Europäische Studienreform


Beschluss der Hochschulrektorenkonferenz vom 10.11.2015 sowie der Kultusministerkonferenz vom 08.07.2016

Ausgangslage
In den vergangenen 16 Jahren hat die deutsche Hochschullandschaft einen beispiellosen Reformprozess durchlaufen, der in der Unterzeichnung der so genannten Bologna-Erklärung 1999 seinen Anfang genommen hat. Vergleichbare Studienstrukturen durch ein gestuftes Graduierungssystem mit Bachelor- und Masterabschlüssen, Qualitätssicherung auf der Grundlage gemeinsamer Standards und Leitlinien sowie gemeinsame Transparenzinstrumente (Diploma Supplement, ECTS, Modularisierung, Hochschulqualifikationsrahmen) sind die Kernelemente des Bologna-Prozesses, auf die sich mittlerweile 48 Staaten als Basis eines einheitlichen europäischen Hochschulraumes verständigt haben.

Dank der beeindruckenden Reformanstrengungen der Hochschulen ist der Bologna-Prozess inzwischen in Deutschland nahezu flächendeckend umgesetzt. Dabei wurden auch bereits Kritikpunkte und Schwächen in der Umsetzung aufgegriffen. Die Länder haben 2009/2010 mit einer Überarbeitung der ländergemeinsamen Strukturvorgaben für Bachelor- und Masterstudiengänge reagiert, die vor allem auf eine Verbesserung der Studierbarkeit der Studiengänge und der Qualität der Lehre sowie der Verbesserung der Mobilität abzielte und die Änderungen der Landeshochschulgesetze und eine Vielzahl weiterführender Maßnahmen auf Länder- und Hochschulebene zur Folge hatte.

Die Hochschulrektorenkonferenz hat im November 2013 Handlungsempfehlungen zur weiteren Umsetzung der Europäischen Studienreform in Deutschland verabschiedet, die auf einer umfassenden Leistungsbilanz zur Umsetzung der Reformziele basieren und ein klares Bekenntnis zu dem mit dem Bologna-Prozess eingeschlagenen Weg enthalten.

Angesichts des erreichten Sachstandes stehen nunmehr Konsolidierung und Optimierung des Umsetzungsprozesses im Mittelpunkt.

1.    Weitere Umsetzungsschritte, insbesondere in bislang nicht umgestellten Studiengängen

Im Wintersemester 2014/2015 waren 88,2 % aller Studiengänge Bachelor- und Masterstudiengänge, im Bereich der Fachhochschulen lag der Anteil sogar bei 98,7 %. An Musikhochschulen betrug er 83,9 %, hingegen an Kunsthochschulen 61,6 %. Ein geringerer Umsetzungsgrad ist vor allem im Bereich der reglementierten Studiengänge (Lehrämter, Medizin, Pharmazie, Rechts­wissenschaften) zu verzeichnen. Auch wenn in nächster Zeit eine  weitere Umstellung auf Bachelor-/Masterstrukturen in diesen Studiengängen nicht in Betracht kommt, stimmen Kultusministerkonferenz und Hochschulrektorenkonferenz darin überein, dass eine wachsende Einbeziehung  von Elementen der gestuften Studienstruktur in diese Studiengänge sowie ein ergänzendes Angebot gestufter Studiengänge in diesen Bereichen nicht nur im Hinblick auf die Vernetzung dieser Fächer mit den bereits umgestellten Studiengängen, sondern auch aus internationaler Perspektive mittelfristig wünschenswert ist. Hierzu wird es ggf. erforderlich sein, die ländergemeinsamen und landesspezifischen Vorgaben unter Berücksichtigung der Quedlinburger-Beschlüsse und der European Standards and Guidelines (ESG) 2015 weiterzuentwickeln, um die Flexibilität unter Wahrung gegenseitiger Anerkennung zu erhöhen. Eine Sonderrolle nehmen Studiengänge der Freien Kunst ein, die sich durch gesonderte Anforderungen und eine besondere Studienorganisation auszeichnen und denen deshalb auch weiterhin eigene Wege offen stehen sollten. Darüber hinaus stellt sich die Situation in den einzelnen Fächern auch aufgrund der jeweiligen bundes- und landesrechtlichen Rahmenbedingungen unterschiedlich dar (s. dazu ausführlich im Anhang).

