Dies macht für einen für das Gesundheitssystem relevanten Teil der in den Gesundheitsfachberufen Tätigen eine hochschulische Ausbildung in primärqualifizierenden Studiengängen erforderlich.
•    Bislang wurden an den Hochschulen überwiegend Studiengänge in Kooperation mit Berufsfachschulen eingerichtet. Die ausbildungsbegleitenden oder ausbildungsintegrierenden Studiengänge in Kooperation mit Berufsfachschulen entsprechen aber oft nicht hochschulischen Anforderungen an die wissenschaftliche Qualifikation des Personals, die Wissenschaftsfundierung oder die Strukturierung der Ausbildung.
•    Die HRK betont daher, dass bei primärqualifizierenden Studiengängen die Verantwortung für die Konzeption, Durchführung, Evaluation und Akkreditierung der Studiengänge - auch für die praxisbezogene Ausbildung - bei der den Abschlussgrad verleihenden Hochschule liegen muss.
•    Ein besonderes Problem bei allen primärqualifizierenden Studiengängen liegt darin, dass es zu Konflikten zwischen dem akademischen Selbstverständnis der Hochschulen und enggeführten beruferechtlichen Vorgaben kommt. Die HRK fordert daher den Gesetzgeber auf, die überfällige Änderung einschlägiger beruferechtlicher Bestimmungen einzuleiten.
•    Hochschulseitig setzt die Einrichtung primärqualifizierender Studiengänge die Entwicklung und Etablierung entsprechender wissenschaftlicher Disziplinen voraus, die sich durch Theorien- und Methodenentwicklung sowie genuine, nachhaltige Forschung auszeichnen. Notwendig ist auch eine systematische und kontinuierliche Forschungsförderung im Rahmen bestehender und neu einzurichtender Programme.
•    Klinisch ausgerichtete Studiengänge erfordern eine Kooperation mit Universitätskliniken und/oder den akademischen Lehrkrankenhäusern
•    Durch die Einrichtung von primärqualifizierenden Studiengängen kommt es zu einer partiellen Verlagerung der Kosten der Ausbildung vom Gesundheitssektor auf die Länder als Träger der Hochschulen. Es muss zudem selbstverständlich sein, dass die Studierenden der entsprechenden Studiengänge Anspruch auf Ausbildungsförderung erhalten.


I. Einleitung
Im Gesundheitswesen vollziehen sich tiefgreifende Veränderungen, die mit zunehmend höheren Anforderungen an die Qualifizierung der in den Gesundheitsberufen[1] Tätigen verbunden sind. Der wissenschaftlich-technische Fortschritt in allen Bereichen der Gesundheitsversorgung führt zu neuen Diagnose- und Therapiemöglichkeiten. Die rasant fortschreitende Digitalisierung eröffnet erweiterte Möglichkeiten der Erfassung, Speicherung und Auswertung von Daten und Informationen, die diagnostische und therapeutische Entscheidungen unterstützen. Teledienste im Gesundheitswesen, eHealth und Medizin 4.0 beschreiben neue Formen der Gesundheitsversorgung, die nicht nur die Interaktion mit Patienten, sondern auch die Interaktion innerhalb der Gesundheitsberufe ändern.

Die Entwicklungen gehen einher mit einer veränderten Arbeitsteilung im Gesundheitswesen. Komplexe Versorgungsprozesse und aufwändige Maßnahmen in den Bereichen der Gesundheitsförderung, Prävention, Kuration, Rehabilitation, Palliation und Pflege erfordern in verstärktem Maße die multiprofessionelle und Sektorengrenzen überschreitende Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachkräfte. Neben der fachlichen Expertise müssen daher die Bereitschaft und Kompetenz zur Kooperation und zu funktionen- und sektorenübergreifendem Denken und Handeln ausgebildet werden.

Weitere Herausforderungen für die Gesundheitsversorgung erwachsen aus gesellschaftlichen Entwicklungen wie dem demografischen Wandel, der zunehmenden Diversifizierung der gesellschaftlichen Strukturen und Lebensformen und der steigenden Anzahl an Menschen mit einem Migrationshintergrund. Mit der Diversifizierung von Versorgungsbedarfen sind insbesondere auch höhere Anforderungen an soziale und interkulturelle Kompetenzen der in den Gesundheitsberufen Tätigen verbunden.