KMK und HRK begrüßen es, wenn Universitäten auch in den Bereichen Jura und Medizin neben dem Staatsexamen ein ergänzendes Angebot gestufter Studiengänge anbieten auch um internationale Anschlussfähigkeit zu gewährleisten. Dies erlaubt es ihnen, Erfahrungen zu sammeln und kann den Weg dafür ebnen, perspektivisch auch in weiteren reglementierten Studiengängen jenseits des Lehramts die kennzeichnenden Elemente der gestuften Studienstruktur, wie Modularisierung, Kreditpunkte, studienbegleitende Prüfungen,  einzuführen. Neue Studiengänge sollten sich hieran orientieren. Dies sollte unter Wahrung der spezifischen Profile und unter Berücksichtigung der verschiedenen Modelle geschehen.


2.    Studentische Mobilität

Seit 1998 ist die Zahl deutscher Studierender, die an ausländischen Hochschulen eingeschrieben sind, kontinuierlich gestiegen. Im Jahr 2013 hat etwa ein Drittel aller deutschen Studierenden im Verlauf des Studiums mindestens einen studienbezogenen Auslandsaufenthalt (Auslandssemester, Praktika, Sprachkurse, Studienreisen, Projektarbeiten und Sommerschulen) absolviert. Unter den Bachelorstudierenden in höheren Semestern liegt dieser Wert bei 29 %, im Masterstudium sogar bei 41 %. Neben finanziellen Aspekten sind vor allem Fragen der Anerkennung von Studien- und Prüfungsleistungen und dadurch bedingte mögliche Zeitverluste ausschlaggebend für die Entscheidung über einen Auslandsaufenthalt. Dank gezielter Anstrengungen vieler Hochschulen hat sich die Anerkennungsquote einer Umfrage des DAAD aus dem Jahr 2013 zufolge sehr positiv entwickelt und liegt inzwischen bei 70 %[1]. Trotzdem sind hier weitere Verbesserungen vor allem auch auf der Bachelorebene anzustreben:

-    Vorab-Anerkennungen, wie sie im Rahmen von ERASMUS+ vorgesehen sind, und institutionalisierte Kooperationen zwischen in- und ausländischen Hochschulen sollten als Garanten für reibungslose und umfassende Anerkennung weiter gefördert und ausgebaut werden.

-    Die Hochschulen müssen verstärkt für eine konsequente Anwendung der Grund-sätze der Lissabon-Konvention Sorge tragen, die keineswegs auf die Signatarstaaten beschränkt sind, sondern der Anerkennung aller in- und ausländischen Leistungen zugrunde zu legen sind. Maßstab der Anerkennung sind die erworbenen Kompetenzen und kein quantitativer Vergleich der ECTS-Punkte. Dies setzt zunächst klare, kompetenzorientierte Beschreibungen von Modulen und Lernergebnissen voraus. Die entsprechenden Anforderungen an die Modulbeschreibungen und die konkrete Anerkennungspraxis der Hochschulen sollten daher im Rahmen der internen und externen Qualitätssicherung verstärkt Beachtung finden.

-    Im Sinne des ECTS-Users’Guide vom Mai 2015 tragen klar formulierte und frei zugängliche Modulbeschreibungen, die zunehmende Entwicklung strukturierter Verfahrenspraktiken sowie frühzeitige Informationen für die Studierenden über die Anerkennungsverfahren zur Transparenz und damit zur Erleichterung der Anerkennungspraxis an den Hochschulen bei.
Die Umsetzung der Grundsätze der Lissabon-Konvention erfordert aber auch seitens der Hochschulen ein durchgängig kompetenzorientiertes Verständnis von Studiengängen, das den Entwicklungen im Zuge des Bologna-Prozesses Rechnung trägt.

Die steigende Mobilität der Studierenden und Absolventen stellt die Hochschulen im Hinblick auf die erforderliche individuelle Einzelfallbewertung vor hohe Anforderungen. Angesichts der fachlichen Diversität der Bachelorstudiengänge und unterschiedlicher Leistungsniveaus gilt dies - zumindest - prospektiv in besonderer Weise für den Zugang zu Masterstudiengängen, der sich zunehmend als die vorrangige Schnittstelle für einen Hochschulwechsel sowohl innerhalb Deutschlands als auch aus dem Ausland herauskristallisiert. Auf der Ebene der Fakultäten- und Fachbereichstage sollten daher insbesondere hinsichtlich der institutionellen Ebene Instrumente abgestimmt werden, die die Informationen der Datenbank ANABIN[2] ergänzen und die Bewertungsverfahren erleichtern und beschleunigen. Die Projekte „Nexus: Übergänge gestalten, Studienerfolg verbessern“ und das FAIR-Projekt im Rahmen von ERASMUS+ unterstützen die Hochschulen durch die Entwicklung von z. B. organisatorisch-technischen und administrativen Maßnahmen zur Verbesserung der Anerkennung von Studien- und Prüfungsleistungen und zur Erhöhung von Transparenz und Rechtssicherheit für die Studierenden.

Zur Steigerung der Mobilität müssen die Hochschulen die Anerkennungsverfahren nach den Grundsätzen der Lissabon-Konvention und auf Grundlage eines breiten Kompetenzverständnisses in der Praxis transparenter gestalten und standardisieren, sofern sie dies nicht bereits getan haben.

3.    Kapazitätsrecht

Mit der Umsetzung des Bologna-Prozesses ist nicht nur eine deutliche Steigerung des Stellenwerts von Lehre und Studium verbunden. Vielmehr ist durch die Modularisierung innerhalb einzelner Studienfächer eine breite Diversifizierung einerseits der fachlichen Schwerpunktsetzungen durch Hochschulen und andererseits der Kombination von Modulen durch die Studierenden möglich geworden. Dies erfordert auf Seiten der Hochschulen Flexibilisierungen bei der Kapazitätsermittlung und -festsetzung. Bereits 2005 hat sich daher die Kultusministerkonferenz für eine Modernisierung des Kapazitätsrechts ausgesprochen, um für die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen mehr Gestaltungsfreiheit einzuräumen. Sie hat hierfür ein  die bisher starren Curricularwerte für Studiengänge flexibilisierendes – Bandbreitenmodell vorgeschlagen, das den Hochschulen eigene Spielräume beim Festlegen des Betreuungsaufwands eröffnet, sowie ein budgetbasiertes Vereinbarungsmodell vorgestellt. Kultusministerkonferenz und Hochschulrektorenkonferenz regen an, die Reform des Kapazitätsrechts in diesem Sinn im Dialog zwischen Ländern und Hochschulen unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung weiter auszuloten und voranzubringen.

HRK und KMK sprechen sich dafür aus, das bestehende Kapazitätsrecht weiterzuentwickeln, um den Hochschulen mehr Flexibilität bei der Gestaltung von Studienverläufen zu ermöglichen und den Mehraufwand für qualifizierte Lehre angesichts einer zunehmend heterogenen Studierendenschaft zu berücksichtigen.

4.    Ländergemeinsame Strukturvorgaben und Qualitätssicherung

Im gestuften Graduierungssystem nehmen die Länder zurzeit ihre gesamtstaatliche Verantwortung für die notwendige strukturelle Homogenität des Hochschulsystems als Grundlage für Mobilität während des Studiums und Anerkennung der Abschlüsse durch ländergemeinsame Strukturvorgaben wahr. Die Vorgaben beschränken sich darauf, den strukturellen Rahmen für Bachelor- und Masterstudiengänge auf der Grundlage der zwischen den Bologna-Staaten vereinbarten Ziele und Instrumente zu stecken.