Mit einem Beschäftigtenanteil von 12 Prozent und einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 11 Prozent ist der Gesundheitssektor von hoher volkswirtschaftlicher Bedeutung. Vor dem Hintergrund vorhandener Probleme wie Kostenentwicklung, Fachkräftemangel und Unterversorgung ländlicher Regionen ist eine Optimierung der Qualifizierungs- und Beschäftigungsstruktur, die den wissenschaftlich-technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung trägt und für künftige Innovationen gerüstet ist, unerlässlich. Insbesondere muss dem Fachkräftemangel durch attraktive berufliche Perspektiven und sich dynamisch entwickelnde Berufsbilder begegnet werden.

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hat die Diskussion über die Zusammenarbeit und Verteilung der Aufgaben im Gesundheitswesen mit einem Gutachten aus dem Jahre 2007[2] angestoßen, und die Robert Bosch Stiftung hat sie mit einem Memorandum im Jahre 2011[3] vertieft. Der Wissenschaftsrat hat diese Entwicklungen aus der Perspektive der Wissenschaft aufgegriffen und in seinen „Empfehlungen zu hochschulischen Qualifikationen für das Gesundheitswesen“ aus dem Jahr 2012 festgehalten, dass der „sektorenübergreifenden und interdisziplinären Versorgung an den Schnittstellen der unterschiedlichen Gesundheitsberufe entscheidende Bedeutung“[4] zukommt. Dies wirke sich auf zukünftige Qualifikationserfordernisse und Qualifizierungswege aus. Angesichts dieser Herausforderungen müssten die mit besonders komplexen Aufgaben betrauten Angehörigen der Gesundheitsfachberufe in die Lage versetzt werden, ihr eigenes Handeln in der Gesundheitsversorgung auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse zu reflektieren. Hierzu reiche die Ausbildung an berufsbildenden Schulen nicht aus, für komplexe Aufgaben in Pflege, Therapie und Geburtshilfe müsse eine primärqualifizierende Ausbildung an Hochschulen erfolgen.[5]

Die Hochschulrektorenkonferenz schließt sich der Empfehlung des Wissenschaftsrats an, dass ein für das Gesundheitssystem relevanter Teil der in den Gesundheitsfachberufen Tätigen eine akademische Primärqualifizierung an den Hochschulen erhält. Eine Akademisierung in den Gesundheitsfachberufen ist die notwendige Folge eines qualitativ veränderten, anspruchsvolleren Versorgungsbedarfs und einer komplexer werdenden Versorgungsstruktur. Eine Festlegung auf bestimmte Prozentanteile, wie der Wissenschaftsrat sie vorgeschlagen hat, hält die HRK allerdings nicht für sinnvoll.[6] Die inhaltliche Ausrichtung und das Ausmaß an Akademisierung sollte sich aus Sicht der HRK aus den besonderen Anforderungen der jeweiligen Berufe und den Ausbildungszielen ergeben, die mit entsprechenden Studiengängen verfolgt werden, sowie aus dem Mehrwert für die Gesellschaft, der sich aus einem optimierten Versorgungshandeln und der Weiterentwicklung des Gesundheitsversorgungssystems ergibt.[7] Die HRK schließt sich zudem den Empfehlungen des Wissenschaftsrats von 2012 an, eine primärqualifizierende hochschulische Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen durch entsprechende Angebote für eine akademische Weiterbildung zu ergänzen.

Politisch ist die Akademisierung der Gesundheitsfachberufe derzeit in unterschiedlichem Ausmaß umgesetzt. Während in dem neuen Pflegeberufereformgesetz[8], das 2020 in Kraft tritt, die primärqualifizierende Ausbildung in der Pflege an Hochschulen erstmalig grundlegend gesetzlich geregelt ist, wurden in den Berufegesetzen der weiteren therapeutischen Gesundheitsfachberufe (Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie) sowie der Hebammen zunächst nur die Modellklauseln für weitere vier Jahre verlängert – ohne dass hier Regelungen für primärqualifizierende Studiengänge aufgenommen wurden. Für die Hebammen wird mit einem vorgezogenen novellierten Berufsgesetz aufgrund unionsrechtlicher Regelungen mit einer zweiten umfassenden Richtlinie bis zum Jahr 2020 gerechnet.