Die ländergemeinsamen Strukturvorgaben sind Grundlage der Akkreditierung, die parallel zur Studienreform als Instrument der externen Qualitätssicherung etabliert wurde und die einen maßgeblichen Beitrag zur Ausbildung einer neuen Qualitätskultur und Selbstverantwortung an den Hochschulen insbesondere im Hinblick auf die Lehre geleistet hat. Die ländergemeinsamen Strukturvorgaben in Verbindung mit der staatsfern organisierten Akkreditierung bieten den Hochschulen die Grundlage, ihrer im gleichen Maße mit der Autonomie gewachsenen Verantwortung für Qualität, Transparenz und Vergleichbarkeit in Studium und Lehre gegenüber den Studierenden sowie ihrer Rechenschaftspflicht gegenüber Staat und Öffentlichkeit nachzukommen. Beide Instrumente werden dabei im Hinblick auf die dynamische Entwicklung des Hochschulbereichs und die sich ausdifferenzierende Qualitätskultur auch in Zukunft im Zusammenwirken von Staat und Hochschulen weiterzuentwickeln sein. Hinsichtlich der rechtlichen Grundlagen des Akkreditierungssystems ist dabei die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.02.2016 einzubeziehen.

Mit der Einführung der Systemakkreditierung, die zu der – in bestimmten Fällen nach wie vor sinnvollen – Programmakkreditierung hinzugekommen ist, wurde bereits auf das veränderte Qualitätsbewusstsein der Hochschulen reagiert. Hochschulrektorenkonferenz und Länder begrüßen als weiteren Schritt, dass mit dem im Rahmen der Experimentierklausel ausgeschriebenen Wettbewerb ein Weg eröffnet wurde, um im unmittelbaren Dialog mit den Hochschulen alternative Konzepte externer Qualitätssicherung, zu denen auch Auditverfahren gehören können, zu erproben und damit Entwicklungsperspektiven aufzuzeigen.

KMK und HRK begrüßen es ausdrücklich, dass die Systemakkreditierung von immer mehr Hochschulen angewandt wird. Dabei ist allerdings zu beachten, dass auch die Programmakkreditierung weiterhin als Möglichkeit erhalten bleiben muss. Diese sollte ihrer Aufgabe als Instrument der Reakkreditierung besser als bisher gerecht werden und wesentlich der gewachsenen Hochschulautonomie Rechnung tragen.

Die Systemakkreditierung sollte auf der Erfahrungsgrundlage der zweiten großen Hochschulkohorte, die dieses Verfahren mittlerweile eingeführt hat, weiterentwickelt werden. Hierbei muss auch das Thema „Reakkreditierung der Systemakkreditierung“ behandelt werden. Es empfiehlt sich, dabei internationale Erfahrungen zu berücksichtigen. Schließlich gilt es, die im Rahmen der Experimentierklausel gemachten Erfahrungen kontinuierlich auszuwerten und in die Weiterentwicklung der klassischen Verfahren einzubringen. Insbesondere für die Reakkreditierung von bereits systemakkreditierten Hochschulen bietet sich aus Sicht der HRK ein auditbasiertes Verfahren an.

Die ländergemeinsamen Strukturvorgaben, die schon 2010 maßgeblich überarbeitet wurden, unterliegen auch weiterhin – ebenso wie die länderspezifischen Ausprägungen – der Überprüfung auf Anpassungsbedarf entsprechend dem Fortschreiten des Reformprozesses im Europäischen Hochschulraum. So sollten die ländergemeinsamen Strukturvorgaben und die länderspezifischen Strukturvorgaben mit der im Mai 2015 bei der europäischen Ministerkonferenz in Eriwan verabschiedeten Neufassung der „European Standards and Guidelines for Quality Assurance“ sowie dem „European Approach for Quality Assurance in Joint Programmes“ kompatibel sein.

Bereits heute eröffnen die ländergemeinsamen Strukturvorgaben vielfältige Gestaltungsspielräume, die den unterschiedlichen Fächerkulturen Rechnung tragen. Kultusministerkonferenz und Hochschulrektorenkonferenz fordern die Hochschulen auf, diese Gestaltungsspielräume auszuschöpfen. Hervorzuheben sind insbesondere:

-    Regelstudienzeiten und ECTS-Obergrenze

Bei den Vorgaben zu den Regelstudienzeiten und zur Obergrenze von 300 ECTS-Punkten für das Erreichen des Masterniveaus handelt es sich um konzeptionelle Vorgaben für die Studiengangs- und Ressourcenplanung der Hochschulen. Sie beziehen sich nicht auf das individuelle Studierverhalten. Studienorganisatorische Maßnahmen, die individuelle Lernbiografien ermöglichen (z. B. Teilzeit-, Fern-, oder berufsbegleitendes Studium, „Studieren mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten“ usw.) sind ebenso mit den Strukturvorgaben vereinbar wie der Erwerb des Masterabschlusses durch einzelne Studierende mit weniger als 300 ECTS-Punkten (z. B. im Rahmen von 6 + 3) ohne obligatorische Auflage zum Nachholen fehlender Leistungspunkte, sofern die vorgesehenen Lernergebnisse erreicht wurden, die nicht (vorrangig) an der Anzahl der ECTS-Punkte festzumachen sind. Individuelle Studienverläufe in der Kombination 8+4 (360 ECTS-Punkte) sind ebenfalls zulässig. Auch die Vorgaben zur Regelstudienzeit, die im Unterschied zu anderen Bologna-Staaten für die Bachelor- und Masterebene nicht starr festgelegt sind, eröffnen vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten, hochschul- und fachspezifische Ausprägungen abzubilden. Allerdings bildet die geltende Studienförderung (BAFöG) die Gestaltungsmöglichkeiten nicht vollständig ab. Das Diploma Supplement sollte im Sinne eines Portfolios zur Dokumentation des individuellen Studienverlaufs und Kompetenzerwerbs genutzt werden.

-    Profiltypen

Die als Option ausschließlich für die Masterebene vorgesehene Differenzierung zwischen „anwendungsorientiert“ und „forschungsorientiert“ dient der Unterscheidung unterschiedlicher Profiltypen im Interesse der Transparenz zur Orientierung der Studierenden bei der Studienwahl und für den Arbeitsmarkt. Explizit nicht intendiert ist hingegen eine Abgrenzung der Hochschultypen. Kultusministerkonferenz und Hochschulrektorenkonferenz appellieren daher an alle Hochschulen, beim Wechsel des Hochschultyps über den gesamten Studienverlauf großzügig zu verfahren und damit die Durchlässigkeit qualitätsgesichert zu erhöhen. Gleiches gilt für den Zugang zur Promotion, der qualifizierten Masterabsolventen von Universitäten und Fachhochschulen gleichermaßen offensteht.

-    Bearbeitung und Umfang der Bachelor- und Masterarbeiten

Die Strukturvorgaben sehen für die Bearbeitungszeiten von Bachelor- und Masterarbeiten Bandbreiten vor, die eine flexible Gestaltung ermöglichen und damit auch fächerspezifischen Besonderheiten Rechnung tragen. So sind z. B. aufwendige Projektarbeiten in Kooperation mit der Wirtschaft, die bei entsprechender zeitlicher Streckung auch über zwei oder in besonders begründeten Fällen über mehrere Semester angelegt sein können, mit den Strukturvorgaben vereinbar. Auch gemeinsame Abschlussprojekte mehrerer Studierender sind durchführbar, sofern eine klar abgrenzbare, dem einzelnen Studierenden zurechenbare individualisierte Teilleistung als Grundlage der Bewertung feststellbar ist. Die Begrenzung der Bearbeitungszeiten dient damit einerseits der Qualitätssicherung und wirkt andererseits im Interesse der Studierenden der Gefahr einer inhaltlichen und zeitlichen Überfrachtung insbesondere der Masterstudiengänge entgegen.

-    Polyvalenz der Bachelorabschlüsse

Die an den Hochschulen zu beobachtende Tendenz, bereits auf der Bachelorebene hochspezialisierte Studiengänge zu konzipieren, die auf bestimmte konsekutive Masterangebote ausgerichtet sind, steht im Widerspruch zu der mit dem gestuften Graduierungssystem intendierten Flexibilität – auch im Sinne lebenslangen Lernens –, die wesentlich auch auf der Polyvalenz des Bachelors beruht. Neben der unabdingbaren eigenständigen Berufsbefähigung im Sinne einer Beschäftigungsbefähigung in einem weiten beruflichen Umfeld muss dieser immer auch die Option zum Einstieg sowohl in vertiefende Masterstudien in derselben Fachrichtung als auch in affine, aber themendifferente Masterstudiengänge bieten. Kultusministerkonferenz und Hochschulrektorenkonferenz regen daher nachdrücklich die Hochschulen an, die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten des Bachelor-/ Mastersystems auch außerhalb der konsekutiven Studiengangsabfolge zu nutzen.