Mit der vorliegenden Entschließung skizziert die HRK diejenigen Eckpunkte, die aus ihrer Sicht für die inhaltliche Ausgestaltung und formale Struktur der primärqualifizierenden Studiengänge in den Therapie-, Pflege- und Hebammenwissenschaften unerlässlich sind.


II. Ausgestaltung primärqualifizierender Studiengänge in den Therapie-, Pflege- und Hebammenwissenschaften


Eine hochschulische Ausbildung im Bereich der Gesundheitsfachberufe wie sie in nahezu allen europäischen Ländern bereits üblich ist, befähigt die Absolventinnen und Absolventen in den betreffenden Studiengängen, die eigene Tätigkeit auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse kritisch zu reflektieren, sie weiterzuentwickeln sowie sich entwickelnde neue Aufgaben und Anforderungen wahrzunehmen und eigenverantwortlich umzusetzen. Dies kann für einige Berufe damit verbunden sein, dass mit der höheren Qualifizierung auch Aufgaben wahrgenommen werden, die bislang von keiner Berufsgruppe aufgegriffen wurden, oder die zuvor nicht wahrgenommen werden durften, da sie Ärzten und Ärztinnen vorbehalten waren.

1. Inhalt und Struktur primärqualifizierender Studiengänge – Probleme und Lösungsansätze

Die Entwicklung und Einrichtung primärqualifizierender Studiengänge geht mit der Frage einher, welchen Inhalt und welche Struktur diese Studiengänge aufweisen sollen. Bislang wurden an den Hochschulen neben weiterbildenden Studiengängen überwiegend ausbildungsbegleitende oder ausbildungsintegrierte Studiengänge in Kooperation mit Berufsfachschulen eingerichtet, bei denen in unterschiedlichen Studienformaten eine hochschulische, wissenschaftsbezogene Ausbildung, eine berufsfachschulische und eine berufspraktische Ausbildung entweder begleitend oder integriert an unterschiedlichen Lernorten erfolgen. Nur an vergleichsweise wenigen staatlichen Hochschulen existieren primärqualifizierende Studienangebote, die ohne die Zusammenarbeit mit Berufsfachschulen auskommen.

Schwierigkeiten ergeben sich aus dem ausbildungsintegrierenden Ansatz, wenn Angebote der Berufsfachschulen einen Teil der Ausbildung ausmachen. Diese Teile entsprechen nicht hochschulischen Anforderungen an die wissenschaftliche Qualifikation des Personals, die Wissenschaftsfundierung oder die Strukturierung der Angebote.

Grundsätzlich ist bei der Einrichtung und Weiterentwicklung der primärqualifizierenden Studiengänge den Anforderungen Rechnung zu tragen, die aus Berufsgesetzen, ihren untergesetzlichen Ausgestaltungen, den EU Richtlinien, den Hochschulgesetzen, den Strukturvorgaben für Bachelor- und Masterstudiengänge sowie den Standards der nationalen und internationalen Wissenschafts- und Berufsverbände sowie Bildungsorganisationen erwachsen. Dabei ist jedoch die Gewichtung zu beachten. Die Verantwortung für die Konzeption, Durchführung, Evaluation und Akkreditierung der Studiengänge muss bei der den Abschlussgrad verleihenden Hochschule liegen. Die anhand des europäischen und deutschen Qualifikationsrahmens entwickelten Ausbildungsprofile und Kriterien müssen in den berufs- und berufsbildungsrechtlichen Grundlagen verankert werden. Praxisqualifikation muss wissenschaftsfundiert und in interinstitutioneller Zusammenarbeit und Verantwortung der Bildungseinrichtungen erfolgen. Auch muss internationale Mobilität der Studierenden ohne Nachteile für eine spätere berufliche Anerkennung ermöglicht werden.