Die ländergemeinsamen Strukturvorgaben sowie die Akkreditierung haben unter Wahrung der Hochschulautonomie zu Entstehung einer institutionellen Qualitätskultur, besonders in Bezug auf die Lehre, beigetragen. HRK und KMK sind sich einig, dass beide Instrumente weiterentwickelt werden müssen, weisen aber darauf hin, dass sie bereits heute Spielräume bieten, die von den Hochschulen stärker genutzt werden sollten, etwa im Hinblick auf die 300 Credits-Vorgabe, die Profiltypen im Masterstudium, den Umfang von Bachelor und Masterarbeiten sowie die Polyvalenz von Bachelorprogrammen.

5.    Notenvergabe in den ersten Semestern

Noten haben eine wichtige Funktion zur Selbstorientierung der Studierenden und bei der Überprüfung der Studienentscheidung. Module sind deshalb grundsätzlich unter Berücksichtigung landesrechtlicher Regelungen zu benoten. Die Hochschulen können allerdings - insbesondere für die ersten beiden Semester - von einer Einbeziehung in die Berechnung der Endnote absehen oder auch mit „bestanden“ oder „nicht bestanden“ bewerten.

6.    Zugang zum höheren öffentlichen Dienst des Bundes und der Länder mit Bachelorabschluss

Der Bachelorabschluss ist ein vollwertiger erster berufsbefähigender Hochschulabschluss. Es gilt, nun auch im öffentlichen Dienst ein Zeichen zu setzen, indem Aufstiegs- und Karrierechancen für Bachelorabsolventinnen und -absolventen verbessert werden. Die für das Dienstrecht zuständigen Minister des Bundes und der Länder werden um Prüfung gebeten, unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall, beispielsweise für promovierte Bachelorabsolventinnen und –absolventen, der Aufstieg in den höheren Dienst oder vergleichbare Qualifikationsebenen in Bund und Ländern eröffnet werden kann. Die HRK unterstützt diese Initiative der KMK ausdrücklich.

7.    Notentransparenz für die Zulassung zu Masterstudiengängen

Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Notenkulturen an den Hochschulen und in den Fächern halten Kultusministerkonferenz und Hochschulrektorenkonferenz an dem in den ländergemeinsamen Strukturvorgaben verankerten Ziel fest, für die Abschlussnote in Bachelor- und Masterstudiengängen neben der Note auf der Grundlage der deutschen Notenskala ein System relativer Noten einzuführen. Auf diese Weise soll insbesondere im Rahmen der Zulassung zu Masterstudiengängen eine transparente und objektive Bewertung erleichtert und Chancengleichheit verbessert werden. Die Kultusministerkonferenz hat im Mai 2013 auf der Basis eines gemeinsam mit der Hochschulrektorenkonferenz entwickelten Modells die Grundsatzentscheidung getroffen, zusätzlich zur absoluten Note nach der deutschen Notenskala jeweils den Prozentrang dieser absoluten Note im Spektrum aller vergebenen Noten einer bestimmten Absolventenkohorte auszuweisen. Eine in Vorbereitung befindliche Handreichung für die Hochschulen wird Fragen zur Kohortengröße, unterschiedlichen Notenskalen etc. ansprechen.

Kultusministerkonferenz und Hochschulrektorenkonferenz prüfen und konkretisieren die Ausgestaltung mit dem Ziel, die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für die Einführung des Prozentrangs und seine Berücksichtigung als Zugangs- bzw. Zulassungsvoraussetzung zu Masterstudiengängen zu schaffen.

Bei Bachelorzeugnissen soll zusätzlich zur absoluten Note ein Prozentrang aller vergebenen Noten [3] aufgeführt werden. Dies dient der Transparenz und der Fairness gegenüber Studierenden, Hochschulinstitutionen und potentiellen Arbeitgebern.


Anhang

Zur Frage der gestuften Studienstruktur in einzelnen Fachgebieten

-    Lehrämter

Mit dem so genannten Quedlinburger Beschluss vom 02.06.2005 hat die Kultusministerkonferenz die Grundlagen für die gegenseitige Anerkennung von Bachelor- und Masterabschlüssen in Studiengängen geschaffen, mit denen die Bildungsvoraussetzungen für ein Lehramt vermittelt werden. Seither wurde die Lehramtsausbildung in acht Ländern vollständig auf das Bachelor-/Mastersystem umgestellt. In fast allen anderen Ländern erfolgte zumindest eine teilweise Umstellung für bestimmte Lehrämter. Flächendeckend sind hingegen auch in den Staatsexamensstudiengängen die wesentlichen Gestaltungselemente der Bachelor- und Masterstruktur – Modularisierung, ECTS und studienbegleitende Prüfungen – übernommen worden.

-    Rechts­wissenschaften

Grundlage der juristischen Ausbildung sind ausgehend von dem Deutschen Richtergesetz die Juristenausbildungsgesetze der Länder, nach denen der Erwerb der Befähigung zum Richteramt ein universitäres rechtswissenschaftliches Studium mit der ersten Staatsprüfung und einen anschließenden Vorbereitungsdienst mit der zweiten Staatsprüfung voraussetzt. Die Justizministerkonferenz hat mit ihrem Beschluss vom 18./19.05.2011 bekräftigt, dass bei der Ausbildung für die reglementierten juristischen Berufe weiterhin zwei Staatsprüfungen und ein einheitlicher Vorbereitungsdienst unverzichtbar seien. Gleichzeitig hat sie jedoch festgestellt, dass Modelle, die hinsichtlich der Ausbildung für die reglementierten juristischen Berufe an den bisherigen Ausbildungsstrukturen festhalten und daneben Elemente der Bachelor-/Masterstruktur integrieren, Anknüpfungspunkte für die Ergänzung der derzeitigen Ausbildung bieten. Konkret wird dabei die Möglichkeit angesprochen, im Rahmen des zur ersten Prüfung führenden Studiums zusätzliche akademische Grade zu vergeben.

Neben den „klassischen“ rechtswissenschaftlichen Studiengängen, die auf die reglementierten juristischen Berufe in Justiz und Verwaltung vorbereiten, gibt es inzwischen eine Vielzahl von Bachelor- und Masterstudienangeboten, die für andere Tätigkeitsfelder als die klassischen juristischen Berufe, für die die Voraussetzungen des Deutschen Richtergesetzes gelten, qualifizieren. Darüber hinaus existieren auch Bachelor-/Mastermodelle, die mit der Option für das erste juristische Staatsexamen den Zugang zum juristischen Vorbereitungsdienst eröffnen (z. B. Mannheimer-Modell).

Vor dem Hintergrund der wachsenden Interdisziplinarität und der damit verbundenen Verflechtung der Rechts­wissenschaften mit anderen Fachgebieten sowie der Zunahme der internationalen Zusammenarbeit und damit der Mobilität insbesondere im Bereich der Anwaltschaft sprechen sich Kultusministerkonferenz und Hochschulrektorenkonferenz dafür aus, den Weg der Reformstudiengänge fortzusetzen. Zumindest mittelfristig sollte mit der Einführung der Kernelemente der Bachelor-/Masterstruktur in die Staatsexamensstudiengänge begonnen werden, um die Anerkennung von Studien- und Prüfungsleistungen bei Wechsel von einem oder in einen Staatsexamensstudiengang zu erleichtern und damit eine höhere Flexibilität und Verbesserung der Durchlässigkeit zu erreichen.

-    Medizin, Pharmazie


Die Staatsexamensstudiengänge in Medizin, Zahnmedizin, Tiermedizin und Pharmazie basieren inhaltlich und strukturell auf den entsprechenden Approbationsordnungen. Die Gesundheitsministerkonferenz hat mit Beschluss vom 01.07.2010 ihre ablehnende Haltung gegenüber der Einführung von Bachelor- und Masterstrukturen in der ärztlichen Ausbildung bekräftigt. Mit Blick auf den sich auch hier abzeichnenden Bedarf an Ausbildungsangeboten für alternative Tätigkeitsfelder und insbesondere im Bereich der Forschung, hat sich allerdings bereits eine breite Palette von Bachelor- und Masterstudiengängen etabliert, die auf Tätigkeitsfelder vorbereiten, die keine Approbation voraussetzen. Dass Medizin nicht grundsätzlich einer Einführung des gestuften Graduierungssystems entzogen ist, macht u. a. das Beispiel der Niederlande deutlich. Die in den Niederlanden erworbenen Abschlüsse werden aufgrund der EU-Richtlinie 2005/36/EG auch in der Bundesrepublik anerkannt.