Ein besonderes Problem bei allen primärqualifizierenden Studiengängen liegt darin, dass es zu Konflikten zwischen dem akademischen Selbstverständnis der Hochschulen und enggeführten beruferechtlichen Vorgaben kommt. Berufsgesetze definieren die ausbildungsrechtlichen Voraussetzungen, die für die Erlaubnis zur Führung der jeweiligen Berufsbezeichnung erfüllt werden müssen.

Die HRK fordert daher den Gesetzgeber auf, die überfällige Änderung einschlägiger beruferechtlicher Bestimmungen, die zum Teil noch aus den 1970er Jahren stammen und auf eine berufsfachschulische Ausbildung zugeschnitten sind, einzuleiten. Insbesondere ist eine Anpassung mit Blick auf die Anforderungen und Standards einer qualitativ hochwertigen hochschulischen Ausbildung in den entsprechenden Bereichen zu gewährleisten. Eine curriculare Integration der praktischen Ausbildung ist grundlegend. Die Reform des Pflegeberufegesetzes ist hier nur ein erster Schritt.

Als Modell einer berufsrechtlichen Regelung, die einen Ausgleich zwischen wissenschaftlicher und praktischer Ausbildung schafft, kann die Ärztliche Approbationsordnung dienen. Hier werden in § 1 ÄApprO als zentrale Ziele der ärztlichen Ausbildung die wissenschaftliche und praktische Ausbildung, die Befähigung zur selbstständigen und eigenverantwortlichen Berufsausübung, die Befähigung zur Weiterbildung und zu ständiger Fortbildung sowie eine auf wissenschaftlicher Grundlage durchgeführte praxis- und patientenbezogene Ausbildung definiert.[9]

2. Qualitätsstandards

Die Einrichtung primärqualifizierender Studiengänge setzt die Entwicklung und Etablierung entsprechender wissenschaftlicher Disziplinen voraus, die sich durch genuine, nachhaltige Forschung, Theorien- und Methodenentwicklung auszeichnen, und dabei relevante Grundlagen- und Nachbardisziplinen einbinden. Nur auf dieser Grundlage kann der notwendige Erwerb wissenschaftlicher Kenntnisse und Kompetenzen im Studium garantiert werden und eine forschungsbasierte Lehre erfolgen.

Grundlegend für den Aufbau und die Struktur primärqualifizierender Studiengänge ist die ausschließliche Verantwortung der Hochschule für den gesamten Studiengang einschließlich der berufspraktischen Anteile. Die Hochschule trägt die Verantwortung für die Qualitätssicherung und Einhaltung der akademischen Standards, insbesondere für die inhaltliche, didaktische und lernzielorientierte Entwicklung und Durchführung des Lehrangebots sowie für seine strukturelle und zeitliche Festlegung auf der Grundlage der maßgeblichen Studien- und Prüfungsordnungen. Dabei sind folgende Eckpunkte zu beachten:

•    Erforderlich ist eine angemessene personelle, sachliche und räumliche Ausstattung. Insbesondere muss wissenschaftlich qualifiziertes Lehrpersonal in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen.
•    Die berufspraktische Ausbildung muss auf den jeweiligen Ebenen mindestens denjenigen Anforderungen entsprechen, die in Zielsetzung und Kompetenzen durch das Studium erreicht werden sollen. Sie muss von der Hochschule gewährleistet und verantwortet werden. Hierfür sind von Seiten der Hochschulen hauptamtliche Hochschullehrende und am Ort der praktischen Ausbildung fachlich und pädagogisch qualifizierte Kräfte einzusetzen.
•    Zur umfassenden Qualitätssicherung der Studiengänge, und hier insbesondere auch der praxisbezogenen Ausbildung, sind Qualitätskriterien und Modelle zur Umsetzung der Anforderungen zu entwickeln.
•    Das Ausmaß der Anrechnung außerhochschulisch erworbener Kompetenzen ist zu überprüfen. Diese Anrechnung erfolgt gegenwärtig oft zu pauschal[10] und curricular zu wenig transparent. Hierbei sind künftig Aspekte der Qualität und ihrer Sicherung zu berücksichtigen.[11]  Empfehlungen des Wissenschaftsrats sollten Berücksichtigung finden.[12]
•    Der im Pflegeberufereformgesetz eingeschlagene Weg, die berufszulassende staatliche Prüfung unter institutioneller Kooperation in die Hochschulabschlussprüfung zu integrieren, erscheint als sinnvolle Lösung. Hierzu müssen Vereinbarungen zwischen Hochschulen und Aufsicht führenden Stellen getroffen werden.

3. Verortung der primärqualifizierenden Studiengänge

Je nach Profil können primärqualifizierende Studiengänge sowohl an Universitäten[13] als auch an Fachhochschulen/Hochschulen für angewandte Wissenschaften eingerichtet werden. Denkbar sind auch Kooperationen zwischen Universitäten und Fachhochschulen/Hochschulen für angewandte Wissenschaften. Grundsätzlich ist eine von unterschiedlichen Ausbildungszielen und inhaltlichen Profilen geleitete Vielfalt in den Studiengängen und in der strukturellen Vernetzung der Studiengänge an dem jeweiligen Standort erstrebenswert.

Aus Sicht der HRK sind Kooperationen speziell mit der Universitätsmedizin und/oder den akademischen Lehrkrankenhäusern im Hinblick auf eine gegenseitige Anregung und Entwicklung in Lehre und Forschung bei klinisch ausgerichteten Studiengängen notwendig.

Im Hinblick auf eine optimale Patientenversorgung sollte die Befähigung zu interprofessionellem Handeln und überberuflicher Kommunikation einen hohen Stellenwert besitzen, wie der Wissenschaftsrat 2012 gefordert hat. Die skizzierten Entwicklungen im Gesundheitswesen führen dazu, dass die Angehörigen der Gesundheitsfachberufe künftig komplexere Aufgaben – in gemeinsamer, aber auch schwerpunktmäßig eigener Verantwortung und Selbstständigkeit – erfüllen werden, aus denen sich neue Anforderungen an das interprofessionelle Zusammenwirken der Gesundheitsberufe und auch neue institutionelle Formen insgesamt ergeben.[14] Bei der Einrichtung und der Verortung der neuen Studiengänge sollte die Möglichkeit zur interdisziplinären Zusammenarbeit daher ein wesentliches Kriterium sein.

Insgesamt ist es im Hinblick auf die Etablierung wissenschaftlicher Disziplinen und ihrer notwendigen interdisziplinären Vernetzung erforderlich, dass diese Studiengänge mehr als bisher geschehen an staatlichen Hochschulen und kirchlichen Hochschulen im öffentlichen Auftrag eingerichtet werden, die über ein entsprechend breites wissenschaftliches Umfeld verfügen. 


4. Forschung und wissenschaftlicher Nachwuchs

Für die Etablierung der zugrundeliegenden wissenschaftlichen Disziplinen sind der Aufbau und der Ausbau eigenständiger Forschung und nachhaltiger Forschungsstrukturen, die mit einer entsprechenden Theorien- und Methodenentwicklung einhergehen, essentiell. Der vom Wissenschaftsrat 2012 konstatierte Entwicklungsbedarf in der Forschung im Bereich der Pflege-, Therapie- und Hebammenwissenschaften besteht unverändert fort. Notwendig ist eine systematische und kontinuierliche Forschungsförderung sowohl in der zugrundeliegenden Grundlagenforschung als auch in der angewandten Forschung im Rahmen bestehender und neu einzurichtender Forschungsprogramme.

Die Entwicklung neuer wissenschaftlicher Disziplinen umfasst auch die Schaffung wissenschaftlicher Karrierewege und die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses durch Promotionsprogramme sowie eigenständige Forschung in den verschiedenen Versorgungsfeldern. Zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sollten auch verstärkt Kooperationen zwischen Fachhochschulen/Hochschulen für angewandte Wissenschaften und Universitäten sowie mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen zur Anwendung kommen.