Auf der Gesundheitsseite steht zurzeit eine umfassende inhaltliche Reform der medizinischen Ausbildung im Vordergrund. Seit 2009 haben die Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA) und der Medizinische Fakultätentag (MFT) mit Vertretern aus medizinischen Fachgesellschaften, Organisationen der Selbstverwaltung, den zuständigen Ministerien (einschließlich Vertretern der Kultusministerkonferenz) und Behörden sowie der Wissenschafts­organisationen einen Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM) erarbeitet. Ziel ist ein am Berufsbild des Arztes orientierter Katalog, der auf der Basis der Approbationsordnung für Ärzte und der EU-Richtlinie konsentierte Lernziele enthalten soll, die Freiheiten für eine individuelle Schwerpunktsetzung lassen. Im Hinblick auf die angestrebte Novelle der zahnärztlichen Approbationsordnung, mit der eine deutlich engere Vernetzung von zahnmedizinischen und medizinischen Studiengängen angestrebt wird, wurde 2011 ein analoges Verfahren zur Erstellung eines Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalogs Zahnmedizin (NKLZ) aufgenommen. Beide Kataloge wurden untereinander abgestimmt und im Juni 2015 durch den MFT verabschiedet.

Auch wenn diese Aktivitäten nicht auf die Umsetzung der gestuften Studienstruktur in den medizinischen Studiengängen bezogen sind, begrüßen Kultusministerkonferenz und Hochschulrektorenkonferenz den Ansatz der kompetenzorientierten Beschreibung von Lernzielen, mit dem ein wesentliches Anliegen des Bologna-Prozesses aufgegriffen wird. Nach Vorliegen der Ergebnisse ist nun zu prüfen, inwieweit auf dieser Basis weitere Elemente des Bologna-Prozesses, insbesondere eine Modularisierung auch der medizinischen und pharmazeutischen Studiengänge als Grundlage für eine Verbesserung der Durchlässigkeit zwischen den Studiengängen der unterschiedlichen Systeme realisiert werden kann. Auch von der zunehmenden Anzahl von Bachelor- und Masterstudiengängen im nichtärztlichen Gesundheitsbereich und der beträchtlichen Anzahl von medizinischen Masterangeboten – insbesondere auch für den internationalen Markt – werden zumindest mittelfristig Impulse für eine Anpassung der medizinischen Studiengänge erwartet.

-    Freie Kunst

In vielen Ländern sind die Studiengänge der Freien Kunst von der Umstellung auf die gestufte Studienstruktur ausgenommen. Die ländergemeinsamen Strukturvorgaben, die sich – mit etlichen Sonderregelungen – auch auf die künstlerischen Studiengänge beziehen, eröffnen für die Studiengänge der Freien Kunst eine solche Ausnahmemöglichkeit, über die das Wissenschaftsressort im Zusammenwirken mit der jeweiligen Hochschule entscheidet. Dies ist in den Besonderheiten dieser Ausbildungen begründet.

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[1]   Anmerkung des Sekretariats: Die DAAD-Umfrage von 2013 hat einen Wert von 69 % ergeben. Auch im Nationalen Bericht 2015 wird daher eine Steigerung von fast 70 % angegeben. Für einen höheren Prozentsatz liegen hier derzeit keine zitierfähigen Angaben vor.
[2]   ANABIN: Datenbank der KMK zur Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse
[3] Dabei handelt es sich um eine Standardisierung der Berechnungsgrundlagen für die nach den ländergemeinsamen Strukturvorgaben (Anlage Rahmenvorgaben, Punkt 2 f) auszuweisende relative Note in Bachelorstudiengängen.