5. Praktische Konsequenzen

Mit der Einrichtung primärqualifizierender Studiengänge im Bereich der Gesundheitsfachberufe halten vermehrt Theorien- und Methodenentwicklung sowie Forschung Eingang in die entsprechenden Disziplinen. Die Absolventinnen und Absolventen sind komplexeren und anspruchsvolleren beruflichen Anforderungen gewachsen und zu selbstständiger Leistungserbringung in der Lage. Ihre Interdisziplinarität, Interprofessionalität und Möglichkeiten der Kooperation tragen zur Sicherung und evidenzbasierten Verbesserung der Gesundheitsversorgung und ihrer Qualität bei. Mit einer hochschulischen Ausbildung und dem erreichten neuen Niveau der Ausbildungsqualität sind jedoch Änderungen in den Kostenstrukturen verbunden.

Durch die Einrichtung von primärqualifizierenden Studiengängen kommt es zu einer partiellen Verlagerung der Kosten der Ausbildung aus dem Gesundheitssektor auf die Länder als Träger der Hochschulen. Vor dem Hintergrund der genannten Erfordernisse bezüglich der hochschulischen Ausbildung und der zu erwartenden Vorteile für die Gesundheitsversorgung ist es erforderlich, dass Länder dieser Finanzverantwortung gerecht werden und entsprechende Studiengänge auskömmlich finanzieren. Der Wissenschaftsrat hat bereits 2012 darauf verwiesen, dass für die hochschulische Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen. Ebenso muss es selbstverständlich sein, dass die Studierenden der entsprechenden Studiengänge Anspruch auf Ausbildungsförderung erhalten.

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[1] Der Begriff Gesundheitsberufe wird im vorliegenden Text operational als Oberbegriff für alle im Gesundheitsversorgungssystem tätigen Berufsgruppen einschließlich der Ärzte verwandt. Es handelt sich um Heilberufe, Berufe nach dem Berufsbildungsgesetz, Handwerksberufe im Gesundheitswesen und sonstige Berufe. Davon zu unterscheiden sind die Gesundheitsfachberufe. Sie stellen einen Teil der Gesundheitsberufe dar und umfassen Tätigkeiten in den Bereichen Pflege, Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie und Hebammenwesen. Sie verfügen über eine staatlich geregelte Ausbildung (Nähere Erläuterungen s. Glossar).
[2] Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen: „Kooperation und Verantwortung“ 2007.
[3] Robert Bosch Stiftung: „Kooperation der Gesundheitsberufe“ 2011
 [4] Wissenschaftsrat: Empfehlungen zu hochschulischen Qualifikationen für das Gesundheitswesen (2012), S. 8.
[5] Wissenschaftsrat, a.a.O.
[6] Der Wissenschaftsrat hat in seinem Papier (Fußnote 1) eine Größenordnung von 10 bis 20 Prozent eines Ausbildungsjahrgangs genannt.
[7 Robert Bosch Stiftung: Gesundheitsberufe neu denken – Gesundheitsberufe neu regeln, Denkschrift 2013
[8] Gesetz zur Reform der Pflegeberufe (Pflegeberufereformgesetz – PflBRefG) vom 17. Juli 2017. Bundesgesetzblatt I Nr. 49 vom 24.7.2017, S. 2581-2614.(Näheres s. Glossar)
[9] Siehe § 1 ÄApprO.
[10] Nach Vorgaben der KMK ist die Anrechnung von bis zu 50 Prozent außerhochschulisch erbrachter Leistungen möglich. „Anrechnung von außerhalb des Hochschulwesens erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten auf das Hochschulstudium (II)“,18.9.2008.
[11] Sinnvoll wäre zudem, die berufsfachschulische Ausbildung strukturell der hochschulischen Ausbildung anzugleichen, indem Modularisierung, Selbstlernphasen, kompetenzorientierte Prüfungen zugrunde gelegt werden und ein analoges Qualitätssicherungssystem die Ausbildungen transparent macht.
[12] Wissenschaftsrat: Bestandsaufnahme und Empfehlungen zu studiengangsbezogenen Kooperationen: Franchise-, Validierungs- und Anrechnungsmodelle. Drs. 5952-17, Berlin (Eigenverlag), ibs. S. 65-58.
[13] Einschließlich der Pädagogischen Hochschulen in Baden-Württemberg
[14] Hochschulrektorenkonferenz, Projekt nexus: Interprofessionelles Lehren und Lernen in hochschulisch qualifizierten Gesundheitsfachberufen und der Medizin, 2017